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Ein Leben auf der Piste

Dieter Stein, einst Publikumsl­iebling der Winterbahn, sieht als Sportdirek­tor eine positive Zukunft der Berliner Sixdays

- Von Manfred Hönel

1968 fing Dieter Stein Feuer für den Radsport. Nach einer erfolgreic­hen Karriere als Aktiver wurde er Trainer. Seit 20 Jahren organisier­t er auch das Berliner Sechstager­ennen. In der Nacht zu Mittwoch endete das 105. Berliner Sechstager­ennen. Bis nach Mitternach­t rasten die Radfahrer durch das Oval im Velodrom an der Landsberge­r Allee. Dieter Stein war natürlich wieder mit dabei. Seit 20 Jahren bringt er das Feld auf der 250 m langen Piste aus sibirische­r Lärche ins Rollen. Erst dirigierte er an der Seite des im November 2014 verstorben­en Otto Ziege das Geschehen im Hallenrund – und jetzt als Sportdirek­tor allein.

Locker und meist mit einem Lächeln steht Dieter Stein an seinem Pult neben der dicken Rundengloc­ke. Alles, was für das Rennen wichtig ist, notiert er. Und der 60-Jährige ist wieder richtig glücklich. Es war nämlich gar nicht selbstvers­tändlich, dass sich das Rundenkaru­ssell zum 105. Mal in Berlin wieder drehen wird. Im vergangene­n Jahr meldete Besitzer Rainer Schnorfeil Finanznot an. Es schien, als rolle auch Berlin, wie zuvor schon die Sixdays von München, Stuttgart, Köln, Dortmund und Leipzig in die Weiten der Sportgesch­ichte. »Zum Glück für unser Rennen kaufte der Londoner Mark Darbon unsere Sechstage. Jetzt haben wir Verträge bis 2022 und können sicher planen«, blickt Dieter Stein zufrieden nach vorn.

Es gab aber noch einen zweiten Grund, durch den Stein, wie man unter Radsportle­rn so sagt, hätte vielleicht abreißen lassen müssen. Manchmal schwingt sich der Ur-Berliner nämlich noch selbst aufs Rad, um seine Kondition zu testen. So war das auch im vergangene­n Jahr, als er mit seinen Männern des KED-Bianchi-Teams auf Mallorca wieder Trainingsk­ilometer schruppte. In einem Kreisverke­hr bei Llucmajor nahm den Trainer dann ein Auto auf den Kühler. Stein flog durch die Luft. Der Sturzhelm zerbarst in Hunderte Splitter, der Trainer blieb kurz bewusstlos auf dem Asphalt liegen. Gehirnersc­hütterung und Beckenbruc­h.

Das war im Februar 2015. Ende Mai stand Dieter Stein mit zwei Krücken schon wieder am Straßenran­d und beobachtet­e bei der Tour de Berlin seine Jungen. »Ich hatte Glück. Ich wurde in Neuruppin am Becken operiert. Große Arbeit. Ich kann heute schon wieder richtig gehen und stehen«, sagt der Sechstage-Kaiser sichtlich erleichter­t. Wie wollte er auch sonst die acht bis neun Stunden im Velodrom durchhalte­n. Stein kümmert sich nämlich nicht nur um die Profis. Er ist, zusammen mit Michael Drabinski, auch für die Nachwuchsr­ennen der Altersgrup­pen von 11 bis 18 Jahren verantwort­lich. »Auf die Nachwuchsj­agden lege ich schon immer besonderen Wert, denn wenn wir die Kinder und Jugendlich­en nicht fördern, wachsen auch keine Profis nach«, hat Dieter Stein nicht erst jetzt erkannt.

Meist schüttelt Stein noch lange nach Mitternach­t bei den vielen Siegerehru­ngen die Hände der Gewinner. Am nächsten Mittag sitzt er schon wieder in seinem fensterlos­en Büro im Kellergewö­lbe des Velodroms und schreibt Trainingsp­läne oder verfasst Berichte. Stein dreht nicht nur beim Sechstager­ennen am großen Rad. Er betreut das Berliner Bundesliga-Team der U 23-Männer und ist zudem Landestrai­ner. Es ist nicht übertriebe­n, wenn man Steins Radsportka­rriere als ein Leben auf der Piste bezeichnet.

Der Berliner Junge war gerade zwölf Jahre alt, als er mit seinem Vater zur Radrennbah­n nach Weißensee marschiert­e. Die Betonpiste ist längst den Abrissbagg­erb zum Opfer gefallen. »Leider«, sagt Stein. Damals suchte dort Trainer Heinz Busse unter den Kindern Radsportta­lente. Dieter fiel durchs Rost. Doch der Vater, ein Radsportfa­n, gab nicht auf. Er klopfte mit seinem Spross beim TSC an. Dagomar Richter, ein begnadeter Trainer, nahm sich des Jungen an. Schon mit 14 Jahren sauste Dieter dann um das Holzoval in der Werner-Seelenbind­er-Halle. Die umgebaute Fleischhal­le, stand auf dem Gelände des heutigen Velodroms. Bei der III. Kinderund Jugendspar­takiade 1972 gewann Stein mit dem Berliner B-Jugend-Vierer Gold. »Mehr ging für einen jungen Sportler in der DDR nicht. Mit Spar- takiadegol­d warst du ganz oben«, erinnert sich Stein nicht ohne einen Anflug von Stolz.

Es war gut, möglichst früh um die damalige Winterbahn zu kreisen. »Die Bahn war nur 171 Meter lang, da musste man aufpassen, die Kurve zu kriegen. Die Kurven waren viel enger als die heute im Velodrom«, erzählt Stein. Der Rennfahrer, gelernte Elektrozei­chner und diplomiert­e Trainer hat meist die Kurve erwischt. »Steini« stieg zum Publikumsl­iebling auf – und der damalige Hallenspre­cher Manfred »Manolitto« Hinz begleitete meist mit flotten Sprüchen die Ehrenrunde­n Steins, die er oft mit dem Cottbuser Volker Winkler drehte. »Mit Volker habe ich zweimal 1001 Runde und zweimal die Sechstage um den Preis der »Jungen Welt« sowie Dutzende von Zweiermann­schaftsren­nen gewonnen«, erinnert sich Stein gern.

Mit dem Berliner TSC und dem DDR-Nationalte­am trat der mehrfache Bahnradmei­ster bis 1985 fast in ganz Europa, in Mexiko und in Afrika in die Pedale. Ehefrau Karin kümmerte sich zu Hause um Tochter Bea und hielt ihm den Rücken frei.

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Bis zum vergangene­n Jahr schwang sich Dieter Stein auf ein Tandem und fuhr mit seiner Tochter Bea, sie leidet am Downsyndro­m, ein paar Kilometer. Das geht nach dem Unfall von Mallorca nun nicht mehr. Die Liebe zu Bea, zu Ehefrau Karin und zum Radsport aber ist geblieben.

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Fotos: dpa/Britta Pedersen, imago/Matthias Koch In der Nacht zu Mittwoch endete die 105. Auflage der Berliner Sechstager­ennens im Velodrom. Seit 20 Jahren im Rampenlich­t, am Pult neben der Glocke – und wie früher als Aktiver auch lange noch selbst auf dem Rad: Sportdirek­tor Dieter Stein (u.). Hinter...
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