Wohin mit dem AKW-Schutt?
Schleswig-Holstein plant nach dem Rückbau Lagerung an sieben Deponiestandorten – dort regt sich Widerstand
Nach dem Atomausstieg fallen riesige Mengen an leicht kontaminierten Abfällen an. Auch die müssen irgendwo gelagert werden.
Schleswig-Holsteins Energiewendeminister Robert Habeck (Grüne) gibt zu: Mit derart heftigem Widerstand gegen sein Entsorgungskonzept für nur geringfügig kontaminierten AKWRückbauschutt aus den stillgelegten Atommeilern Brunsbüttel und Krümmel hat er nicht gerechnet. Ein von ihm angestoßener Dialogversuch mit aufgebrachten Bürgern aus ganz Schleswig-Holstein am Donnerstagabend in Kiel ist gescheitert.
Der in den kommenden 22 Jahren anfallende Rückbauschutt mit einer Gesamtmenge von 35 000 Tonnen soll auf sieben Deponien gelagert werden – so sieht es das Konzept aus Habecks Ministerium vor. Doch die Akzeptanz in der Bevölkerung an den vorgesehenen Standorten lässt sich nicht einfach verordnen. Seit Bekanntwerden der Pläne Ende Mai haben sich dort zahlreiche Bürgerinitiativen gegründet, Gemeindevertretungen und Amtsverwaltungen sprachen sich einstimmig dagegen aus. Die Überraschung Habecks angesichts so geballten Widerstands wäre sicher geringer ausgefallen, hätte er sich zuvor einmal genauer bei Betrieben und Verbänden der Entsorgungswirtschaft umgehört. Deutschlandweit lehnen Deponiebetreiber nämlich die Einlagerung von Bauschutt aus rückgebauten Atomkraftwerken ab.
Mit besagtem AKW-Restmüll wird bisher nach dem sogenannten Freimessungsprinzip verfahren. Wenn eine Strahlungsdosis von jährlich unter zehn Mikrosievert attestiert wird, unterliegt der Bauschutt nicht länger der atomrechtlichen Strahlenschutzverordnung, sondern den weit weniger strengen Bestimmungen des Abfallrechts. Bei der Veranstaltung in Kiel sollte der Nukleartechniker Christian Küppers vom Öko-Institut Darmstadt die Unbedenklichkeit der Deponierungspläne erläutern. Dieser kam in der Abwägung mit der natürlichen Strahlung, der der Mensch unterliegt, zu der Erkenntnis, dass die zusätzlichen Risiken besagten Rückbaumaterials zwar nicht gleich Null seien, aber sich in einer akzeptablen Größenordnung bewegten. Habeck vertraut dieser gängigen Bemessungsmethode und spricht Kritikern die nötige Ernsthaftigkeit ab: »Wenn alles nicht belastbar sein soll, dann ist das Verschwörungstheorie.«
Mit dem skizzierten Ablaufplan scheint der Minister den gesamten Prozess gegen die Wand zu fahren. Erfahrene Anti-AKW-Strategen wie Jochen Stay von der Initiative Ausgestrahlt oder Dirk Seifert vom Umweltverband BUND aus Hamburg unterstützen zwar Habecks Entschlossenheit, Lösungen für die Atomkraftaltlasten zu finden. Sie raten ihm aber zu mehr Geduld und einem ergebnisoffeneren Vorgehen – seine Vorgaben würden zu sehr als Druck empfunden.
Karsten Hinrichsen (Gruppe Brokdorf akut) forderte den Minister auf, alle Informationen über die früheren und laufenden Freimessungsaktivitäten an den AKW-Standorten öffentlich zu machen, was dieser ablehnt. Dem Brunsbüttel- und Krümmel-Betreiber Vattenfall unterstellt der Aktivist, in Sachen Rückbau die kostengünstigste Lösung anzustreben und damit betriebswirtschaftliche Ziele vor die Sicherheit zu stellen. Die Atomaufsicht in Kiel habe die Möglichkeit, auch beim Rückbau schärfere Kriterien anzulegen, wende ihre Handlungsspielräume aber leider nur zugunsten der AKW-Betreiber an.
Tenor der Kritiker: Da das Land bereits nuklearbelastete Orte habe, sei es unverständlich, warum man nun sieben weitere strahlende Deponieorte schaffen wolle. Der BUND SchleswigHolstein kündigte bereits an, gegen angeordnete Entsorgungsmaßnahmen zu klagen, denn die Zehn-Mikrosievert-Variante sei nicht mehr zeitgemäß. Nötig sei eine Belastungsberechnungsannahme von nur noch einem Mikrosievert. Habeck hat für den Fall, dass es nicht zu einer mit Kommunen und Deponiebetreibern einvernehmlichen Lösung kommt, bereits damit gedroht, strikt behördenrechtlich zu verfahren. Viele Initiativen und örtliche Interessengruppen fordern indes den Minister auf, den Dialogweg nicht zu verlassen. Dieser versuchte seine Eile mit dem Hinweis zu rechtfertigen, dass jede Verzögerung beim atomaren Ausstiegsprozess die Geldbörsen der Steuerzahler belasten werde. Mit dieser Vorhersage dürfte er wohl nicht ganz falsch liegen.