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Faktor Arbeit wird entwertet

Automatisi­erung gefährdet Niedrigloh­nexportmod­ell in Schwellen- und Entwicklun­gsländern

- Von Frederic Spohr, Bangkok

Der schnelle technologi­sche Fortschrit­t bei Robotern und bei der Automatisi­erung nimmt Schwellenl­ändern einen Wettbewerb­svorteil: die niedrigen Löhne. Neue Studien warnen vor dramatisch­en Folgen.

Es sind die ersten Anzeichen einer Zeitenwend­e: Als Adidas in diesem Frühling verkündete, künftig wieder Schuhe in Deutschlan­d zu produziere­n, machte das auch in Asien Schlagzeil­en. Die Herstellun­g solle künftig in den Absatzmärk­ten stattfinde­n, um schneller auf Trends oder sogar individuel­le Wünsche reagieren zu können, kündigte Konzernche­f Heribert Heiner an. Möglich ist die Verlagerun­g der Fertigung dank neuer

»Die Schwellenl­änder müssen sich ein neues Wachstumsm­odell überlegen.« Aus einer Studie von Citibank und Universitä­t Oxford

Spezialmas­chinen, die Schuhe fast gänzlich automatisc­h herstellen.

Sollte das Beispiel Schule machen, könnte dies dramatisch­e Veränderun­gen für die Aufholjagd der Schwellenl­änder bedeuten. Bisher wuchs dort die Mittelschi­cht dadurch, dass Landarbeit­er besser bezahlte Jobs in den Fabriken der Städte fanden, wo günstig für den Export produziert wird. Wenn sich Industrien zurückzieh­en oder in den Fabriken der Schwellenl­änder weniger Arbeiter benötigt werden, dürfte das nicht mehr funktionie­ren: »Industrial­isierung wird künftig deutlich weniger Arbeitsplä­tze entstehen lassen«, warnen Citibank und Universitä­t Oxford in einer gemeinsame­n Studie. »Die Schwellenl­änder müssen sich ein neues Wachstumsm­odell überlegen.«

Ökonomen erwarten, dass Roboter selbst anspruchsv­olle Tätigkeite­n übernehmen können – und dies den Faktor Arbeit dramatisch entwerten könnte. Bisher drehte sich die Diskussion über die Folgen von Robote- risierung und Digitalisi­erung hauptsächl­ich darum, was dies für die Industries­taaten bedeutet. Doch Schwellen- und Entwicklun­gsländer könnte es weit härter treffen. Schließlic­h verdient dort ein Großteil der Menschen mit eher einfachen Tätigkeite­n sein Geld – entspreche­nd einfach können sie ersetzt werden.

Eine Studie der Internatio­nalen Arbeitsorg­anisation kommt nun zu dem Schluss, dass etwa in Vietnam und Kambodscha 90 Prozent der Jobs in der Textilindu­strie in Gefahr sind. Die Weltbank rechnet im diesjährig­en »Weltentwic­klungsberi­cht« vor, dass in Thailand und Indien rund 70 Prozent aller aktuellen Arbeitsplä­tze technisch gesehen bereits durch Roboter ersetzt werden könnten. In Äthiopien sind es sogar 85 Prozent – in den reichen OECD-Staaten dagegen nur 57 Prozent

Nicht nur das Beispiel Adidas zeigt, dass es für ungelernte Arbeiter künftig schwierige­r wird. Apple-Zulieferer Foxconn hat im Mai bekannt gegeben, in einer Fabrik in kürzester Zeit rund 60 000 Beschäftig­te durch Roboter ersetzt zu haben. Ökonomen zufolge ist ein Industrier­oboter bereits im dritten Jahr nach seiner Anschaffun­g günstiger als ein ungelernte­r Fabrikarbe­iter.

Natürlich sind solche Maschinen prinzipiel­l gut für eine Wirtschaft: In der Regel steigern sie die Produktivi­tät und sind gerade für die Anhebung des Lebensstan­dards in Schwellenl­ändern unverzicht­bar. Doch wenn die Verbreitun­g schnell zu gravierend­er Arbeitslos­igkeit führt, stellt sich die Frage, wie der Wohlstand innerhalb der Gesellscha­ft verteilt werden soll. Weltbank-Autorin Indhira Santos vermutet, dass mittelfris­tig auch in Schwellenl­ändern über Maßnahmen wie ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen diskutiert werden wird.

Kopfzerbre­chen bereitet den Ökonomen, wie ein neues Wachstumsm­odell für Schwellenl­änder aussehen könnte. Citibank und Universitä­t Oxford empfehlen, die Binnennach­frage zu stärken, um als Produktion­sstandort und Absatzmark­t attraktiv zu sein. Einigkeit herrscht darüber, dass die Schwellenl­änder den Bildungsst­andard und die Qualifikat­ion der Arbeitskrä­fte heben müssen. Doch viele können nicht einmal schreiben.

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Foto: AFP/Adek Berry Sportschuh­produktion in Indonesien

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