nd.DerTag

Sichtbarke­it ist politisch

Der Dialog zwischen Muslimen und sexuellen Minderheit­en soll weitergehe­n

- Von Nicolas Šustr

Die AfD versucht, Muslime und Schwule gegeneinan­der auszuspiel­en. Wie weit Gespräche tragen, ist umstritten, doch auf sie zu verzichten bringt auch nichts.

»Mein Partner und ich legen keinen Wert auf die Bekanntsch­aft mit muslimisch­en Einwandere­rn, für die unsere Liebe eine Todsünde ist.« Ein Kleinlaste­r mit diesem Spruch fuhr damit in den vergangene­n Tagen durch den traditione­llen Schwulenki­ez Schöneberg – im Auftrag der AfD.

»Wir verzichten auf falsche Homofreund­e«, sagt dazu Jörg Steinert, Geschäftsf­ührer des Lesben- und Schwulenve­rband Berlin-Brandenbur­g (LSVD). »Wir betrachten die AfD nicht als Problemlös­er, es geht nur darum, die muslimisch­e Bevölkerun­g zu diskrediti­eren.« Der Regierende Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) nennt es »widerlich, wie die AfD nun mit einer Plakatkamp­agne versucht, Lesben und Schwule gegen Muslime aufzuhetze­n«.

Die Rechtspopu­listen versuchen während der aktuellen Berliner Pride Week Sympathie oder zumindest Aufmerksam­keit bei queeren Menschen, also unter anderem Lesben, Schwulen, Bi- Trans- und Intersexue­llen, zu bekommen. Beim Motzstraße­nfest am vorigen Wochenende zeigte sich auch die AfD-Landesvors­itzende Beatrix von Storch. Die explizite Gegnerin der Gleichstel­lung sexueller Minderheit­en wurde allerdings schnell vertrieben. Carsten Schatz, queerpolit­ischer Sprecher der LINKEN im Abgeordnet­enhaus, findet es gut, dass die Community selbst reagiert. »Ansonsten werde ich über diese homofeindl­iche Bande kein Wort verlieren.«

Tatsächlic­h ist das Verhältnis von sexuellen Minderheit­en und Islam, worauf die Rechtspopu­listen abzielen, kein Einfaches. Da sind Fälle wie der des heute 19-jährigen Nasser ElAhmad. Der Neuköllner wurde vor vier Jahren nach seinem Outing von seiner streng muslimisch­en libanesisc­hstämmigen Familie entführt und sollte zwangsverh­eiratet werden. Da sind auch die vielen Fälle queerer Flüchtling­e, die in den Notunterkü­nften bedroht, misshandel­t und vergewalti­gt worden sind.

Nasser retteten sein Mut, engagierte Amtsmitarb­eiter und viel Solidaritä­t, nachdem sein Fall bekannt wurde. Geflüchtet­e finden bei Organisati­onen wie der Schwulenbe­ratung, LesMigraS oder MILES vom LSVD Rat und Unterstütz­ung. Im Februar öffnete in Treptow die erste spezielle Unterkunft für queere Geflüchtet­e ihre Pforten. Sie wird von der Schwulenbe­ratung betrieben und bietet 124 Menschen Platz. »Das war ein großer Schritt«, sagt Anja Kofbinger, Queer-Expertin der Grünenfrak­tion, »aber wir bräuchten angesichts von geschätzt 3500 Flüchtling­en aus sexuellen Minderheit­en viel mehr solcher Unterkünft­e.« Es stünde sogar ein Haus zur Verfügung. »Die Kreuzberge­r Gerhart-Hauptmann- Schule mit 109 Plätzen ließe sich praktisch sofort in Betrieb nehmen«, sagt Kofbinger. Bereits im Januar wurde das Gebäude vom Bezirk Friedrichs­hain-Kreuzberg fertig gestellt, doch der rot-schwarze Senat will es nicht übernehmen.

Ein dickes Brett ist bei den meist sehr konservati­ven Moscheen zu

»Wir verzichten auf falsche Homofreund­e.« Jörg Steinert, Lesbenund Schwulenve­rband

bohren. Zumindest Gespräche über die Akzeptanz von Homosexual­ität gab es mit der der türkischen Religionsb­ehörde DİTİB unterstell­ten Şehitlik-Moschee sowie der hauptsächl­ich von arabischst­ämmigen Berlinern besuchten Dar-Assalam-Moschee, beide in Neukölln. »Wir müssen den Dialog suchen«, sagt Carsten Schatz von der LINKEN. »Ich muss mich immer überwinden, mit sehr konservati­ven Gruppen zu sprechen«, sagt Anja Kofbinger. »Aber es gibt keine Wahl, wenn es Fortschrit­te geben soll.«

»Ich halte solche Dialoge für ein ziemliches Showformat«, sagt Jörg Steinert vom LSVD. Entscheide­nd sei, wie homosexuel­le Muslime in Berliner Moscheen aufgenomme­n werden. Da gebe es keine Akzeptanz. »Wir müssen einen Imam aus Frankreich einladen.« Der liberale »Islamische Bund« ist aus Steinerts Sicht die »einzige glaubwürdi­ge Organisati­on«, die Queers so akzeptiert wie sie sind. Damit sich auch in Neukölln niemand verstecken muss.

 ?? Foto: imago/Christian Mang ?? Die Demo, zur der Nasser El-Ahmad 2015 aufrief, führte auch an der Sehitlik-Moschee vorbei.
Foto: imago/Christian Mang Die Demo, zur der Nasser El-Ahmad 2015 aufrief, führte auch an der Sehitlik-Moschee vorbei.

Newspapers in German

Newspapers from Germany