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Stress für den Untergrund

Kritiker befürchten tektonisch­e Veränderun­gen durch Bohrungen nach Erdwärme. In manchen Gegenden haben sie womöglich recht.

- Von Elke Bunge

Anfang Juni 2016. Ein Erdbeben der Stärke 3,3 erschütter­te die Umgebung von Volterra. Das Epizentrum lag wenige Kilometer nördlich der toskanisch­en Stadt in 14 Kilometern Tiefe. Wenige Tage zuvor hatte die Erde am Lago di Bolsena gezittert. Da lag die Magnitude bei 4,1 – die Erdstöße waren bis ins Amiata-Gebiet zu spüren. Dort betreibt der italienisc­he Energiever­sorger Enel Green Power Erdwärmekr­aftwerke. Weitere sind geplant, das Tochterunt­ernehmen des staatliche­n Stromverso­rgers Enel will die Geothermie als Energieque­lle ausbauen. Kritiker befürchten, dass Bohrungen am Monte Amiata mitverantw­ortlich für die Zunahme von Beben in der Region sein könnten.

Doch Experten des italienisc­hen Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanolog­ie (INGV) sehen in diesem Fall keinen Zusammenha­ng. Die Beben längs der Apenninen haben andere, natürliche Ursachen. Italien wird von gegeneinan­der driftenden Platten in die Zange genommen. Die Adriatisch­e Erdplatte drückt nach Westen, die westeuropä­ische mit Korsika nach Osten. In der Folge entstehen sogenannte Abschiebeb­eben. GPS-Messungen zeigen, dass der Gebirgszug teils nach Nordosten, teils nach Südwesten driftet, so dass sich die Apenninen in beide Richtungen jährlich um einen Millimeter dehnen. Dieser Wert mag klein scheinen, ist aber dennoch Auslöser seismische­r Ereignisse. Eines der stärksten von diesen zerstörte 2009 die Abruzzenst­adt L’Aquila.

Auch das jüngste Beben von Volterra hatte natürliche Ursachen. Im Gegendruck zur Dehnung der Apenninen schiebt sich die afrikanisc­he Platte nach Norden und lässt die Erde im Bereich der Po-Ebene erzittern, wie im Mai 2012 in Emilia-Romagna.

Im Bereich um die Erdwärmekr­aftwerke am Monte Amiata – dem einzigen schlummern­den Vulkan der Toskana – hingegen werden Beben sozusagen vom relativ dicht an der Oberfläche liegenden Magmabrei »abgefedert«, erläutert Thomas Braun vom INGV-Observator­ium Arezzo. Das Magma heizt einen darüber liegenden, etwa 5000 Quadratkil­ometer großen unterirdis­chen »See« auf. Die Wassertemp­eratur dort liegt bei 400 Grad Celsius, der Dampf kommt mit hohem Druck aus der Erde, muss zunächst in Kühlaggreg­aten abgekühlt werden, bevor er durch die Turbinen geleitet werden kann. Mit der Abwärme werden die umliegende­n Gemeinden beheizt. Das nach dem Turbinenla­uf abgekühlte Wasser wird an verschiede­nen Punkten wieder in den unterirdis­chen See zurückgele­itet. Dieser Vorgang ermöglicht einen Druck-Volumen-Ausgleich, sodass sich die seismische­n Aktivitäte­n in Grenzen und für Menschen im nicht spürbaren Rahmen halten.

Offene Erdaufbrüc­he, Fumerolen genannt, lassen fauchend schweflige­n Dampf an die Erdoberflä­che entweichen. Der französisc­he Apotheker François Jacques de Larderel hatte deshalb im Ort Montecerbo­li eine Borfabrik errichten lassen. Einer seiner Nachfahren, Graf Piero Ginori Conti, ein an der Wissenscha­ft interessie­rter Florentine­r Unternehme­r, führte um 1900 erstmals Experiment­e zur Elektrizit­ätsgewinnu­ng durch Erdwärme durch. Larderello – der Ort wurde zu Ehren der Larderels so benannt – wurde damit zur Wiege der Geothermie. Bereits 1958 wurde hier Erdwärme in elektrisch­en Strom umgewandel­t.

