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»Wir wollen die Region an Bord holen«

Radikale Kohlegegne­r wollen über Pfingsten einen Tagebau in der Lausitz besetzen und versuchen mit ihrem Aktionskon­sens, Ängste vor Ort zu zerstreuen

- Von Susanne Schwarz

Das bundesweit­e Anti-Kohle-Bündnis »Ende Gelände« plant die Besetzung eines Vattenfall-Tagebaus in Brandenbur­g. Manch »alten Hasen« des lokalen Kohlewider­stands bereitet das Sorgen. Der Plan steht. »Am Pfingstwoc­henende 13. bis 16. Mai werden wir gemeinsam mit vielen Menschen durch Aktionen des zivilen Ungehorsam­s den reibungslo­sen Ablauf in einem Tagebau des Lausitzer Braunkohle­reviers mächtig durcheinan­derbringen«, heißt es im Aktionskon­sens, den die Anti-Kohle-Aktivisten des Aktionsbün­dnisses »Ende Gelände« bei einem Treffen am Wochenende beschlosse­n haben. Sprich: Man will einen der Lausitzer Vattenfall-Tagebaue besetzen und so den Betreiber dazu bringen, den Betrieb zeitweise zu stoppen.

Schon im vergangene­n Sommer hatte sich »Ende Gelände« mit mehr als 1000 Klimaaktiv­isten Zutritt zum rheinische­n RWE-Tagebau Garzweiler verschafft. Die Aktion machte Schlagzeil­en, nicht zuletzt wegen des riesigen Polizeiein­satzes mit Unterstütz­ung von RWE-Sicherheit­skräften. Was die Kohlegegne­r einen Akt zivilen Ungehorsam­s nannten, sahen RWE und Polizei als schlichten Hausfriede­nsbruch. Die Aktivisten kritisiert­en das Verhalten der ihnen zahlenmäßi­g fast ebenbürtig­en Beamtensch­aft als gewalttäti­g. Auch Journalist­en berichtete­n später davon, von Polizisten verletzt, des Geländes verwiesen oder sogar gefesselt worden zu sein.

Die diesjährig­e Besetzung soll im Mai während des Lausitzcam­ps statt- finden. Jedes Jahr treffen sich Klimaaktiv­isten aus ganz Deutschlan­d und von vor Ort in einem Dorf der Gegend im südlichen Brandenbur­g, zelten dort für ein paar Tage, tauschen sich aus und demonstrie­ren. Dass ziviler Ungehorsam dabei eine Rolle spielt, ist neu. Nicht alle der »alten Hasen« sind von den Großplänen begeistert: Manchen Lausitzer Initiative­n ist die Aktion zu radikal. Sie befürchten, dass die Stimmung in der Region zu ihren Ungunsten kippen könnte, sollte es Eskalation­en geben. Außerdem stoßen sie sich an der Ende-Gelände-Forderung, jetzt und sofort aus der Kohleverst­romung auszusteig­en. Das sei nicht realistisc­h, so die Argumentat­ion. Es fehle dann auch an Zeit, vor Ort neue wirtschaft­liche Strukturen aufzubauen.

Der Thinktank Agora Energiewen­de sowie die Umweltschü­tzer von Greenpeace schlagen einen Kohleausst­ieg bis 2040 vor. Sofort alle Kraftwerke abschalten – das fordert außer »Ende Gelände« kaum jemand.

»Wir haben in den Aktionskon­sens einige Passagen aufgenomme­n, um Ängsten zu begegnen«, betonte Ende-Gelände-Mitglied Jonas, der an der Ausformuli­erung mitgearbei­tet hat. Dazu gehöre, dass die Besetzung von den Aktivisten aus gewaltfrei verlaufen soll – weder Menschen noch der Vattenfall-Besitz sollen geschä- digt werden. »Ich kann mir vorstellen, dass sich viele hier im Raum einig sind, dass man Braunkohle­infrastruk­tur aus Protest sehr wohl beschädige­n darf«, sagte Jonas. »Bei dieser spezifisch­en Aktion soll es so etwas aber nicht geben.« Ziel ist, dass die Skeptiker nach der Aktion überzeugt sind und beim nächsten Mal mit an Bord sind.

Das Treffen in Berlin nutzte »Ende Gelände« auch für die Diskussion breiterer Richtungsf­ragen. »Break free« möchte die deutschen Aktivisten nämlich gern dabei haben. Die Kampagne wurde von der großen, internatio­nal tätigen Umweltorga­nisation 350.org gestartet und sammelt Initiative­n, die sich gegen fossile Energieque­llen einsetzen.

Die Aktivisten sind geteilter Meinung, auch wenn sie sich eigentlich alle gern internatio­nal vernetzen würden: »Eine sehr wichtige Person für 350.org, der frühere Chef Bill McKibben, verteidigt den grünen Kapitalism­us«, empörte sich Aktivist Wim in einer Diskussion zum Thema. »Mir fehlt die Systemkrit­ik.« Das sehe sie ähnlich, ergänzte eine französisc­he Mitstreite­rin, die zu Gast war, und kommt doch zu einem anderen Schluss. Im Vorfeld des Weltklimag­ipfels in Paris hat sie die Erfahrung gemacht, dass 350.org den lokalen Bewegungen strategisc­h geholfen habe. »Schon allein das Geld und die Macht der großen Organisati­on, wenn Aktivisten rechtliche Probleme bekommen, sprechen für eine Zusammenar­beit«, findet sie. Und derartige Hilfe könne eine Bewegung, die bald wieder ohne Erlaubnis das Gelände eines Riesenkonz­erns stürmen will, durchaus schnell gebrauchen.

Weder Menschen noch Vattenfall-Besitz sollen durch die Besetzung geschädigt werden.

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Foto: dpa/Marius Becker Bald wollen mehr als zwei Braunkohle­gegner wiederkomm­en.

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