Wenn Amateure das Fürchten lehren
Obwohl in Rio de Janeiro Boxprofis das erste Mal bei Olympischen Spielen kämpfen können, sagen viele Stars ab
Erstmals können Boxprofis in Rio bei Olympia starten. Doch Stars der Branche wie Wladimir Klitschko oder die Weltmeister Felix Sturm und Jürgen Brähmer kneifen. 2020 in Tokio könnte sich das ändern. Wladimir Klitschko kämpft im Olympischen Ring von Rio: Es wäre ein Riesenspektakel gewesen und hätte Boxen auf einen Schlag zu einem der Höhepunkte der Sommerspiele gemacht. Doch der Wunschtraum vieler Fans wird zumindest bei Olympia 2016 nicht in Erfüllung gehen. Die großen Profiboxstars verzichten. Zum einen, weil der Boxweltverband AIBA relativ kurzfristig den Weg für den erstmaligen Start von Profis bei Olympia freigemacht hatte. Vor allem aber, weil die Boxprofis die Folgen möglicher Niederlagen gegen Amateure fürchten.
»Wenn ein bekannter Profi gegen einen Amateur verlieren würde, wäre das eine richtige Blamage. Und sie hätte Folgen: Ich will nicht vom wirtschaftlichen Ruin reden, aber schon von nachhaltigen, negativen Konsequenzen«, sagt Jürgen Kyas, Präsident des Deutschen Boxsport-Verbandes (DBV). Und das ist nicht dahergeredet: Profiboxverbände hatten ihre teilweise an lukrative TV-Verträge gebundenen Athleten offen mit einer Rückstufung im Ranking gedroht, falls sie in Rio starten.
Es wäre nämlich keinesfalls klar, dass sich die berühmten Boxprofis gegen namenlose Amateure durchsetzen. Das hängt auch mit den unterschiedlichen Kampfformaten zusammen: Die Profis sind bis zu zwölf Runden gewöhnt, olympisch wird nur drei Runden geboxt mit Tempo von der ersten bis zur letzten Sekunde. Beim Olympiaqualifikationsturnier in Venezuela konnten sich von 17 ge- starteten Boxprofis der zweiten und dritten Reihe nur zwei durchsetzen.
»Olympiagold ist zwar auch im Boxen das Größte, doch wenn ich unsere Olympiasieger wie Henry Maske sehe, wie die sich durch die Turniere gequält und gekämpft haben, entdecke ich zumindest bei uns keinen Profi, der das schaffen würde«, stellte Weltmeistermacher Ulli Wegener knallhart fest. Folgerichtig winkten die deutschen Stars wie WBA-Weltmeister Marco Sturm, Arthur Abraham oder Marco Huck ab.
Der vom DBV ausdrücklich eingeladene Halbschwergewichts-Weltmeister Jürgen Brähmer verzichtete ebenfalls – immerhin mit einer einfallsreichen Begründung: »Ich finde es unfair den Amateuren gegenüber, die sich jahrelang auf die Spiele vorbereiten und dann Profis vor die Nase gesetzt bekommen.« Das Management von Wladimir Klitschko schob Zeitgründe vor – schließlich müsse sich der Ex-Champ auf sein Rematch gegen Tyson Fury am 29. Oktober (!) vorbereiten.
Dabei wäre es so eine grandiose Geschichte gewesen: Wladimir Klitschko hatte seine große Karriere mit dem Olympiasieg 1996 begonnen. 20 Jahre später hätte sich der Kreis geschlossen. Für viele Weltstars wie Muhammad Ali, Joe Frazier, George Forman oder auch Henry Maske war der Olympiasieg die Eintrittskarte in die Millionenshow Profiboxen. Den spannenden Gedanken, dass berühmte Profiboxer künftig den umgekehrten Weg zu Olympia gehen, will zumindest Jürgen Kyas nicht aufgeben. Er ist gerade aus Usbekistan von einer Tagung der AIBA zurückgekehrt, wo die Marschrichtung für die Zukunft besprochen wurde.
»Die Tür für die Profiboxer in Sachen Olympia bleibt auf. Von Seiten der AIBA besteht der Wille, gemeinsam mit den Profiboxverbänden und den Promotern zu vernünftigen Lösungen zu kommen. Dabei gibt es keine Tabus«, sagt Kyas. Man könne zum Beispiel auch über eine Verlängerung der olympischen Kämpfe auf fünf Runden reden, um den Profis entgegenzukommen. Kyas will sich nach Rio zum Beispiel mit Promoter Wilfried Sauerland treffen, um Kompromisse auszuloten, die der Amateurund der Profibox-Szene nutzen.
Am Ende geht es natürlich auch ums liebe Geld. Laut Kyas kostet die Ausbildung eines Amateurs vom Start im Alter von zehn Jahren bis zur Spitzenklasse bis zu 500 000 Euro. »Wir machen die Drecksarbeit und die anderen ernten die Früchte«, sagt Kyas. Das könnte sich ändern, wenn Boxen zu einem Highlight der großen Bühne Olympia wird. Kyas: »Davon könnten alle profitieren, auch die Profiboxverbände. Ich glaube, dass es in Tokio 2020 so weit sein wird, dass auch die großen Profiboxstars dabei sind.«