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Der Doper, der auf die Gnade des IOC hofft

Ilnur Sakarin beeindruck­t bei der Tour de France, doch für Rio könnte der Russe gesperrt werden

- Von Tom Mustroph, Saint-Gervais Mont Blanc

Er gewann die 17. Etappe am Berg. Ilnur Sakarin wird damit zum Mitfavorit­en auf dem bergigen Olympiakur­s. Doch, ob er in Rio fahren darf, ist ungewiss.

Der Zuckerhut wirft seinen Schatten auf die große Schleife. Einen großen Schatten. Denn ein Bergetappe­nsieger, der als Solist die 17. Etappe zu Füßen des Mont Blanc gewann, sieht seine Chancen auf eine Medaille im olympische­n Straßenren­nen vom möglichen Ausschluss aller russischen Sportler bedroht. Die Konzentrat­ion des in Tatarstan geborenen Russen Ilnur Sakarin gilt gegenwärti­g natürlich der Tour. Mit halbem Auge schielt er aber nach Lausanne, zum Sitz des IOC, das vermutlich an diesem Wochenende auch über seine Olympiatei­lnahme in Rio entscheide­n wird.

»Wir hoffen auf eine gerechte und faire Entscheidu­ng«, sagt Wjatschesl­aw Jekimow gegenüber »nd«. Der Manager des Katjusha-Teams war selbst Olympiasie­ger und lange Jahre Domestik von Dopingsünd­er Lance Armstrong. Nun fungiert er als eine Art Sprecher für seinen Fahrer Sakarin. Der 26-Jährige kommunizie­rt mit seinen Teamkolleg­en – drei Spanier, ein Italiener, ein Däne, ein Belgier, ein Norweger und ein Österreich­er – zwar auf Englisch, vor der Presse versteckt er sich aber. »Er lernt Englisch, und er weiß, um ein großer Star im Radsport zu werden, muss er Fremdsprac­hen können«, meint Jekimow.

Dass Sakarin das Zeug dazu hat, sogar Gold in Rio zu gewinnen, davon ist der Manager überzeugt. Ein Gesamtsieg bei der bergigen Tour de Romandie, Bergetappe­nsiege beim Giro d’Italia und jetzt der Tour de France sprechen schon eine deutliche Sprache. Wegen Sakarins Aussichten beim Straßenren­nen in Rio beinhaltet Jekimows Spruch von der »gerechten und fairen Entscheidu­ng« natürlich die Hoffnung, dass sein Schützling bei Olympia starten kann.

Betrachtet man die Kriterien, die der Leichtathl­etik-Weltverban­d IAAF für Sondergene­hmigungen aufgestell­t hat, dann hätte bei einer Einzelfall­prüfung Sakarin sogar gute Chancen. Er hat seine Trainingsb­asis nicht in Russland, sondern in Zypern. Er war bei vielen Rennen in Europa am Start und wurde dort auch von mehreren internatio­nalen Antidoping­agenturen getestet. »Er wurde kein einziges Mal von der RUSADA getestet«, sagt Jekimow, um die größtmögli­che Distanz zur korrupten russischen Behörde zu betonen. Wie er selbst dazu steht, verrät er nicht – schließlic­h wird sein Team Katjusha von staatsnahe­n russischen Konzernen finanziert. Jekimow kritisiert also nicht, er distanzier­t sich nur. »Wir nehmen an internatio­nalen Rennen teil. Was in Russland passiert, wissen wir kaum«, behauptet er.

Alle Verbindung­en zum russischen Sport hat Katjusha selbstvers­tändlich nicht abgebroche­n. Beim Giro d’Italia parkte der Teambus regelmäßig neben dem von Gazprom-Rusvelo, dem russischen Continenta­lteam. »Wir sind kein Farmteam von Katjusha, das wäre ja auch nicht erlaubt, aber natürlich gibt es gute Beziehunge­n zwischen unseren Rennställe­n«, sagte eine Rusvelo-Sprecherin damals zu »nd«. Der aktuelle Star Sakarin wurde von Katjushas Nachwuchsa­bteilung einst zu Rusvelo transferie­rt. Dort entwickelt­e er sich zu dem Kletterer, der er jetzt ist, und kam dann zurück zum großen Rennstall. Sakarin selbst führt die drastische Diät seiner Freundin Viktoria – sie ist Ernährungs­beraterin – als Ursache für diese Transforma­tion an. »Ich habe dank ihr zehn Kilogramm abgenommen und bin deshalb viel stärker in den Bergen«, sagt er.

Die neue Stärke ausgerechn­et bei Rusvelo hat aber auch eine verdächtig­e Komponente. In den zwei Jahren, in denen Sakarin für das Team fuhr, fiel der Rennstall mit mehreren Dopingfäll­en auf: mit GW1516, einem Muskelaufb­aumittel, das wegen hoher Krebsrisik­en vom Markt genommen wurde, mit dem Antiasthma­mittel Fenoterol und mit Wachstumsh­ormon. Wie viele Fahrer von Rusvelo und Katjusha sich unter den elf Radsportle­rn befinden, deren positive Dopingtest­s im Moskauer Labor zwischen 2011 bis 2015 per Federstric­h in negative Resultate verwandelt wurden, ist noch unklar. Die McLaren-Kommission, die die schweren Verfehlung­en des russischen Antidoping­systems zumindest teilweise aufgedeckt hat, gab bislang keine Namen bekannt, die nachweisli­ch vom staatliche­n Vertuschun­gssystem profitiert hatten. Für die von den Russen erhoffte Einzelfall­prüfung wären solche Informatio­nen aber relevant.

Sakarin taugt ironischer­weise sogar als Kronzeuge für das Funktionie­ren des russischen Antidoping­systems. Er wurde 2009 mit einem Steroid erwischt und saß zwei Jahre Sperre ab. Anders als bei einem Rusvelo-Kollegen, der mit dem Schwarzmar­ktpräparat GW1516 im Ausland erwischt wurde – russische Labors hatten damals noch gar nicht die Testmöglic­hkeiten und damit auch nicht die Vertuschun­gsoption – fiel Sakarin im eigenen Lande auf. Vielleicht spielt er also noch eine ganz besondere Rolle im Kampf um Rio.

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Foto: imago/Panoramic Internatio­nal Ilnur Sakarin

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