Der ewig rätselhafte Kasten
Expertenrat: Den Inhalt einer Black Box kann man nur spielend aufdecken
»Sobald das Geld im Kasten klingt,/ Die Seele aus dem Fegefeuer springt.« So der vom Volksmund auf den Punkt gebrachte Werbespot des katholischen Ablasspredigers Johann Tetzel (1455 – 1519). Luther wetterte verbal dagegen an, doch letztlich entsprangen dem ominösen Kasten sogar viele grausame Religionskriege.
Der Slogan spielt mit vier Begriffen. Drei von ihnen sind von Mythen geradezu gesättigt. Der Kasten hingegen scheint lediglich etwas ganz profan Fassbares zu sein. Beispielsweise als die geometrische Figur des Quaders (lat. quadra, Viereck, Grundstein) oder als Behälter (mhd. Kasto). Allein schon die Wortgeschichte im Deutschen zeichnet aber auch etwas Eigenartiges, Geheimnisvolles nach. So assoziieren bereits die Begriffe Kastell oder Kaste nicht nur etwas abgeschlossenes, sondern sehr wohl auch etwas Rätselhaftes, Geheimnisvolles. Gar nicht zu reden von Fragen in der Art, was denn wer wie viel wohl im oder auch auf dem Kasten habe?
Am augenscheinlichsten wird diese Intransparenz des Kastens in dem von Systemtheorie und Kybernetik benutzten Begriff der Black Box. Ein Systemteil, von dem man zwar Inund Output kennt, nicht aber das, was dazwischen in ihm selbst passiert.
In der Wissenschaft hat man sich darauf eingestellt und kann damit hantieren. Weniger gut indes in Sphären, für die Black Box als Synonym für ohnmächtige Unkenntnis übernommen wurde. So erscheinen den meisten Menschen, seit jeher und auch heute, die Gravitationszentren von Politik aller Art als eine Black Box. Möglicherweise sogar unabänderlich, denn Transparenz als Ist-Zustand dürfte ein frommer Wunsch bleiben. »Ohne den Schutz eines arkanen (lat. arcanum, Geheimnis – d. Red.) Raumes ist Politik nicht denkbar«, konstatiert jedenfalls Peter Hoeres, Professor für Neueste Geschichte an der Uni Würzburg, in seinem jüngsten Buch recht überzeugend. Doch die Öffentlichkeit sollte nicht resignieren und sich vielleicht besser an die Empfehlung von René Thom (1923 – 2002) halten, französischer Mathematiker und Philosoph, Träger der Fields-Medaille (»Nobelpreis« für Mathematik). »Der einzig denkbare Weg, um das Innere einer Black Box aufzudecken, ist, damit zu spielen.« Manchmal ist das übrigens einfacher als man anfangs denkt: Sechs blaue (b) und sechs gelbe (g) Socken sind auf vier Kästen, sagen wir Schuhkartons, so verteilt, dass in jedem drei Socken liegen. In keinem Kasten sind nur Socken einer Farbe. Auf dem Deckel wird der Inhalt notiert, also z.B. »bgb« oder »ggb«. Nun werden die Deckel so vertauscht, dass auf keinem Deckel mehr der richtige Kasteninhalt steht. Wie viele Kästen müssen wenigstens geöffnet werden, um den Inhalt aller Kartons angeben zu können?