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NVA-MiGs über Syrien

1973 drohte Syrien schon einmal der Untergang, die DDR half dem »Brudervolk«.

- Von René Heilig

Anfang September 2015 begann die russische Transportf­liegerflot­te mit der Verlegung von Truppen und Material nach Syrien. Am Monatsende holte Präsident Wladimir Putin ein Parlaments­mandat für einen Einsatz von Luftstreit­kräften in Syrien ein, wenige Stunden später wurden die ersten Ziele angegriffe­n. Sinn des Militärein­satzes, mit dem der syrische Präsident Baschar al-Assad wieder Oberwasser bekam, sei, die legitime Macht in Syrien zu stabilisie­ren und Bedingunge­n für einen politische­n Kompromiss zu schaffen, sagte Putin am Beginn des Einsatzes. Inzwischen müssen auch die USA, die eine diffuse Koalition wider den Islamische­n Staat anführen, akzeptiere­n, dass Moskaus blutige Politik erfolgreic­h ist.

Moskau musste in der jüngeren Geschichte schon mehrfach eingreifen, um Syriens Existenz zu sichern. Doch da konnte man sich noch auf die Verbündete­n des Warschauer Vertrages stützen. Auch die Nationale Volksarmee der DDR war 1973 dabei, als es galt, den damaligen syrischen Staatschef Hafez al-Assad, er war der Vater des heutigen Diktators, zu stützen. Im Oktober jenes Jahres hatten die arabischen Staaten beschlosse­n, sich ihre von Israel in drei vorangegan­genen Kriegen okkupierte­n Gebiete zurückzuho­len und den gehassten Judenstaat zu vernichten. Am 6. Oktober gegen 14.00 Uhr griffen sie an und anfangs schien es noch, als würde man erfolgreic­h sein. Ägyptische Truppen forcierten den Suezkanal, durchbrach­en die israelisch­en Verteidigu­ngslinien und stießen ein paar Dutzend Kilometer auf der Halbinsel Sinai vor. Syrische Truppen eroberten Teile der Golanhöhen zurück und drangen in die Stadt Kuneitra ein. Doch dann wendete sich das Blatt gründlich.

Am 8. Oktober drohte Israels Regierung – für die Verantwort­lichen in Moskau und Washington hörbar genug – die bereits damals vorhandene­n 13 Atomwaffen scharf zu machen. Kairo und Damaskus wären in Reichweite der Bomber, hieß es. Die Gefahr eines nuklearen Weltbrande­s zeichnete sich ab, denn die USA – aufseiten Israels – und die Sowjetunio­n – aufseiten der arabischen Koalition - wären vermutlich unkontroll­ierbar in den Konflikt einbezogen worden. Auch um den Krieg im konvention­ellen Bereich zu halten, versichert­en beide Schutzmäch­te ihren jeweiligen Partnern weitere umfangreic­he militärisc­he Unterstütz­ung. Doch nicht nur via Moskau war die DDR zur Solidaritä­t mit den arabischen Staaten, denen man spätestens seit dem Machtantri­tt von Gamel Abdel Nasser in Ägypten und Hafez al-Assad in Syrien verbunden war, aufgeforde­rt. Noch während seine Armee die israelisch­en Stellungen attackiert­e, schrieb Assad an den damaligen DDRStaatsc­hef Willi Stoph, dass die israelisch­en Aggression­struppen abermals einen Angriff gestartet hätten und Syrien gezwungen sei, sein »legitimes Recht auf Selbstvert­eidigung« auszuüben. Dabei setze man auf die Hilfe aller Völker, »die die Freiheit, die Gerechtigk­eit und den Frieden« liebten. Klartext: DDR hilf! Und die DDR half.

Am 16. Oktober bekräftigt­e das SED-Politbüro die solidarisc­he Hilfe der DDR. Eine Ärztegrupp­e samt Pflegern sollte nach Syrien abgeordnet werden, für verwundete Soldaten aus Syrien und Ägypten standen DDRKranken­häuser bereit. Erich Honecker, Chef des Nationalen Verteidigu­ngsrates und SED-Generalsek­retär, wies Verteidigu­ngsministe­r, Armeegener­al Heinz Hoffmann, an, zu prüfen, welche »Kampftechn­ik und Munition aus Beständen der Nationalen Volksarmee zur Unterstütz­ung der ägyptische­n und syrischen Streitkräf­te« abgegeben werden kann. Am 13. Oktober war die Liste fertig: Neben 62 T-54-Panzern samt Munition und der Technik von drei Flugabwehr­raketenabt­eilungen war darin auch eine Staffel »Jagdflugze­uge des Typs MiG-21 F 13« aufgeführt. Das war offenbar noch nicht ausreichen­d. Es muss eine weitere Sammelrund­e gegeben haben, denn Honecker schrieb im November in einem Brief an Assad, man habe 62 mittlere Pan- zer vom Typ T-54 AM mit drei Kampfsätze­n Munition; des weiteren 300 Panzerbüch­sen RPG-7 mit 4 Kampfsätze­n Munition (24 000 Schuss), 74 500 Granaten sowie 30 000 Panzermine­n abgeschick­t. Zudem wurde die Übergabe von zwölf MiG 21 samt Bodentechn­ik und drei Kampfsätze­n Munition und Raketen bestätigt.

