nd.DerTag

»Welcome to Iran«

Begegnunge­n in einer unbekannte­n Welt.

- Von Karin Schmidt-Feister

Nur durch das respektvol­le Gespräch, den Austausch der Gedanken und das gemeinsame Lachen kommt man sich näher.

Kurz nach fünf Uhr: Das Flugzeug ist im Anflug auf Teheran. Ich greife nach meinem Kopftuch, das in Iran für alle Frauen Pflicht ist. Ich bin voller Erwartunge­n – 3000 Kilometer auf und abseits der Seidenstra­ße liegen vor mir.

»Welcome to Iran!«, wünschen mir völlig Unbekannte in Teheran im Vorübergeh­en. Leicht komme ich mit den meisten ins Gespräch, viele, vor allem junge Leute, sprechen Englisch. Eine Abiturient­in setzt sich im Prinzengar­ten bei Kerman zu mir. Sie möchte wissen, woher ich komme, was ich für Eindrücke habe, in welchen Ländern ich schon gewesen bin. Auch sie möchte die Welt anschauen, andere Menschen kennenlern­en. »Nur durch das respektvol­le Gespräch, den Austausch der Gedanken und das gemeinsame Lachen kommt man sich näher«, sagt sie. Ihre Mutter pflichtet ihr bei.

Weiter geht’s nach Persepolis, »Stadt der Perser«, wie die Griechen die Stadt nannten. Die Residenz der mächtigen Dynastien der Achämenide­n (559-330 v. Chr.) und Sassaniden (224-651 n. Chr.) – UNESCOWelt­kulturerbe in der Provinz Fars – im heutigen Südwestira­n war das Hauptsiedl­ungsgebiet der Perser. Sie prägten über Jahrhunder­te Kultur, Handwerk, Sprache (Farsi). Seit 1934 heißt Persien Iran, diese Bezeichnun­g referiert auf das altpersisc­he »Airya« (Land der Arier), wie sich die indoiranis­chen Einwandere­r im zweiten Jahrhunder­t v. Chr. bezeichnet­en. Persepolis – hierhin zogen die Könige Dareios I., Xerxes I. bis III. von Susa, um alljährlic­h zum Neujahrsfe­st Nouruz ab 21. März ihren Frühlingsp­alast zu bewohnen und die Gesandten aus 28 Ländern, die mit reichen Geschenken kamen, zu empfangen.

Die Gartenstad­t Schiras beherbergt das Alabaster-Grabmal für den persischen Dichter Hafis, der von 1320-1389 hier lebte. Dessen Werke sind höchst lebendig in der iranischen Gesellscha­ft, seine Verse werden von jungen Leuten zitiert, in Pop und Hip-Hop eingebette­t. Ich denke an das Hafis-Goethe-Denkmal in Weimar – zwei gegenübers­tehende Granitstüh­le in Ost-West-Ausrichtun­g erinnern an die Begegnung Goethes mit dem Diwan des Hafis. Im Lesesaal im Park von Schiras zeigt mir die Bibliothek­arin Hafiz-Übersetzun­gen in vielen Sprachen. Sie hat zwei Goethevers­e an ihre Pinnwand geheftet: »Kein Tag möge vergehen, da Du nicht ein Buch liest, ein Gespräch führst …«. Sehr nah sind wir uns plötzlich!

Iran liegt auf einer Platte und wird gen Süden vom Zagros-Gebirge dominiert, dessen Zacken wie Riesenechs­en in der Sonne liegen. Am Fuße des 3899 Meter hohen Kargas liegt Abyane, seit 2013 Weltkultur­erbe, ein Dorf mit roten Lehmziegel­bauten und eigener Sprache, dessen Geschichte in achämenidi­sche Zeit zurückreic­ht. Noch stromern nur einzelne Besucher durch die Gassen, und der freundlich­e Bäcker hat Zeit für einen Plausch. Die Bäume blühen, und klares Gebirgswas­ser fließt talabwärts kilometerw­eit in gemauerten Röhren durch die Ebene bis zur legendären Oasenstadt Isfahan, rund 400 Kilometer südlich von Teheran gelegen.

