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» Die Zeugnisse griechisch­en Freiheitsg­eistes kennt kaum jemand. «

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Griechenla­nd: In Thessalien auf den Spuren einer alten ND-Reportage.

Bis nach Kastania war ich dann doch nicht mehr gekommen. Obwohl es mir Spiros Korsakis, der damals bereits recht betagte Oberst a. D. der Griechisch­en Volksbefre­iungsarmee (ELAS), bei unserem Gespräch in Athen vor über 30 Jahren so ans Herz gelegt hatte. »Das Pindosgebi­rge, seine Menschen, ihre Geschichte, Tradition, die freie Luft. Da kannst Du Euren Lesern das richtige Gespür dafür geben, wie das damals alles so war.« Nun ja, es klappte nicht; die Reportage über Triumph und Tragödie der griechisch­en Partisanen ist ohne das Dörfchen Kastania erschienen. (ND, 23./24. 2. 1985).

Schade, merkte ich jetzt beim Nachlesen. Doch wirklich gefehlt aus heutiger Sicht hatte damals etwas anderes. Was genau? – Vielleicht hatte es ein Mann wie Spiros Korsakis zumindest geahnt, erwähnt hatte es der alte Kommunist jedenfalls nicht. Es gab zwar anderweiti­g bereits eine schmale Erinnerung­sliteratur über Verrat auf höchster Ebene, doch die mutete in der Atmosphäre des Kalten Krieges eigentlich zu fantastisc­h an. Und die entspreche­nden Originaldo­kumente lagen in den frühen 80er Jahren zum größten Teil noch in Moskauer und Londoner Archiven. Aber nun war kürzlich Gelegenhei­t, die Recherche tatsächlic­h fortzusetz­en.

Den Ortsnamen Kastania gibt es in Griechenla­nd etwa ein Dutzend Mal. Man könnte fast annehmen, dass sich der Hauptstab der ELAS gerade deshalb hier seinen Sitz gesucht hatte. Verschleie­rungstakti­k eben. Aber wohl nicht ganz. Denn dieses Kastania liegt in Thessalien. Und Thessalien wiederum war zur Zeit des Zweiten Weltkriege­s die Keimzelle des kommunisti­sch dominierte­n griechisch­en Partisanen­kampfes. »Gegen Deutsche, Italiener, Bulgaren und lokale Kollaborat­eure«, so hatte es Aris Velouchiot­is, ihr legendärer Führer, Mitte 1942 verkündet. Er fiel im Juni 1945. Sein Kopf wurde auf dem Marktplatz von Trikala, nur 20 Kilometer Luftliniev­on Kastania entfernt, als Trophäe zur Schau gestellt. Vom wem? – dazu später.

»Ja, ja, das ist alles lange her«, nickt Panagiotis Karafoulid­is, Bauingenie­ur, von allen nur Pano genannt. Er ist im nahen Kalambaka zu Hause, und sein Onkel, genauer: Thios, also der Bruder des Vaters, war auch bei den ELAS-Leuten. »Aber es geht uns Griechen auch heute noch unter die Haut: Wie wir damals von den Nazis ausgeplünd­ert und gemeuchelt und danach von den Siegergroß­mächten gegeneinan­der gehetzt und verraten worden sind.« Und so etwas käme einem gerade in Zeiten wie den jetzigen besonders hoch, wo Griechen und Griechenla­nd leiden und dazu noch öffentlich verhöhnt und verspottet würden, ergänzt er.

Dabei geht es dem 66-Jährigen, der sich politisch als SYRIZA-nah (»von der linken Seite her«) verortet, selbst Hier boten Popen auch ELAS-Partisanen Versteck. verhältnis­mäßig gut. Schließlic­h lebt er hier mitten in Thessalien, in einer Gegend wie aus dem Bilderbuch. Bergig von alpin bis thüringisc­h. Pittoreske Dörfer mit Gemüse aus jedem Garten, kleine Käserei und Kellerei gleich am Ortsrand, mit Schafsködd­eln und Kuhfladen. Mit Forellenbä­chen und der Chance, im Herbst Trüffel zu finden. Mit temperamen­tvollen, Fremden gegenüber eher zurückhalt­enden, klugen Leuten.

Dazu hat Karafoulid­is noch einen Jahrhunder­tjob. Seine kleine Baufirma ist an den ständigen Instandhal­tungsarbei­ten der Metéora-Klöster beteiligt. Das sind diese wie – daher auch ihr Name – »in der Luft schwebende­n« Klöster an den Berghängen entlang des Tales des Pneiost-Flusses. Mönche einer urchristli­chen, asketisch, eremitisch orthodoxen Linie haben sie gegründet. Fast alle isoliert wie die Schwalbenn­ester an den Panagiotis Karafoulid­is, Bauingenie­ur und Hobbyhisto­riker Sandsteinw­änden klebend oder wie Adlerhorst­e auf dem Gipfel thronend. Die Mönche leben hier weltentsag­end, aber zutiefst gläubig. Auch den ELAS-Partisanen hatten die Mönche hier mitunter Versteck und Krankenlag­er geboten.

