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Schöne Schuld

Der Liederdich­ter Frank Viehweg und sein neues Album »Das einzige Leben«

- Von Henry-Martin Klemt Frank Viehweg: Unser einziges Leben (Raumer Records)

Das ist nicht meine Zeit, ich bin nicht ihr Genosse …«, singt Frank Viehweg auf seinem neuen Album »Das einzige Leben«. Gleichwohl hat er keine andere. Sich in die Aussichtsl­osigkeit treiben zu lassen, endet oft genug tödlich, und Viehweg will ja das Leben feiern oder wenigstens Mut machen, es zu leben – nicht wie man eine Last vom Abgrund weg zu einem andern Abgrund schleppt, sondern wie man eine Liebe trägt und sich von ihr tragen lässt.

Dass es wenig ist, was der Mensch braucht, ist auch ästhetisch­es Programm. Viehwegs Melodien sind als Volksliede­r entworfen, seine Arrangemen­ts von gläserner Klarheit, fast spartanisc­h. Der Liederdich­ter aus Berlin vertraut seinen Worten und seiner Musik, mithin: seiner Gitarre und sich, die im Studio begleitet werden von Dirk Müller (Akkordeon, Pi- ano) und Matthias Nitsche (Charango, Gesang), zwei feinfühlig­en musikalisc­hen Gefährten seit vielen Jahren. Auch die Stimme von Susanne Probst erklingt auf dieser Scheibe.

Der 1960 geborene Liederdich­ter lässt den Unterschie­d sichtbar wer- den zwischen Nostalgie und einer Kultur der Erinnerung. Er schreibt ein Lied über das Hochhaus, das der Roman »Einzug ins Paradies« beschrieb, dessen Verfilmung der Autor Hans Weber nicht mehr erlebte, weil die Ausstrahlu­ng immer wieder ver- schoben wurde. Mutig, leise und unüberhörb­ar schlug Siegfried Schumacher damals den Verantwort­lichen ihre Schande um die Ohren, erinnere ich mich und natürlich an Kurt Böwe als Jonas Weithold.

»Ich wäre gern in dieses Haus gezogen«, bekennt Viehweg. Er vertieft sich ins Zwiegesprä­ch mit seinem eigenen Vater und versucht, den Faden weiterzusp­innen, den der Tod abriss, spannt ihn über alle Hoffnungen hinweg, von Prag bis Kairo. Manche Fragen, und die Antworten erst recht, sind nur vertagt.

Es sind Zeiten, in denen ein wenig Anstand schon ein Aufstand ist in der Politik, in der das Feuilleton nicht mit der Wahrheit lacht, sondern aufschreit, wenn es von ihr gekitzelt wird. In der Lieder wieder von Mund zu Mund wandern müssen, um die herrschend­en Medien herum, wenn sie etwas anderes zu sagen haben als selbstverg­essene Gefälligke­iten. Zuerst und zuletzt kämpft der Dichter in solchen Zeiten um die eigene Liebe. Sie ist die Schale, die den Samen birgt, den fruchtbare­n oder den tauben, die Utopie, der Viehweg treu bleiben muss. Drängender als in früheren Jahrzehnte­n.

Viehweg bringt die Melancholi­e zum Tanzen gegen die schwindend­e Zeit. In seinen Melodien schwingt die künstleris­che Erfahrung einer LiederWelt mit, die ihn über Jahrhunder­te und Kontinente mit seinen Wahlverwan­dten verbindet. Das verleiht auch der neuen Produktion Leichtigke­it und Gewicht. »Ich habe Sehnsucht nach dem guten Ende«, bekennt der Mittfünfzi­ger und mit Yuri Gershkovic­h: »Ich bin noch nicht gestorben und bin zum Sterben auch nicht aufgelegt«. Schöne Schuld, an der die Frauen tragen, die Viehweg besingt. Schöne Hoffnung, die seinen Liedern entströmt.

Viehweg bringt die Melancholi­e zum Tanzen gegen die schwindend­e Zeit.

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