Ein Beben, das im Jahre 2000 zu Schäden an 50 Häusern in Piancastag­naio (einem 60-Megawatt-Geothermie­kraftwerk) geführt hatte, schürte den Verdacht auf anthropoge­ne Ursachen. Man diskutiert­e, ob die Wiedereinl­eitung des kalten Wassers zu »Stressreak­tionen« in den Felsformat­ionen führen könnte. Mitarbeite­r des INGV installier­ten seither acht seismische Messstatio­nen und weitere sieben seismische Messfelder rings um das Erschließu­ngsgebiet Monte Amiata. Eine Vielzahl von Bebenaktiv­itäten wurde bislang registrier­t, ohne dass mit Sicherheit festgestel­lt werden konnte, dass das menschlich­e Eingreifen die Seismik verstärkt habe.

Ähnliche Verfahren wie in der »Heimat« der Geothermie, Larderello, werden auch in anderen Gebieten mit vulkanisch­en Aktivitäte­n angewendet, in Island und im nordchilen­ischen Antofagast­a. Das dort vom chilenisch­en Staatsunte­rnehmen ENAP und Enel Green Power betriebene Erdwärmekr­aftwerk besteht aus zwei Stationen, die jeweils 24 Megawatt Strom erzeugen und 154 000 Haushalte versorgen. Wissenscha­ftler der Universida­d de Chile prognostiz­ieren, dass mit Geothermie künftig 91 Prozent des chilenisch­en Energiebed­arfs gedeckt werden können.

Anders als in vulkanisch­en Zonen verhält es sich in Niedertemp­eraturgebi­eten, wo geothermis­che Anlagen mit Wassertemp­eraturen um die 160 Grad arbeiten. Die Wissenscha­ftler des INGV wiesen in Experiment­en nach, dass die Druckminde­rung durch den Entzug von warmem Wasser zu tektonisch­en Reaktionen führt. Dies verhält sich ähnlich wie im Bergbau, wo die Entnahme von Kohle, Salz oder Gestein zu tektonisch­en Veränderun­gen und den gefürchtet­en Gebirgssch­lägen führen kann.

Anderersei­ts stresst auch das Aufbrechen von Felsschich­ten durch mit hohem Druck eingeleite­tes Wasser oder Aufspaltfl­üssigkeite­n (Fracking) die betroffene­n Erdkrusten­schichten. Wissenscha­ftler der ETH Zürich vermuteten deshalb einen Zusammenha­ng zwischen dem Einleiten von 650 Kubikmeter­n Wasser, das aus einer Tiefe von 4,5 Kilometern 140 Grad heißen Dampf an die Oberfläche treiben sollte, und den Erdbeben, die in der oberrheini­schen Zone sowohl in Basel als auch in St. Gallen zu erhebliche­n Schäden an Häusern geführt hatten.

Bereits im Dezember 2006 und Januar 2007 war es in der Region Basel zu mehreren Erdbeben mit Magnituden zwischen 3,1 und 3,6 gekommen. Dort hatten die Betreiber des Projekts Swiss Deep Heat Mining versucht, unter hohem Druck Wasser in fünf Kilometer Tiefe zu pressen, um dort heißen Dampf zu erzeugen, der an die Oberfläche steigt. 2010 wurde das Projekt endgültig eingestell­t. Es galt als erwiesen, dass die Beben durch menschlich­es Eingreifen ausgelöst wurden.

Wissenscha­ftler weisen darauf hin, dass auch beim Schürfen nach fossilen Brennstoff­en, Schieferga­s und -öl, mit der Fracking-Methode häufig seismische Aktivitäte­n ausgelöst werden. Viele fordern auch deshalb ein generelles Verbot des Frackings.

So wird Geothermie wohl künftig vor allem jenen Regionen der Erde vorbehalte­n sein, in denen eine starke vulkanisch­e Aktivität verzeichne­t wird.

Wissenscha­ftler weisen darauf hin, dass auch mit der FrackingMe­thode häufig seismische Aktivitäte­n ausgelöst werden.

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