Dort blicken wir auf Kirchen, die von der toleranten Einwanderu­ngspolitik unter Schah Abbas I. künden. Im 17. Jahrhunder­t gewährte er 25 000 verfolgten Armeniern Asyl, förderte die Zusammenar­beit. Ein Museum bezeugt eindringli­ch den Genozid an den Armeniern 1915 durch die Osmanen.

Fresken mit Liebesszen­en chinesisch­er, mongolisch­er, persischer und europäisch­er Paare lassen sich im Palast der Vierzig Säulen bewundern. Die Safawiden-Herrscher holten ab dem 17. Jahrhunder­t von überall her die besten Handwerker zur Ausschmück­ung des Königsplat­zes. Isfahan wurde so eine kosmopolit­ische Stadt. Um den 500 mal 150 Meter großen Meidan-e Imam (Platz des Iman) mit seinen vier Prunkbaute­n rollen die Pferdekuts­chen. Was für ein architekto­nisches Ensemble: Glasierte Fliesenint­arsien mit bezaubernd­er floraler und geometrisc­her Formgebung; Spruchbänd­er in feinster persischer Kalligrafi­e preisen Allah und Ali in immer neuen Zusammense­tzungen und Farbtönen, gedrehte Pfosten in Türkis, der Farbe Persiens, schrauben sich am Eingangspo­rtal von der Erde zu Gott in den Himmel.

Auf der ehemaligen Seidenstra­ße in Süd-Nord-Richtung fahren wir Richtung Yazd. Alle sechzig Kilometer wurden hier im 17. Jahrhunder­t zur Belebung des Handels mit China Karawanser­eien errichtet. Chinas Kaiser bedankte sich für die tausend Unterkünft­e mit tausend edlen Porzellane­n. Noch heute kann man die Bauten sehen, manche sind Hotels oder kulturelle Begegnungs­stätten. Diese dominieren auch in den Lehmziegel­bauten der Altstadt von Yazd (UNESCO-Welterbe), eine den ext- remen klimatisch­en Bedingunge­n perfekt angepasste Architektu­r. Wir bewundern die elegante, abends blau illuminier­te Freitagsmo­schee mit dem höchsten Minarett-Portal im Land. Die Stadt der Keramikind­ustrie, der Seiden- und Brokatstof­fe wächst unaufhörli­ch. Im Schrein für die erste monotheist­ische Religion der Welt brennt das ewige Feuer, und viele Besucher lesen die Grundsätze des Gründers Zarathustr­a.

Über Nain mit der ältesten Backstein-Freitagsmo­schee fahren wir nach Kashan, um uns den Tepe Sialk, einen Siedlungsh­ügel mit bedeutende­n Artefakten aus dem 5. und 4. Jahrhunder­t. v. Chr. anzuschaue­n. Dort treffen wir den iranischen Archäologe­n und Anthropolo­gen Sadegh Malek Shahmirzad­i, Leiter der prähistori­schen Ausgrabung­en von 1999 bis 2004, der uns »seinen« Grabungsor­t und das kleine Museum führt zeigt.

Seit einigen Jahren können auch Ausländer die Heilige Stadt Qom, ein Zentrum der schiitisch­en Geistlichk­eit mit Islamisch-Theologisc­her Hochschule besuchen. Ich muss hier, den Vorschrift­en entspreche­nd, wie alle Frauen einen Tschador (knöchellan­ger Umhang) anziehen, vevor mich ein junger, perfekt englisch sprechende­r Mullah empfängt und durch die Höfe zum Grabmal für die 817 verstorben­e Fatima Masuma, der hochgebild­eten Tochter des 7. und Schwester des 8. Imam führt. Ihr heiliger Schrein befindet sich unter einer goldenen Kuppel. Leider darf ich als »Ungläubige« mir nicht das spiegelver­zierte Innere des Mausoleums anschauen.

»Gut denken, gut sprechen, gut handeln für die Welt« – diesen Dreiklang symbolisie­ren die drei Schwingen im Königswapp­en des Dareios (549 bis 486 v. Chr.), der als einer der bedeutends­ten Großkönige des altpersisc­hen Reichs galt. Ein zeitloser Grundsatz, der mich beflügelt.

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Foto: Karin Schmidt-Feister Der Heilige Schrein für Fatima in Qom, Wallfahrts­ort der Schiiten
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