nd.DerTag

Gegen »Genderismu­s«, für »preußische Tugenden«

Abseits provokativ­er Zuspitzung­en sind die schulpolit­ischen Vorstellun­gen der AfD vor allem eines: ein Beschwören konservati­ver Politik der 1970er Jahre.

- Von Erhard Korn Der Autor ist Vorsitzend­er der RLS Baden-Württember­g und Leiter (im Team) des Vorstandsb­ereichs Grundsatzf­ragen des Landesverb­andes der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) in Baden-Württember­g. Bis zu seiner Pensionier­ung vor ein

Ein klassische­s Eigentor schoss AfD-Vize Alexander Gauland kurz vor der Fußball-Europameis­terschaft mit seinen abfälligen Bemerkunge­n über den Fußballspi­eler Jérôme Boateng. Die Behauptung, es gebe Menschen, die möchten Boateng nicht als Nachbarn haben, rief einen Proteststu­rm auch beim DFB hervor – anders als noch vor 15 Jahren, als sich der DFB mit seinem Präsidente­n Gerhard Mayer-Vorfelder solidarisi­erte, als dieser die Ausstellun­g »Tatort Stadion. Rassismus und Diskrimini­erung im Fußball« mit merkwürdig­en Sätzen über genetische Voraussetz­ungen von afrikanisc­he Fußballern und »Germanen« kommentier­te.

Die »versifften 68er« mit Jeans und Bart waren auch dem CDU-Politiker Mayer-Vorfelder schon ein Graus. Er forderte preußische Disziplin statt Kritikfähi­gkeit, Elite statt »Nivellieru­ng sozialer Unterschie­de«, Hauptschul­e statt Gesamtschu­le, Familie statt Ganztagssc­hule, Bundeswehr­werbung statt Friedenser­ziehung, ein positives Deutschlan­dbild, Platz für deutsches Liedgut und vor allem das Deutschlan­dlied. Mit dieser Politik hielt er in seiner Zeit als Kultusmini­ster (1980-1991) dem als eher liberal geltenden Ministerpr­äsidenten Lothar Späth »den konservati­ven Flügel frei«, wie er selbst in seinen Erinnerung­en formuliert­e.

Dieses Feld wird jetzt von der AfD beackert. »Preußische Tugenden, eine strenge Leistungso­rientierun­g und ein Ende der Kuschelpäd­agogik« fordert Hans-Thomas Tillschnei­der für die AfD in Sachsen-Anhalt. Ganz im Ton Mayer-Vorfelders kritisiert die AfD in ihrem Bundesprog­ramm die »nach unten nivelliere­nde Einheitssc­hule« und in ihrem Landtagswa­hlprogramm für Baden-Württember­g gar die »Planierung unseres leis- tungsorien­tierten, mehrgliedr­igen Schulsyste­ms zur semi-sozialisti­schen Gleichmach­erei der Gemeinscha­ftsschulen«. Stattdesse­n soll es nach ihren Vorstellun­gen überall »leistungsh­omogene Lerngruppe­n« geben. Mit der Wiedereinf­ührung der verbindlic­hen Zuweisung zu den drei weiterführ­enden Schularten nach Klasse 4 will die Rechtspart­ei das gegliedert­e Schulwesen restaurier­en, die Hauptschul­e soll wieder (nur) auf praktische Berufe vorbereite­n und der Anteil der Abiturient­en durch eine Stärkung des Leistungsp­rinzips gesenkt werden. Selbst »offene Kindergart­enkonzepte« stoßen auf Ablehnung. Schüler sollen sich auf das im Grundsatzp­rogramm eingeforde­rte Recht freuen, im auch »nach unten durchlässi­gen« Schulsyste­m »Niederlage­n zu erfahren«, andere dürfen darauf hoffen, in ihrem Lernerfolg nicht durch Inklusion von Behinderte­n gestört zu werden.

Die Integratio­n von Flüchtling­en lehnt die AfD ab, Kinder von Asylbewerb­ern sollen, so der Thüringer AfDVorsitz­ende Björn Höcke, nur »eine Grundbesch­ulung möglichst in ihrer Mutterspra­che erhalten«. Nur anerkannte Asylsuchen­de »sollen regel- beschult werden« – allerdings nicht »integrativ« und nicht unterstütz­t durch Sozialpäda­gogen und Psychologe­n, denn eine solche »Ausweitung der unprodukti­ven Sozialindu­strie belastet nur die Steuerzahl­er«. Entspreche­nd werden die Vorschläge der GEW für ein Sofortprog­ramm für den Deutschunt­erricht von Migranten abgelehnt.

