Schöne Schuld
Der Liederdichter Frank Viehweg und sein neues Album »Das einzige Leben«
Das ist nicht meine Zeit, ich bin nicht ihr Genosse …«, singt Frank Viehweg auf seinem neuen Album »Das einzige Leben«. Gleichwohl hat er keine andere. Sich in die Aussichtslosigkeit treiben zu lassen, endet oft genug tödlich, und Viehweg will ja das Leben feiern oder wenigstens Mut machen, es zu leben – nicht wie man eine Last vom Abgrund weg zu einem andern Abgrund schleppt, sondern wie man eine Liebe trägt und sich von ihr tragen lässt.
Dass es wenig ist, was der Mensch braucht, ist auch ästhetisches Programm. Viehwegs Melodien sind als Volkslieder entworfen, seine Arrangements von gläserner Klarheit, fast spartanisch. Der Liederdichter aus Berlin vertraut seinen Worten und seiner Musik, mithin: seiner Gitarre und sich, die im Studio begleitet werden von Dirk Müller (Akkordeon, Pi- ano) und Matthias Nitsche (Charango, Gesang), zwei feinfühligen musikalischen Gefährten seit vielen Jahren. Auch die Stimme von Susanne Probst erklingt auf dieser Scheibe.
Der 1960 geborene Liederdichter lässt den Unterschied sichtbar wer- den zwischen Nostalgie und einer Kultur der Erinnerung. Er schreibt ein Lied über das Hochhaus, das der Roman »Einzug ins Paradies« beschrieb, dessen Verfilmung der Autor Hans Weber nicht mehr erlebte, weil die Ausstrahlung immer wieder ver- schoben wurde. Mutig, leise und unüberhörbar schlug Siegfried Schumacher damals den Verantwortlichen ihre Schande um die Ohren, erinnere ich mich und natürlich an Kurt Böwe als Jonas Weithold.
»Ich wäre gern in dieses Haus gezogen«, bekennt Viehweg. Er vertieft sich ins Zwiegespräch mit seinem eigenen Vater und versucht, den Faden weiterzuspinnen, den der Tod abriss, spannt ihn über alle Hoffnungen hinweg, von Prag bis Kairo. Manche Fragen, und die Antworten erst recht, sind nur vertagt.
Es sind Zeiten, in denen ein wenig Anstand schon ein Aufstand ist in der Politik, in der das Feuilleton nicht mit der Wahrheit lacht, sondern aufschreit, wenn es von ihr gekitzelt wird. In der Lieder wieder von Mund zu Mund wandern müssen, um die herrschenden Medien herum, wenn sie etwas anderes zu sagen haben als selbstvergessene Gefälligkeiten. Zuerst und zuletzt kämpft der Dichter in solchen Zeiten um die eigene Liebe. Sie ist die Schale, die den Samen birgt, den fruchtbaren oder den tauben, die Utopie, der Viehweg treu bleiben muss. Drängender als in früheren Jahrzehnten.
Viehweg bringt die Melancholie zum Tanzen gegen die schwindende Zeit. In seinen Melodien schwingt die künstlerische Erfahrung einer LiederWelt mit, die ihn über Jahrhunderte und Kontinente mit seinen Wahlverwandten verbindet. Das verleiht auch der neuen Produktion Leichtigkeit und Gewicht. »Ich habe Sehnsucht nach dem guten Ende«, bekennt der Mittfünfziger und mit Yuri Gershkovich: »Ich bin noch nicht gestorben und bin zum Sterben auch nicht aufgelegt«. Schöne Schuld, an der die Frauen tragen, die Viehweg besingt. Schöne Hoffnung, die seinen Liedern entströmt.
Viehweg bringt die Melancholie zum Tanzen gegen die schwindende Zeit.