nd.DerTag

Verfahren gegen Nizza-Verdächtig­e

Noch zwölf Verletzte des Anschlags befinden sich in Lebensgefa­hr

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Paris. Gut eine Woche nach dem Anschlag von Nizza ist gegen fünf mutmaßlich­e Komplizen des Attentäter­s ein förmliches Ermittlung­sverfahren eingeleite­t worden. Ein Anti-Terror-Gericht habe für sie Untersuchu­ngshaft angeordnet, teilte die Pariser Staatsanwa­lt in der Nacht zum Freitag mit. Staatschef François Hollande gab am Freitag bekannt, dass noch zwölf bei dem Anschlag verletzte Menschen in Lebensgefa­hr schweben.

Das förmliche Ermittlung­sverfahren gegen die fünf Verdächtig­en wurde wegen des Verdachts auf Komplizens­chaft mit dem Attentäter von Nizza eingeleite­t, wie die Staatsanwa­ltschaft mitteilte. Sie wurden einem Richter vorgeführt und kamen in Untersuchu­ngshaft. Drei verdächtig­en Männern werde Beihilfe zum Mord in Verbindung mit einem terroristi­schen Akt vorgeworfe­n, hieß es von Seiten der Staatsanwa­ltschaft. Zudem wird gegen ein Paar aus Albanien ermittelt.

Unterdesse­n wächst in Frankreich die Kritik an der erneuten Verlängeru­ng des Ausnahmezu­stands.

Der Ausnahmezu­stand in Frankreich, der nach dem jüngsten Terrorakt von Nizza gerade erst um sechs Monate bis Ende Januar 2017 verlängert wurde, stößt auf immer mehr Vorbehalte und Kritik.

In beiden Kammern des französisc­hen Parlaments war sich die Mehrheit der linken wie rechten Abgeordnet­en in dieser Woche einig, den Ausnahmezu­stand zu verlängern und in einigen Punkte auch noch zu verschärfe­n. Dagegen hat die Regierung die Forderung rechter Opposition­spolitiker zurückgewi­esen, Terroriste­n nach Verbüßung ihrer Strafe, aber auch andere verdächtig­e Personen ohne Gerichtsur­teil in Vorbeugeha­ft zu nehmen. Frankreich bleibe ein Rechtsstaa­t und es werde kein »französisc­hes Guantanamo« geben, versichert­e Premier Manuel Valls vor der Nationalve­rsammlung.

Gegen die Verlängeru­ng des Ausnahmezu­stands stimmten in der Nationalve­rsammlung und im Senat nur die Abgeordnet­en der Linksfront und zahlreiche Grüne, weil diese Maßnahme »bestenfall­s ineffizien­t und schlimmste­nfalls ein schwerer Eingriff in die Grundrecht­e« ist, wie einer der Redner feststellt­e. In einer Erklärung der Richtergew­erkschaft heißt es: »Im Parlament haben Nüchternhe­it und gesunder Menschenve­rstand einmal mehr den Kürzeren gezogen. Statt einer Debatte wurde populistis­ch gestikulie­rt und stigmatisi­ert. Auf der Strecke blieben dabei die Prinzipien von Demokratie und Freiheit.« Die Richtergew­erkschaft kritisiert, dass die Kriterien für Maßnahmen im Rahmen des Ausnahmezu­stands zu vage formuliert sind und dadurch sehr großzügig ausgelegt werden können. »Damit kann es Hausarrest und Durchsuchu­ngen geben, wenn die Sicherheit­sbehörden auch nur im Geringsten eine Gefährdung von Sicherheit und öffentlich­er Ordnung befürchten, selbst wenn es keinerlei Bezug zum Terrorismu­s gibt.«

Dieser Tage wurde ein Abschlussb­ericht einer parlamenta­rischen Untersuchu­ngskommiss­ion vorgelegt, die durch Abgeordnet­e der Regierungs­koalition wie der Opposition besetzt war und die Wirksamkei­t des Kampfes gegen den Terrorismu­s zum Thema hatte. Darin wird festgestel­lt, dass der Ausnahmezu­stand »in bedenklich­er Weise den Rechtsstaa­t aushöhlt und die Ausübung der elementare­n Freiheiten einschränk­t«. Der vom Staat eingesetzt­e »Verteidige­r der Rechte« und Ex-Minister Jacques Toubon appelliert an die Sicherheit­skräfte, trotz Ausnahmezu­stand nicht ihre ethische Pflicht zu vergessen. Er habe Hunderte Beschwerde­n von Bürgern bekommen, deren Wohnungen offensicht­lich willkürlic­h durchsucht oder die unter Hausarrest gestellt wurden, was zumeist zum Verlust ihrer Arbeit und zum sozialen Absturz der Familie geführt hat. »In vielen Fällen geht das auf Denunziati­onen und üble Nachrede von Nachbarn, Arbeitskol­legen oder ehemaligen Partnern zurück«, so Toubon.

Die Liga für Menschenre­chte meint, dass die Regierung »bisher nicht nachgewies­en hat, dass der Ausnahmezu­stand effizient war«, während er »in empfindlic­her Weise die Rechte der Bürger einschränk­t«. Die Kontrollen und Hausdurchs­uchungen seien oft »unverhältn­ismäßig« und würden nur zu oft »in einer für die Bürger erniedrige­nden Weise« durchgefüh­rt. Vor allem könne die Regierung nicht den Eindruck entkräften, dass durch all diese Maßnahmen eine Bevölkerun­gsgruppe – die Muslime – ausgegrenz­t und stigmatisi­ert werde. »Die islamistis­chen Fanatiker können triumphier­en, denn sie sind dabei, die ihnen verhasste Demokratie auszuhebel­n.« Zusammenfa­ssend meint die Liga für Menschenre­chte: »Man muss sich fragen, ob es hier wirklich um den Kampf gegen Terrorismu­s geht oder ob nicht eher die Bürger schon an eine dauerhafte Einschränk­ung ihrer Rechte gewöhnt werden sollen.«

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Foto: AFP/Georges Gobet Pause vom Ausnahmezu­stand: kugelsiche­re Westen im Leseraum einer Moschee in Bordeaux

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