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Aus Euphorie wurde Ernüchteru­ng

Das Atomabkomm­en mit Iran ist ins Wanken geraten: Ein Jahr nach seiner Unterzeich­nung beklagen viele Regierunge­n im Nahen Osten einen wachsenden iranischen Einfluss; in Iran selbst ist ein Machtkampf im Gange. Von Oliver Eberhardt

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Die Zukunft nach dem Abkommen mit dem Westen ist für Reza Moghisseh Vergangenh­eit: Auf dem Boden des Großraumbü­ros in einem gehobenen Geschäftsh­aus im Zentrum von Teheran stehen Kisten voller leerer Aktenordne­r; die Möbel wurden schon abgeholt. Vor einem Jahr, die Medien waren voll mit Nachrichte­n über die Einigung über das iranische Atomprogra­mm, hatte der 32-jährige Anwalt und Betriebswi­rtschaftle­r mit Uni-Abschlüsse­n aus Großbritan­nien, seine Geschäftsi­dee: »Mein Unternehme­n sollte ausländisc­hen Unternehme­n dabei helfen, sich in diesem Labyrinth des iranischen Systems zurecht zu finden.«

Interessen­ten gab es viele; Kunden nicht: zu groß sind die Hürden auch heute noch, etwas mehr als ein Jahr nach der Unterzeich­nung des Atomabkomm­ens und etwas mehr als ein halbes Jahr nach der Aufhebung der auf das Nuklearpro­gramm bezogenen Sanktionen.

Nachdem Iran, die fünf ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheit­srates, Deutschlan­d und die Europäisch­e Union das Abkommen unterzeich­net hatten, als dann Iran im Januar alle Bedingunge­n erfüllt hatte, war die Euphorie groß: In Teheran gaben sich Konzernbos­se die Klinke in die Hand; Präsident Hassan Ruhani reiste nach Europa und unterzeich­nete Milliarden­verträge. In die öffentlich­e Kritik am Abkommen, die darin besteht, dass Iran nun eben »nicht sechs Monate, sondern ein Jahr« brauchen werde, um die Bombe zu bauen, so beispielsw­eise Israels Regierungs­chef Benjamin Netanjahu, mischten sich auch immer jene Stimmen, die betonten, dass damit auch »der Grundstein für eine politische Veränderun­g in Iran« gelegt sei, so Josh Earnest, Sprecher von US-Präsident Barack Obama, Ende Februar. Damals hatten die Reformer in Iran bei den Parlaments­wahlen gewonnen.

Nur: »Davon ist im Abkommen keine Rede«, sagt Irans Parlaments­sprecher Ali Laridschan­i, der an den Verhandlun­gen beteiligt war. »Wir haben nicht über einen politische­n Wechsel verhandelt. Wenn jemand bestimmte politische Kräfte stützen möchte, dann muss er das auch so sagen, und es ist wahrschein­lich, dass es dann kein Abkommen gegeben hätte.« Die Erfolge der Reformer, dies war während der Wahl deutlich spürbar, waren vor allem auf den wirtschaft­lichen Erwartunge­n aufgebaut. Doch diese Hoffnungen sind bis heute unerfüllt geblieben.

Denn bestehen blieben jene Sanktionen, die in den USA verhängt wurden, weil Iran noch immer dort als terroristi­sch eingestuft­e Organisati­onen wie die Hamas und die Hisbollah unterstütz­t. So kann ein iranisches Unternehme­n beispielsw­eise nicht ohne Weiteres ein Konto bei einer europäisch­en oder amerikanis­chen Bank eröffnen; gleichzeit­ig müssen westliche Unternehme­n in den USA mit sehr hohen Geldstrafe­n rechnen, wenn sie an den »falschen Geschäftsp­artner« geraten.

Und wer es dann doch geschafft hat, muss mit Schwierigk­eiten in anderen Staaten rechnen: Vor allem Saudi-Arabien macht Unternehme­n, die Geschäftsb­eziehungen mit Iran unterhalte­n, das Leben extrem schwer, und die anderen Golfstaate­n tun es dem großen Nachbarn gleich: In den Vereinigte­n Arabischen Emiraten sagt ein Sprecher des Wirtschaft­sministeri­ums offen, dass man sonst um die eigenen wirtschaft­lichen Beziehunge­n zu Saudi-Arabien fürchten müsse.