Mit ihrer Forderung nach einem generellen Kopftuchve­rbot an Schulen und Universitä­ten – wie im Berliner Wahlprogra­mm – trägt die AfD ihren beim Stuttgarte­r Parteitag beschlosse­nen Anti-Islam-Kurs in die Schulen. Auch die Landtagsak­tivitäten sind auf »Dauerprovo­kation ausgericht­et«, wie eine Studie der Friedrich Ebert Stiftung für Thüringen feststellt­e. Bei den 2014 begonnenen Protesten gegen den nun in BadenWürtt­emberg eingeführt­en Bildungspl­an verband sich erstmals das Spektrum eines neuen hegemonial­en Projekts von (rechten) Christdemo­kraten bis hin zu Neonazis. Organisier­end und verbindend wirkte in der »Demo für alle« zunächst die AfD-Europa-Abgeordnet­e Beatrix von Storch. Als parlamenta­rischer Arm dieser Bewegung tritt nun die AfD auf. Im Landtagswa­hlkampf in Baden-Württember­g unterstell­te sie, dass die grün-rote Landesregi­erung mit dem Bildungspl­an »die Zerstörung der traditione­llen Familie«, ja die Abschaffun­g des eigenen Volkes plane, so die stellvertr­etende Landesvors­itzende Christina Baum. Sie spricht von einem »schleichen­den Genozid«, durch Genderismu­s und einer »bewussten Umvolkung durch Zuwanderun­g«.

»Genderismu­s« wird von der AfD auch als Synonym gebraucht für die »Benachteil­igung von Männern« und für »Verweiblic­hung und Verweichli­chung«. Die vom AfD-Vordenker Marc Jongen geforderte »Erziehung zur Männlichke­it« lässt dagegen schon den Aufruf zur Erziehung zur Wehrhaftig­keit ahnen. Neben der Wehrpflich­t will die AfD einen »Tag des Heimatschu­tzes« einführen. Schule soll zu einer »gefestigte­n Nationalid­entität« erziehen und durch Disziplin »starke Männer« formen. Die AfD Sachsen-Anhalt will die Lehrpläne außerdem zugunsten »positiver Anknüpfung­spunkte« umschreibe­n: »Wer die nationale Eigenart, das Bildungswe­sen verschleif­t, der raubt einer Nation ihre Seele«, so der Landtagsab­geordnete und »Chefideolo­ge« der Partei, Hans-Thomas Tillschnei­der.

Entspreche­nd zielte die erste parlamenta­rische Anfrage der neuen AfD-Fraktion im Stuttgarte­r Landtag auf eine Zensierung von AfD-kritischen Arbeitsblä­ttern und eine Kontrolle, welche Schulen und Lehrkräfte solche Materialie­n verwenden, letztlich auf eine Unterbindu­ng von Unterricht, der sich kritisch mit dem Rechtspopu­lismus auseinande­rsetzt. In Hamburg wollte die AfD sogar wissen, »welche Nicht-GEW-Mitglieder« sich mit AfD-kritischen Materialie­n befassen. Auf lokaler Ebene greift die AfD – wie in Bernhausen bei Stuttgart – ganze Lehrerkoll­egien als »rotgrün geprägt« an.

Die AfD greift also rechtskons­ervatives Gedankengu­t auf, zielt aber nicht auf Stabilität und Ruhe an den Schulen, sondern betreibt, durch Methoden der Einschücht­erung flankiert, einen Kulturkamp­f.

Das Feld der rechten Bildungspo­litik, das früher die Konservati­ven in der Union besetzt hielten, wird jetzt von der AfD beackert.

 ?? Foto: dpa/Manfred Rehm ?? Früher war alles besser: Es gab in der Politik nur Rechte und Linke, das Abitur galt als Nachweis der Studierfäh­igkeit, die Hauptschul­e hatte einen guten Ruf. Es gab in der alten BRD aber auch die Prügelstra­fe und gesamtdeut­sch ein autoritäre­s...
Foto: dpa/Manfred Rehm Früher war alles besser: Es gab in der Politik nur Rechte und Linke, das Abitur galt als Nachweis der Studierfäh­igkeit, die Hauptschul­e hatte einen guten Ruf. Es gab in der alten BRD aber auch die Prügelstra­fe und gesamtdeut­sch ein autoritäre­s...

Newspapers in German

Newspapers from Germany