Napoleons Anhöhe
Warum Martin Leidenfrost das stoisch schweigende Maskottchen der Montagsdemos von Bratislava wurde
Am Montag stand ich wieder vor »Bonaparte«. »Bonaparte« ist die berüchtigte Luxus-Immobilie, in welcher der Ministerpräsident des Landes wohnt, das seit 1. Juli die Ratspräsidentschaft der EU innehat. Ich hielt einen Karton mit einem Vorschlag auf Slowakisch hoch: VERSTAATLICHEN. An einem früheren Montag hatte ich einen anderen Karton hochgehalten: ABREISSEN. Ich stand stets allein und schweigend vor »Bonaparte«, inmitten einer Kette von Polizisten. Erst später trafen die von der Opposition organisierten Demonstranten ein. Von den 500 bis 3000 krakeelenden Demonstranten fotografierten mich unzählige. Ohne dass ich mich um diese Rolle beworben hätte, wurde ich zum stoischen Maskottchen der Montags-Demos. Seither werde ich gefragt, warum ich dort stehe.
Der Komplex auf Napoleons Anhöhe in Bratislava verkörpert beinahe alles, was faul ist im Staate Slowakei. Errichtet wurde »Bonaparte« von einem schmierigen Unternehmer, der einen beige-schwarzen Bugatti fuhr. Ladislav Bašternák steht im Verdacht, den Staat mit fiktiven Belegen zwecks Umsatzsteuer-Rückerstattung betrogen zu haben, um viele Millionen Euro. Der joviale Innenminister Robert Kaliñák, privat ein Geschäftspartner des Gauners, ließ Ermittlungen unterdrücken. Die Schutzbehauptung von Bašternák, er habe eine Immobilie mit einer Barschaft von zwölf Millionen Euro bezahlt, verteidigte der Minister: »Vor vier Jahren war das eine analoge Welt. Das war eine Cash-Welt, damals wurden die Dinge so bezahlt.« Verkehrspolizisten mussten Bašternák nach einer Intervention laufen lassen, denn »das ist einer von uns«. Eine der 300-Quadratmeter-Wohnungen mietet der starke Mann der Slowakei, Minister- präsident Robert Fico. Wenn Fico nicht der eigentliche Besitzer von »Bonaparte« ist, lebt er dort zu einer stark vergünstigten Miete. Sein Gehalt würde bei weitem nicht reichen.
Als ich da so stand, vor den hellgüldenen Lettern BONAPARTE, vor dem grauen Marmor und vor der Fassadenverkleidung der Marke »Alucobond«, musste ich an den Preis von Ficos Armbanduhr denken. Bašternáks Mieter ist einer der erfolgreichsten Politiker Europas. Vom »Sozialstaat«, den er 2006 einzuführen versprach, blieben nur Almosen wie das Weihnachtsgeld für Rentner. Da die neoliberale Opposition nicht einmal solche Almosen verteilt, gaben sich die Armen damit zufrieden. Fico ist der perfekte Populist, mal sozial, mal national, jeder einzelne seiner Sätze trifft ins Herz der absoluten Mehrheit. Er hat nur eine Schwäche – der Duft des Geldes.
Ich kannte die Geschichte von »Bonaparte« schon länger, weil ich zufällig mit dem damit befassten Bankbeamten getrunken hatte. J. lobte, dass in dem Luxushaus »keine Wohnung diskriminiert wird, alle haben dieselbe geile Aussicht«. Es beeindruckte J., dass jede Wohnung ihren eigenen Aufzug hat, »Fico muss im Lift keinen Nachbarn sehen«. Bašternák verletzte den Flächenwidmungsplan, die Vertragsstrafe von 4000 Euro verkraftete er. Eigentlich sollten 55 Prozent Grünfläche übrigbleiben, und eigentlich müsste die Öffentlichkeit Zugang zu der Stelle haben, von der Napoleon 1809 auf die damals Pressburg genannte Stadt blickte. Wir haben diese Aussicht nicht, die hat der »Sozialdemokrat« Dr. iuris Robert Fico.
Ich stand nicht wegen »Korruption« vor »Bonaparte«. Diese ist in der Slowakei nur Durchschnitt, sehr viel mehr als 20 Prozent wird aus öffentlichen Ressourcen nicht gestohlen. Ich stand da, weil ich lange nach einem Land suchen müsste, in dem die herrschende Elite so unantastbar wäre. Selbst in Ländern wie Griechenland, Kroatien, Tschechien oder Moldawien sitzen ehemalige Ministerpräsidenten und Minister inzwischen hinter schwedischen Gardinen. Die Zahl der Richter, Politiker und Oligarchen, die in Rumänien einsitzen, übersteigt die Tausend. Aus der gesamten Geschichte der unabhängigen Slowakei ist kein solcher Fall überliefert, Justiz und Politik aller Lager halten einander sakrosankt.
Früher stand auf Napoleons Anhöhe eine kleine Steinsäule. »N.Q.« war darin eingemeißelt, »NAPOLEON QUIESCO«. Wo Napoleon 1809 zu ruhen beliebte, hat die slowakische Staatsmafia 2016 ihr Nest. Als einer, der zwölf Jahre in der Slowakei gelebt hat, erfuhr ich staatliche Willkür auch persönlich, habe es aber als Österreicher noch relativ gut. Ohne die Menschen aufzugeben, kann ich diesen Staat fliehen. Für Slowaken, die keinen Ausweg haben, stehe ich nächsten Montag wieder dort.