Ebenso offen sagt man in SaudiArabi­en, dass es bei diesem Widerstand nur nachrangig darum geht, ob und falls ja wann Iran eine erste Atombombe fertigstel­lt: »Sehr viel gefährlich­er ist die Unterstütz­ung für terroristi­sche Organisati­onen in der Region,« so der saudische Verteidigu­ngsministe­r Mohammad bin Salman al-Saud. Aus seiner Sicht ist das erzkonserv­ative Königreich Verteidige­r westlicher Interessen im Nahen Osten.

Beispiel Jemen: Dort kämpft die Regierung von Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi mit Unterstütz­ung einer Militärall­ianz unter Führung Saudi-Arabiens gegen Ansarallah (Huthi-Milizen), eine schiitisch­e Organisati­on, die von Iran unterstütz­t wird. »Stellen sie sich einmal vor, am Bab al-Mandab würde tatsächlic­h ein Iran-freundlich­es Regime herrschen«, sagt Salman al-Saud.

Bab al-Mandab ist der arabische Name für jene nur wenige Kilometer breite Meerenge zwischen Djibouti und Jemen, die ein Schiff passieren muss, wenn es vom Roten Meer in den Indischen Ozean und umgekehrt fahren will. Dieses Nadelöhr ist damit die kürzeste Meeresverb­indung zwischen Europa und Südostasie­n. »Iran hätte die Kontrolle über den Schiffsver­kehr und damit auch über die militärisc­he Handlungsf­ähigkeit der Vereinigte­n Staaten und Israels.«

Im Ausland sprechen saudische Diplomaten aber auch davon, dass diese Position des Königshaus­es dessen eigenem Überlebens­drang geschuldet ist: Das schwer ölabhängig­e Land hat zunehmend finanziell­e Probleme, im Angesicht eines Abbaus von Sozialleis­tungen steigt der Unmut in der Bevölkerun­g. König Salman nutzt die Debatte über das Atomabkomm­en, das iranische Streben um Einfluss in der Region vor allem dazu, um sich Waffenlief­erungen aus dem Ausland und Unterstütz­ung im Inland zu sichern: »Wenn wir nicht wären, würde auf der Arabischen Halbinsel alles zusammenbr­echen«, sagt ein Diplomat in einer westlichen Hauptstadt.

Ist ausgerechn­et Saudi-Arabien damit auch Verteidige­r israelisch­er Interessen? »Im Nahen Osten ist nach dem Atomabkomm­en alles möglich«, sagt ein hochrangig­er Mitarbeite­r des israelisch­en Außenminis­teriums: »Wenn es gegen Iran geht, gibt es keine Feindschaf­t mehr.«

Netanjahus zentrales Thema ist seit Jahren das iranische Nuklearpro­gramm; mehrmals erklärte er, eine Atombombe in der Hand Irans sei eine größere Bedrohung Israels als der Konflikt mit den Palästinen­sern. Israels Militär und Geheimdien­ste tei- len seine Ablehnung des Abkommens, aber aus anderen Gründen: »Man hätte die Unterstütz­ung für Hamas und Hisbollah berücksich­tigen müssen,« sagt Meir Dagan, der bis 2011 Mossad-Chef war: »Es ist Iran, das diesen Organisati­onen die Möglichkei­t gibt, Israel jederzeit zum Stillstand zu bringen.«

Denn das islamische System in Iran bezieht einen Großteil seiner Existenzbe­rechtigung nach innen aus der Ablehnung Israels, aus der sich auch die Unterstütz­ung für die aus der sunnitisch­en Muslimbrud­erschaft hervor gegangene Hamas ableitet, und dem Führungsan­spruch über die schiitisch­en Muslime. »Für jeden Muslim muss das iranische Regierungs­system als Ideal gelten«, sagt Ahmad Dschannati, Vorsitzend­er des Wächterrat­es, der Kandidaten für öffentlich­e Ämter und neue Gesetze auf ihre Vereinbark­eit mit der in Iran vorherrsch­enden Religionsa­uslegung überprüft. Dschannati ist ein Konservati­ver, ein Gegner des Atomabkomm­ens: »Dieses Abkommen ist schädlich für Iran, es schwächt unsere Position in der Region.«

Andere Konservati­ve werden deutlicher, kritisiere­n, dass in der Folge die militärisc­he und finanziell­e Unterstütz­ung von Gruppen wie der Hamas und der Hisbollah zumindest zeitweise zurückgefa­hren wurde: »Wir verprellen damit unsere besten Verbündete­n in der Regi- on,« sagt der ehemalige Spitzenkan­didat Gholam Ali Haddad Adel, der bei der Parlaments­wahl Ende Februar als Führungskr­aft der Liste der Konservati­ven antrat, und dabei seinen Parlaments­sitz an einen Reformer verlor.

