Stimme der Aborigines
Linda Burney zieht als erste indigene Frau ins australische Repräsentantenhaus ein.
Voraussichtlich dauert es noch einige Wochen, bis sich das neugewählte australische Parlament in Canberra konstituiert. Und noch etwas länger, bis sie dort erstmals am Rednerpult stehen wird. Eines ist aber schon klar: Zu den leisen, unauffälligen Vertretern im Hohen Haus wird Linda Burney nicht gehören. Denn die Abgeordnete der Labor Party, die als erste indigene Frau im Repräsentantenhaus Platz nehmen wird, ist dafür bekannt, für ihre Überzeugungen einzustehen und dabei auch anzuecken.
116 Jahre alt ist die Parlamentsgeschichte Down Unders – und nicht nur auf nationaler, sondern gleichermaßen auf regionaler Ebene ganz überwiegend weiß. Jahrzehntelang kamen die Aborigines dabei überhaupt nicht vor. Und auch heute sind sie nur eine Randerscheinung, weshalb Linda Burneys Wahl ebenso eine Sensation darstellt wie seinerzeit die von Ken Wyatt. Der Konservative aus West-Australien war 2010 als erster Indigener überhaupt ins Abgeordnetenhaus eingezogen, dessen Mitglieder in den Wahlkreisen direkt gewählt werden. Selbst im Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, hatte es bis 1971 gedauert, als mit Neville Bonner der erste Aborigine zum Senator ernannt wurde. Und seit damals gab es landesweit auf beiden Ebenen nur 33 Volksvertreter überhaupt, die nachweislich indigener Abstammung sind.
Linda Burney ist eine Frau, die Geschichte schreibt. Und das schon mehrfach. Auch in ihrem HeimatBundesstaat New South Wales (NSW) war sie 2003 die Erste aus den Reihen der Aborigines, die dort den Parlamentseinzug schaffte. Schon damals war der Jubel enorm. Jetzt war er noch einmal etwas größer. Schließlich wird doch an ihrer Person auf nationaler Ebene deutlich, dass sich einerseits die Zeiten zu ändern beginnen, andererseits noch so vieles zu tun ist, bevor ethische Herkunft keine tragende Rolle mehr spielt und indigene Abgeordnete eine Selbstverständlichkeit darstellen.
Burney weiß um ihre Symbolkraft. Die streitbare Sozialdemokratin hat sich zeitlebens für ihre im Alltag allzu oft benachteiligte Bevölkerungsgruppe eingesetzt. Ihre Sonderstellung wird ihr anhand all der offenen oder unterschwelligen rassistischen Angriffe immer wieder deutlich, denen sie sich zwar weniger im direkten Gespräch, wohl aber in Kommentarspalten gerade elektronischer Medien ausgesetzt sieht. Es sind Statements, die zeigen, dass das Land seine gesellschaftliche Spaltung weder in den realen Lebensbedingungen von »Weißen« und Aborigines, noch in vielen Köpfen schon überwunden hat. Australiens Metropolen mögen liberal und weltoffen wirken. Linda Burney Doch gerade in vielen ländlichen Gegenden hält sich weiter der Glaube, die Briten im Gefolge von James Cooks erstem Landgang 1788 hätten die Geschichtsschreibung des Landes begonnen – und ihren Nachfahren stünde noch heute die Herrschaft über alle anderen zu.
Die Frau, die nun formell von der Regional- in die nationale Politik wechselt, obwohl sie auch 2008/09 schon einmal Parteivorsitzende der Labor Party war, hat ihr Berufsleben 1979 als Lehrerin an einer öffentlichen Schule im Westen Sydneys begonnen. Schon seinerzeit war sie die Erste indigener Abstammung, die von ihrer Ausbildungsstätte, der späteren Charles Sturt University, das Lehrerdiplom erhielt. Und es war die gleiche Uni, die sie 2002 – abermals als erste Indigene – mit der Ehrendoktorwürde krönte, damit ihr jahrzehntelanges Engagement insbesondere für gleichberechtigte Bildungschancen von Aborigines-Kindern würdigend.
Chancengerechtigkeit ist das Herzensthema von Linda Burney, die auf ihrer Karriereleiter im Jahr 2000 zur Generaldirektorin des Department of Aboriginal Affairs in NSW aufstieg, zudem Ex-Präsidentin der Beratungsgruppe für Aborigines-Bildung im Bundesstaat ist und mehrere Jahre im National Council for Aboriginal Reconciliation saß – dem wichtigsten Gremium, das sich für eine Aussöhnung der Bevölkerungsgruppen einsetzt. Sie selbst, zur stolzen Wiradjuri-Nation gehörend, hat ihre engste Familie übrigens erst ab 1984 als Erwachsene kennen gelernt. Damals stand sie, die im Haus eines weißen Großonkels aufwuchs, erstmals ihrem Vater gegenüber. »Plötzlich hatte ich zehn neue Geschwister«, erzählte sie später. Mit solchen familiären Brüchen steht sie in der Aborigines-Gemeinschaft keineswegs allein. Jahrzehntelang war es sogar offizielle staatliche Praxis, indigenen Eltern ihre Kinder wegzunehmen.
In einer Labor-Regierung hätte sie auf einen Kabinettsplatz hoffen können. Nun werden doch die Konservativen weiterregieren. Sie wird ihre Ministererfahrung in die Oppositionsarbeit einfließen lassen. Vier Jahre nach ihrem NSW-Parlamentseinzug wurde sie dort zur Ministerin für Fairen Handel, Jugend und Freiwilligendienste berufen, rückte 2008 an die Spitze des Ressorts für »Community Services«, eine Art Sozialministerium.
Privat kann sich die Politikerin übrigens für Rugby begeistern, ist Fan der Bulldogs aus Sydney, die seit ihrer Gründung 1934 schon achtmal den Meistertitel holten, damit einer der erfolgreichsten und beliebtesten Vereine der Liga sind. Und 2013 wurde Linda Burney auch zur Vorsitzenden des Australian Rugby League Indigenous Council gewählt.