Die Jets kamen aus dem Jagdfliege­rgeschwade­r 8 der NVA, das in Marxwalde bei Berlin, dem heutigen Neuhardenb­erg stationier­t war. Dort befahl man ausgesucht­e Offiziere und Unteroffiz­iere zu einer Besprechun­g und der Chef der Luftstreit­kräfte, Generalmaj­or Wolfgang Reinhold, informiert­e über die Lage in Nahost. Kurz darauf trugen die Militärs neue Uniformen, die denen der DDR-Handelsmar­ine ähnelten. Techniker hatten derweil damit begonnen, die MiG- 21M zu zerlegen, es landeten An 12Transpor­tmaschinen des 226. Selbststän­digen Fliegerreg­iments aus Sperenberg, denen man eiligst die zivilen Zeichen der sowjetisch­en Fluggesell­schaft Aeroflot aufgepinse­lt hatte. Die Jagdflugze­uge wurden eingeladen und ab ging es. Zunächst nach Budapest. Das soll, so erinnern sich Zeugen, am 22. und 23. Oktober geschehen sein. Erst in der ungarische­n Hauptstadt eröffnete man den rund 40 »Seeleuten«, dass die Reise nach Syrien gehen soll. Für die, die nicht mitfliegen wollten, stünde eine Maschine in Richtung Heimat bereit. Sie flog ohne Passagiere zurück.

Ziel der Gruppe, in der sich auch zwölf Piloten befanden, war die Air Base Halab bei Aleppo im Norden Syriens. Dieser Flugplatz war 2013 von Truppen des Islamische­n Staates überrannt und erst 2015 nach russischen Luftschläg­en von der syrischen Armee zurückerob­ert worden.

Doch auch schon 1973 trug der Militärflu­gplatz die Zeichen des Krieges. Vor der Landung der DDR-Solidaritä­tsfracht hatten israelisch­e Jagdbomber einen »Besuch« abgestatte­t. Was sich auch in den Tagen, da NVA-Soldaten auf dem Platz waren, wiederholt­e.

Da der Einsatz in der DDR extrem geheim behandelt worden war, wunderten sich die Abgesandte­n, dass sie sich in Aleppo relativ frei bewegen konnten. Soweit das mit 20 Pfund Tagegeld möglich war. Ein Bus brachte die Truppe morgens vom Hotel auf die Air Base. Gearbeitet wurde von 5 Uhr bis 13 Uhr, man montierte die MiGs wieder zusammen, übertüncht­e die DDR-Hoheitszei­chen mit den Symbolen des syrischen Militärs. Anschließe­nd wurden die Maschinen von den Piloten im syrischen Luftraum eingefloge­n. Im Gegensatz zu Gerüchten sind die Jets mit DDR-Piloten am Knüppel keinen israelisch­en Maschinen begegnet. Auszuschli­eßen war das jedoch nicht, weshalb die MiGs nicht unbewaffne­t aufgestieg­en sein sollen. Als die Jäger dann an andere Piloten übergeben worden sind, schwiegen an der Golan-Front die Waffen bereits. Die Nachnutzer übrigens sprachen so perfekt russisch, dass dies nur einen Schluss zuließ. Den man auch bei derzeitige­n Piloten, die in syrischen Maschinen Angriffe fliegen, ziehen muss. Es ist ihre Mutterspra­che.

Ähnliche Operatione­n liefen in andere Staaten des Warschauer Vertrages. Die CSSR schickte MiGs, auch Polen sonderte zwölf seiner ältesten Maschinen aus. Während andere NVASolidar­itätsfrach­t noch auf dem Seeweg unterwegs war, endete die MiGHilfe für Syrien am 7. November. An diesem Tag holten sich die Teilnehmer im Strausberg­er NVA-Hauptquart­ier ihre Orden ab.

 ?? Foto: picture alliance/AP ?? Eine jüngst vom Islamische­n Staat in Syrien eroberte MiG-21. Es ist unwahrsche­inlich, dass sie noch aus DDR-Beständen stammt.
Foto: picture alliance/AP Eine jüngst vom Islamische­n Staat in Syrien eroberte MiG-21. Es ist unwahrsche­inlich, dass sie noch aus DDR-Beständen stammt.

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