Sichtbarkeit ist politisch
Der Dialog zwischen Muslimen und sexuellen Minderheiten soll weitergehen
Die AfD versucht, Muslime und Schwule gegeneinander auszuspielen. Wie weit Gespräche tragen, ist umstritten, doch auf sie zu verzichten bringt auch nichts.
»Mein Partner und ich legen keinen Wert auf die Bekanntschaft mit muslimischen Einwanderern, für die unsere Liebe eine Todsünde ist.« Ein Kleinlaster mit diesem Spruch fuhr damit in den vergangenen Tagen durch den traditionellen Schwulenkiez Schöneberg – im Auftrag der AfD.
»Wir verzichten auf falsche Homofreunde«, sagt dazu Jörg Steinert, Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD). »Wir betrachten die AfD nicht als Problemlöser, es geht nur darum, die muslimische Bevölkerung zu diskreditieren.« Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) nennt es »widerlich, wie die AfD nun mit einer Plakatkampagne versucht, Lesben und Schwule gegen Muslime aufzuhetzen«.
Die Rechtspopulisten versuchen während der aktuellen Berliner Pride Week Sympathie oder zumindest Aufmerksamkeit bei queeren Menschen, also unter anderem Lesben, Schwulen, Bi- Trans- und Intersexuellen, zu bekommen. Beim Motzstraßenfest am vorigen Wochenende zeigte sich auch die AfD-Landesvorsitzende Beatrix von Storch. Die explizite Gegnerin der Gleichstellung sexueller Minderheiten wurde allerdings schnell vertrieben. Carsten Schatz, queerpolitischer Sprecher der LINKEN im Abgeordnetenhaus, findet es gut, dass die Community selbst reagiert. »Ansonsten werde ich über diese homofeindliche Bande kein Wort verlieren.«
Tatsächlich ist das Verhältnis von sexuellen Minderheiten und Islam, worauf die Rechtspopulisten abzielen, kein Einfaches. Da sind Fälle wie der des heute 19-jährigen Nasser ElAhmad. Der Neuköllner wurde vor vier Jahren nach seinem Outing von seiner streng muslimischen libanesischstämmigen Familie entführt und sollte zwangsverheiratet werden. Da sind auch die vielen Fälle queerer Flüchtlinge, die in den Notunterkünften bedroht, misshandelt und vergewaltigt worden sind.
Nasser retteten sein Mut, engagierte Amtsmitarbeiter und viel Solidarität, nachdem sein Fall bekannt wurde. Geflüchtete finden bei Organisationen wie der Schwulenberatung, LesMigraS oder MILES vom LSVD Rat und Unterstützung. Im Februar öffnete in Treptow die erste spezielle Unterkunft für queere Geflüchtete ihre Pforten. Sie wird von der Schwulenberatung betrieben und bietet 124 Menschen Platz. »Das war ein großer Schritt«, sagt Anja Kofbinger, Queer-Expertin der Grünenfraktion, »aber wir bräuchten angesichts von geschätzt 3500 Flüchtlingen aus sexuellen Minderheiten viel mehr solcher Unterkünfte.« Es stünde sogar ein Haus zur Verfügung. »Die Kreuzberger Gerhart-Hauptmann- Schule mit 109 Plätzen ließe sich praktisch sofort in Betrieb nehmen«, sagt Kofbinger. Bereits im Januar wurde das Gebäude vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg fertig gestellt, doch der rot-schwarze Senat will es nicht übernehmen.
Ein dickes Brett ist bei den meist sehr konservativen Moscheen zu
»Wir verzichten auf falsche Homofreunde.« Jörg Steinert, Lesbenund Schwulenverband
bohren. Zumindest Gespräche über die Akzeptanz von Homosexualität gab es mit der der türkischen Religionsbehörde DİTİB unterstellten Şehitlik-Moschee sowie der hauptsächlich von arabischstämmigen Berlinern besuchten Dar-Assalam-Moschee, beide in Neukölln. »Wir müssen den Dialog suchen«, sagt Carsten Schatz von der LINKEN. »Ich muss mich immer überwinden, mit sehr konservativen Gruppen zu sprechen«, sagt Anja Kofbinger. »Aber es gibt keine Wahl, wenn es Fortschritte geben soll.«
»Ich halte solche Dialoge für ein ziemliches Showformat«, sagt Jörg Steinert vom LSVD. Entscheidend sei, wie homosexuelle Muslime in Berliner Moscheen aufgenommen werden. Da gebe es keine Akzeptanz. »Wir müssen einen Imam aus Frankreich einladen.« Der liberale »Islamische Bund« ist aus Steinerts Sicht die »einzige glaubwürdige Organisation«, die Queers so akzeptiert wie sie sind. Damit sich auch in Neukölln niemand verstecken muss.