Der Doper, der auf die Gnade des IOC hofft
Ilnur Sakarin beeindruckt bei der Tour de France, doch für Rio könnte der Russe gesperrt werden
Er gewann die 17. Etappe am Berg. Ilnur Sakarin wird damit zum Mitfavoriten auf dem bergigen Olympiakurs. Doch, ob er in Rio fahren darf, ist ungewiss.
Der Zuckerhut wirft seinen Schatten auf die große Schleife. Einen großen Schatten. Denn ein Bergetappensieger, der als Solist die 17. Etappe zu Füßen des Mont Blanc gewann, sieht seine Chancen auf eine Medaille im olympischen Straßenrennen vom möglichen Ausschluss aller russischen Sportler bedroht. Die Konzentration des in Tatarstan geborenen Russen Ilnur Sakarin gilt gegenwärtig natürlich der Tour. Mit halbem Auge schielt er aber nach Lausanne, zum Sitz des IOC, das vermutlich an diesem Wochenende auch über seine Olympiateilnahme in Rio entscheiden wird.
»Wir hoffen auf eine gerechte und faire Entscheidung«, sagt Wjatscheslaw Jekimow gegenüber »nd«. Der Manager des Katjusha-Teams war selbst Olympiasieger und lange Jahre Domestik von Dopingsünder Lance Armstrong. Nun fungiert er als eine Art Sprecher für seinen Fahrer Sakarin. Der 26-Jährige kommuniziert mit seinen Teamkollegen – drei Spanier, ein Italiener, ein Däne, ein Belgier, ein Norweger und ein Österreicher – zwar auf Englisch, vor der Presse versteckt er sich aber. »Er lernt Englisch, und er weiß, um ein großer Star im Radsport zu werden, muss er Fremdsprachen können«, meint Jekimow.
Dass Sakarin das Zeug dazu hat, sogar Gold in Rio zu gewinnen, davon ist der Manager überzeugt. Ein Gesamtsieg bei der bergigen Tour de Romandie, Bergetappensiege beim Giro d’Italia und jetzt der Tour de France sprechen schon eine deutliche Sprache. Wegen Sakarins Aussichten beim Straßenrennen in Rio beinhaltet Jekimows Spruch von der »gerechten und fairen Entscheidung« natürlich die Hoffnung, dass sein Schützling bei Olympia starten kann.
Betrachtet man die Kriterien, die der Leichtathletik-Weltverband IAAF für Sondergenehmigungen aufgestellt hat, dann hätte bei einer Einzelfallprüfung Sakarin sogar gute Chancen. Er hat seine Trainingsbasis nicht in Russland, sondern in Zypern. Er war bei vielen Rennen in Europa am Start und wurde dort auch von mehreren internationalen Antidopingagenturen getestet. »Er wurde kein einziges Mal von der RUSADA getestet«, sagt Jekimow, um die größtmögliche Distanz zur korrupten russischen Behörde zu betonen. Wie er selbst dazu steht, verrät er nicht – schließlich wird sein Team Katjusha von staatsnahen russischen Konzernen finanziert. Jekimow kritisiert also nicht, er distanziert sich nur. »Wir nehmen an internationalen Rennen teil. Was in Russland passiert, wissen wir kaum«, behauptet er.
Alle Verbindungen zum russischen Sport hat Katjusha selbstverständlich nicht abgebrochen. Beim Giro d’Italia parkte der Teambus regelmäßig neben dem von Gazprom-Rusvelo, dem russischen Continentalteam. »Wir sind kein Farmteam von Katjusha, das wäre ja auch nicht erlaubt, aber natürlich gibt es gute Beziehungen zwischen unseren Rennställen«, sagte eine Rusvelo-Sprecherin damals zu »nd«. Der aktuelle Star Sakarin wurde von Katjushas Nachwuchsabteilung einst zu Rusvelo transferiert. Dort entwickelte er sich zu dem Kletterer, der er jetzt ist, und kam dann zurück zum großen Rennstall. Sakarin selbst führt die drastische Diät seiner Freundin Viktoria – sie ist Ernährungsberaterin – als Ursache für diese Transformation an. »Ich habe dank ihr zehn Kilogramm abgenommen und bin deshalb viel stärker in den Bergen«, sagt er.
Die neue Stärke ausgerechnet bei Rusvelo hat aber auch eine verdächtige Komponente. In den zwei Jahren, in denen Sakarin für das Team fuhr, fiel der Rennstall mit mehreren Dopingfällen auf: mit GW1516, einem Muskelaufbaumittel, das wegen hoher Krebsrisiken vom Markt genommen wurde, mit dem Antiasthmamittel Fenoterol und mit Wachstumshormon. Wie viele Fahrer von Rusvelo und Katjusha sich unter den elf Radsportlern befinden, deren positive Dopingtests im Moskauer Labor zwischen 2011 bis 2015 per Federstrich in negative Resultate verwandelt wurden, ist noch unklar. Die McLaren-Kommission, die die schweren Verfehlungen des russischen Antidopingsystems zumindest teilweise aufgedeckt hat, gab bislang keine Namen bekannt, die nachweislich vom staatlichen Vertuschungssystem profitiert hatten. Für die von den Russen erhoffte Einzelfallprüfung wären solche Informationen aber relevant.
Sakarin taugt ironischerweise sogar als Kronzeuge für das Funktionieren des russischen Antidopingsystems. Er wurde 2009 mit einem Steroid erwischt und saß zwei Jahre Sperre ab. Anders als bei einem Rusvelo-Kollegen, der mit dem Schwarzmarktpräparat GW1516 im Ausland erwischt wurde – russische Labors hatten damals noch gar nicht die Testmöglichkeiten und damit auch nicht die Vertuschungsoption – fiel Sakarin im eigenen Lande auf. Vielleicht spielt er also noch eine ganz besondere Rolle im Kampf um Rio.