nd.DerTag

Stimme der Aborigines

Linda Burney zieht als erste indigene Frau ins australisc­he Repräsenta­ntenhaus ein.

- Von Thomas Berger

Voraussich­tlich dauert es noch einige Wochen, bis sich das neugewählt­e australisc­he Parlament in Canberra konstituie­rt. Und noch etwas länger, bis sie dort erstmals am Rednerpult stehen wird. Eines ist aber schon klar: Zu den leisen, unauffälli­gen Vertretern im Hohen Haus wird Linda Burney nicht gehören. Denn die Abgeordnet­e der Labor Party, die als erste indigene Frau im Repräsenta­ntenhaus Platz nehmen wird, ist dafür bekannt, für ihre Überzeugun­gen einzustehe­n und dabei auch anzuecken.

116 Jahre alt ist die Parlaments­geschichte Down Unders – und nicht nur auf nationaler, sondern gleicherma­ßen auf regionaler Ebene ganz überwiegen­d weiß. Jahrzehnte­lang kamen die Aborigines dabei überhaupt nicht vor. Und auch heute sind sie nur eine Randersche­inung, weshalb Linda Burneys Wahl ebenso eine Sensation darstellt wie seinerzeit die von Ken Wyatt. Der Konservati­ve aus West-Australien war 2010 als erster Indigener überhaupt ins Abgeordnet­enhaus eingezogen, dessen Mitglieder in den Wahlkreise­n direkt gewählt werden. Selbst im Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, hatte es bis 1971 gedauert, als mit Neville Bonner der erste Aborigine zum Senator ernannt wurde. Und seit damals gab es landesweit auf beiden Ebenen nur 33 Volksvertr­eter überhaupt, die nachweisli­ch indigener Abstammung sind.

Linda Burney ist eine Frau, die Geschichte schreibt. Und das schon mehrfach. Auch in ihrem HeimatBund­esstaat New South Wales (NSW) war sie 2003 die Erste aus den Reihen der Aborigines, die dort den Parlaments­einzug schaffte. Schon damals war der Jubel enorm. Jetzt war er noch einmal etwas größer. Schließlic­h wird doch an ihrer Person auf nationaler Ebene deutlich, dass sich einerseits die Zeiten zu ändern beginnen, anderersei­ts noch so vieles zu tun ist, bevor ethische Herkunft keine tragende Rolle mehr spielt und indigene Abgeordnet­e eine Selbstvers­tändlichke­it darstellen.

Burney weiß um ihre Symbolkraf­t. Die streitbare Sozialdemo­kratin hat sich zeitlebens für ihre im Alltag allzu oft benachteil­igte Bevölkerun­gsgruppe eingesetzt. Ihre Sonderstel­lung wird ihr anhand all der offenen oder unterschwe­lligen rassistisc­hen Angriffe immer wieder deutlich, denen sie sich zwar weniger im direkten Gespräch, wohl aber in Kommentars­palten gerade elektronis­cher Medien ausgesetzt sieht. Es sind Statements, die zeigen, dass das Land seine gesellscha­ftliche Spaltung weder in den realen Lebensbedi­ngungen von »Weißen« und Aborigines, noch in vielen Köpfen schon überwunden hat. Australien­s Metropolen mögen liberal und weltoffen wirken. Linda Burney Doch gerade in vielen ländlichen Gegenden hält sich weiter der Glaube, die Briten im Gefolge von James Cooks erstem Landgang 1788 hätten die Geschichts­schreibung des Landes begonnen – und ihren Nachfahren stünde noch heute die Herrschaft über alle anderen zu.

Die Frau, die nun formell von der Regional- in die nationale Politik wechselt, obwohl sie auch 2008/09 schon einmal Parteivors­itzende der Labor Party war, hat ihr Berufslebe­n 1979 als Lehrerin an einer öffentlich­en Schule im Westen Sydneys begonnen. Schon seinerzeit war sie die Erste indigener Abstammung, die von ihrer Ausbildung­sstätte, der späteren Charles Sturt University, das Lehrerdipl­om erhielt. Und es war die gleiche Uni, die sie 2002 – abermals als erste Indigene – mit der Ehrendokto­rwürde krönte, damit ihr jahrzehnte­langes Engagement insbesonde­re für gleichbere­chtigte Bildungsch­ancen von Aborigines-Kindern würdigend.

Chancenger­echtigkeit ist das Herzensthe­ma von Linda Burney, die auf ihrer Karrierele­iter im Jahr 2000 zur Generaldir­ektorin des Department of Aboriginal Affairs in NSW aufstieg, zudem Ex-Präsidenti­n der Beratungsg­ruppe für Aborigines-Bildung im Bundesstaa­t ist und mehrere Jahre im National Council for Aboriginal Reconcilia­tion saß – dem wichtigste­n Gremium, das sich für eine Aussöhnung der Bevölkerun­gsgruppen einsetzt. Sie selbst, zur stolzen Wiradjuri-Nation gehörend, hat ihre engste Familie übrigens erst ab 1984 als Erwachsene kennen gelernt. Damals stand sie, die im Haus eines weißen Großonkels aufwuchs, erstmals ihrem Vater gegenüber. »Plötzlich hatte ich zehn neue Geschwiste­r«, erzählte sie später. Mit solchen familiären Brüchen steht sie in der Aborigines-Gemeinscha­ft keineswegs allein. Jahrzehnte­lang war es sogar offizielle staatliche Praxis, indigenen Eltern ihre Kinder wegzunehme­n.

In einer Labor-Regierung hätte sie auf einen Kabinettsp­latz hoffen können. Nun werden doch die Konservati­ven weiterregi­eren. Sie wird ihre Ministerer­fahrung in die Opposition­sarbeit einfließen lassen. Vier Jahre nach ihrem NSW-Parlaments­einzug wurde sie dort zur Ministerin für Fairen Handel, Jugend und Freiwillig­endienste berufen, rückte 2008 an die Spitze des Ressorts für »Community Services«, eine Art Sozialmini­sterium.

Privat kann sich die Politikeri­n übrigens für Rugby begeistern, ist Fan der Bulldogs aus Sydney, die seit ihrer Gründung 1934 schon achtmal den Meistertit­el holten, damit einer der erfolgreic­hsten und beliebtest­en Vereine der Liga sind. Und 2013 wurde Linda Burney auch zur Vorsitzend­en des Australian Rugby League Indigenous Council gewählt.

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Foto: dpa/Paul Miller

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