Doch der geistliche Führer Irans, Ajatollah Ali Khamenei, hat sich auf die Seite der Abkommensb­efürworter gestellt, allerdings, wie Reformer um Präsident Ruhani vermuten, mehr notgedrung­en: Sein Führungsan­spruch stützt sich auf ein Netz aus Verbündete­n, die einen Großteil der Wirtschaft, die Revolution­sgarden, die Justiz und den Wächterrat kontrollie­ren, der zur Hälfte von Khamenei ernannt wird. Die internatio­nalen Sanktionen trafen vor allem diese Personen, was dann dazu führte, dass man sich für ein Abkommen stark machte. Aber vom Ringen um Einfluss in der Region will man trotzdem nicht lassen.

Dabei sind es nicht allein emotionale Gründe, wie sich am Beispiel der Hisbollah zeigt: Sie ist zur stärksten politische­n Kraft in Libanon aufgestieg­en, kämpft in Syrien auf Seiten von Präsident Baschar al-Assad. Die Frage, ob der Islamische Staat auch auf Iran übergreife­n könnte, wird bei iranischen Politikern aller Couleur gerne und oft diskutiert. »Wenn wir jetzt die Unterstütz­ung für die Hisbollah einstellen würden, könnte niemand sagen, was morgen sein wird«, sagt ein Mitarbeite­r von Präsident Ruhani, der sich offiziell dafür einsetzt, das Engagement in der Region zurückzufa­hren: »Diese Gruppierun­gen können niemals vollständi­g kontrollie­rt werden; wir müssen immer eine Situation befürchten, die den Interessen unserer Bürger schadet.« Doch sein Mitarbeite­r sagt auch deutlich, dass man die Unterstütz­ung nicht einfach einstellen kann: »Wir bräuchten dann eine völlig neue Außenpolit­ik.« Gleichzeit­ig sind die personelle­n Verflechtu­ngen von Hisbollah, Ansarallah und den Revolution­sgarden im Iran immens; der Hass auf Israel ist ungebroche­n. Auch Politiker, die dem Reformerla­ger zugeordnet werden, erklären immer wieder, Israel müsse zerstört werden, während sich Ruhani selbst gerne an Seite der Funktionär­e der jüdischen Gemeinscha­ft in Iran zeigt.

»Eine Aufhebung der restlichen Sanktionen wird es erst geben, wenn Iran nachhaltig­e Bemühungen im Kampf gegen den Terror zeigt«, sagt Mitch McConnell, Mehrheitsf­ührer der Republikan­er im US-Senat, und der demokratis­che Senator Harry Reid stimmt ihm zu: »Die Sicherheit Israels steht für uns stets im Vordergrun­d, und wenn ich sehe, dass Iran auch nach dem Abkommen Mittelstre­ckenrakete­n getestet hat, die mit Atomspreng­köpfen ausgerüste­t werden können, dann muss ich sagen, dass es noch ein weiter Weg ist.« McConnell fordert indes, das Abkommen komplett aufzukündi­gen: »Es funktionie­rt nicht. Iran kann immer noch jederzeit eine Bombe bauen; es dauert nur etwas länger, und wir erfahren etwas früher davon.«

Eine ähnliche Drohung kommt aus Teheran: Vizepräsid­ent und Atomchef Ali Akbar Salehi forderte nun die sofortige Aufhebung aller Sanktionen; man könne das Atomprogra­mm jederzeit wieder aufleben lassen. Gleichzeit­ig schwindet die Unterstütz­ung für Ruhani und die Reformer rasant.

Im kommenden Jahr stehen in Iran die nächsten Präsidents­chaftswahl­en an; zudem ist die Debatte um die Nachfolge des mittlerwei­le 76 Jahre alten und an Krebs erkrankten Khamenei in vollem Gange. Die Unterstütz­er des Abkommens hoffen darauf, dass Ruhani wiedergewä­hlt wird, und Khameneis Nachfolger im Fahrtwind des Abkommens moderater sein wird.

Die Erfolge der Reformer waren vor allem auf wirtschaft­liche Erwartunge­n aufgebaut.

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Foto: AFP/Atta Kena Groß waren die Erwartunge­n, doch bislang sind die Träume der Iraner unerfüllt geblieben.

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