»EU-Standards könnten sinken«
»EU-Standards für Lebensmittel könnten sinken« – So lautet eine der Warnungen vor dem TTIP-Abkommen. Doch Lebensmittel-Standards kann die EU auch ganz gut allein hinwegfegen. Dabei fing alles so hoffnungsvoll an. 2006 beschloss die EU-Kommission mit der Health-Claims-Verordnung, dem Wildwuchs fantasievoller, oft irreführender Gesundheitsversprechen der Lebensmittelindustrie einen Riegel vorzuschieben. Seit 2012 darf nur noch mit in der HealthClaims-Verordnung erlaubten Angaben geworben werden.
Die deutsche Verbraucherzentrale sah damals »gesundheitsbezogene Werbeversprechen unter Kontrolle«. Toll, dachte man, Vernunft und wissenschaftliche Einsicht haben gesiegt. Beim beruhigten Zurücklehnen übersah man leicht, was da weiter stand: »Der Kernpunkt der Verordnung steht noch aus: die Festlegung der so genannten Nährwertprofile.« Diese Profile sollten Grenzwerte für Zucker, Fett und Salz in verarbeiteten Lebensmitteln festlegen. Würden diese nicht eingehalten, sollte jegliches Gesundheitsversprechen verboten sein – auch wenn gesundheitsfördernde Zusätze im Produkt sein sollten.
Doch die Lebensmittelindustrie hat die Festlegung solcher Nährwertprofile torpediert – und mehr noch, das Anliegen der Verordnung ins Gegenteil verkehrt. Die etwa 250 von der EU erlaubten »Health Claims« – etwa zu Vitaminen – werden genutzt, um ungesunden Lebensmitteln einen gesunden An- strich zu geben und so den Verbraucher zu täuschen! In einer umfassenden Studie hat die Organisation »foodwatch« in diesem Jahr nachgewiesen, dass 90 Prozent der in Deutschland mit Vitaminen beworbenen Lebensmittel zu fett, zu süß oder zu salzig – kurz: ungesund – sind!
Ausgangspunkt waren die Standards der Weltgesundheitsorganisation WHO. Deren Regionalbüro für Europa hatte angesichts zunehmender ernährungsbedingter Krankheiten und grassierenden Übergewichts schon im zartesten Alter Nährwertprofile für Kinder erstellt. Es scheint sehr sinnvoll, diese Empfehlungen der WHO für Kinder auch für Erwachsene zu nutzen. Dem steht die Einschätzung der Süßwarenindustrie entgegen, dass wissenschaftlich fundierte Empfehlungen nicht möglich seien. Zudem drohte man, Nährwertprofile würden einer Überprüfung vor dem Europäischen Gerichtshof nicht standhalten.
Und unsere europäische Realität? Mitte April dieses Jahres haben die EU-Parlamentarier für eine Streichung der Nährwertprofile aus der Health-Claims-Verordnung gestimmt. Damit wären alle bisher in den Health Claims zugelassenen gesundheitsbezogenen Aussagen Makulatur. Wem waren die Parlamentarier verpflichtet – ihrem Gewissen, wissenschaftlichen Einsichten oder den Interessen der Lebensmittellobby?
Es bedarf wahrlich keiner neuen Abkommen, um LebensmittelStandards in Europa zu senken!