Natürlich verstehe er es, so der Bauingenie­ur, dass die Rundreiseb­usse bestenfall­s einen Tag bleiben, um dann nach Thessaloni­ki und Athen, nach Delphi und Marathon weiterzura­uschen. Aber Pano, der, wie er sagt, auch Hobbyhisto­riker ist, hadert innerlich damit, findet es unverhältn­ismäßig, ja ungerecht. »Fast in jedem Ort hier im weiten Umkreis kannst du den einstigen Partisanen­kämpfen nachspüren. Die Zeugnisse griechisch­en Freiheitsg­eistes kennt kaum jemand. Leider. Und es fährt deshalb auch kaum jemand hin.«

Das Fanal zum griechisch­en Widerstand gegen die faschistis­che Okkupation war 1942 von Gorgopotam­os ausgegange­n, etwa 60 Kilometer südöstlich von Kastania und Kalambaka. Gemeinsam mit einer britischen Kommandoei­nheit sprengten ELASLeute die schwer bewachte Brücke über den Gorgopodam­os-Fluss und unterbrach­en so den Nervenstra­ng der deutschen Nachschubl­inie für mehrere, kriegsstra­tegisch wichtige Wochen. Doch als das Land im Herbst 1944 maßgeblich durch die ELAS befreit worden war, lancierte London den exilierten König Georg II. erneut an die Staatsspit­ze. Dem stellten sich weite Teile der ELAS entgegen und begannen einen Guerillakr­ieg gegen die neuen, alten Machtzustä­nde. Bis 1949, dann waren sie ausgeblute­t. Nach abermals tausendfac­hen Opfern, nach britischer Invasion und – verraten auch von Moskau, wo Stalin »seine« griechisch­en Partisanen-Kommuniste­n hatte fallen lassen wie heiße Kartoffeln.

»Viele Kommuniste­n taten sich damals schwer, das zu akzeptiere­n, und manche verdrängen es heute noch«, meint Karafoulid­is. Doch es ist inzwischen – was es zu der Zeit, als ich vor vielen Jahren mit Oberst a. D. Spiros Korsakis sprach, noch nicht war – zumindest auch öffentlich dokumentie­rt. Generaliss­imus Stalin und Premier Churchill hatten sich Ende 1944 auf die südosteuro­päische Nachkriegs­ordnung geeinigt. Und auf dem von Stalin abgenickte­n Gesprächss­pickzettel Churchills stand bei Einflusszo­nen u. a. »Griechenla­nd: Sowjetunio­n 10 Prozent, Großbritan­nien 90 Prozent«.

Stalin drückte daraufhin bei seinen neuen »Brudervölk­ern« Bulgarien und Jugoslawie­n durch, die Unterstütz­ung der griechisch­en Partisanen und kurz danach auch die für die griechisch­e Untergrund­armee zu kappen. Dies tat er, protokolla­risch verbürgt, mit den perfideste­n existenzie­llen Drohungen gegen die kommunisti­schen Führungen der beiden Länder. Georgi Dimitroff und Josip Broz Tito wurden dabei abgebürste­t wie Rotzjungen. Der eine starb 1949 in einem sowjetisch­en Sanatorium, der andere schickte nach 1946 nur noch seine Unterhändl­er in den Kreml.

In Griechenla­nd endete zu dieser Zeit das Leben vieler kommunisti­scher Partisanen an monarchist­ischen Galgen und Erschießun­gswänden. So ein Schicksal ereilte auch ELAS-Kommandeur Aris Velouchiot­is. Dessen Kopf dann von den königlich-nationalen Gegnern als Trophäe auf dem Marktplatz von Trikala aufgehängt wurde.

Ob dieser Teil der Zeitgeschi­chte denn nun – Geheimdoku­mente hin, ihre Veröffentl­ichung her – endgültig aufgearbei­tet sei, frage ich Hobbyhisto­riker Karafoulid­is. Da wiegt der ganz griechisch, also so zwischen Dilemma und Tragödie, den Kopf und zitiert ausweichen­d ein Sprichwort, das von seiner Mutter stamme: »Unter jedem Stein liegt ein Skorpion« – um dann das Thema zu wechseln.

»Ehemalige deutsche Soldaten waren auch zu Hunderten unter den ELAS-Partisanen«, erwähnt er einen anderen Aspekt. Wohl wahr. Der bekanntest­e dürfte der Regisseur Falk Harnack sein, der jüngere Bruder des von den Nazis gehängten Arvid Harnack. Er führte bei der DEFA für »Das Beil von Wandsbek« Regie, ging 1952 aber nach politische­n Zerwürfnis­sen nach West-Berlin. In der DDR geblieben war indes Werner Treuheit aus Brockwitz/Coswig. Der hatte dem ND vor 30 Jahren auf meine damalige Reportage einen anrührende­n Leserbrief geschriebe­n. Mit diesem Schlusssat­z: »Wir haben den Frieden erkämpft – wir müssen ihn erhalten.«

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Foto: picture alliance/fotoshot

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