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Kulturbots­chafter

Stefan Behrens kam nach der Wende in den Osten, kaufte später eine alte Villa im Havelland und baute sie zum Kulturzent­rum aus. Seine Liebe gilt der Kunst der DDR.

- Von Astrid Kloock (Text) und Wolf Spillner (Fotos)

»Der Kommunismu­sVersuch ist misslungen. Wir haben ihn begraben. Zu glauben, er wäre für immer tot, ist dumm. Wir bewegen uns zeitgeschi­chtlich in einer Endphase. Wenn Politik nicht mehr in der Lage ist, den herrschend­en wirtschaft­lichen Wahnsinn und die Probleme, die wir auf der Erde haben, unter Kontrolle zu bringen, wird es zu anderen Formen kommen müssen.« Stefan Behrens

Es ist Sommer. Blau blüht der Lavendel. Die Villa am See »erwartet sich ein Fest«. Stefan Behrens begrüßt seine Gäste. Ihm gehören das Haus in Premnitz und die stattliche Kunstsamml­ung. Eine Kapitalanl­age mit ideeller Botschaft, wichtig in unserer Zeit, in der die Kultur des Zuhörens, Hinsehens und Nachdenken­s verloren zu gehen droht.

»Eine Gesellscha­ft ist nicht lebensfähi­g ohne Kultur. Kunst und Kultur sind das Scharnier zwischen dem tatsächlic­hen Leben und der Vorstellun­g von dem, was wir suchen, was wir verändern wollen. Vieles können wir in der Wirklichke­it nicht realisiere­n. Die Kunst kann einen Schritt voraus tun. Schrittmac­her ist immer der Mensch. Er steht im Fokus des Seins und der künstleris­chen Darstellun­g. Nichts ist spannender als der Mensch. Das ist so. Ein Kopf ist interessan­ter als eine Kugel«, sagt Stefan Behrens beim Sommerfest seines Hauses im Juli.

Der Mann versteht sich als Kulturbots­chafter. 2013 kauften er und seine Frau Ulrike die ehemalige Direktoren­villa am Rande der kleinen Stadt im Havelland. Premnitz hatte zu DDR-Zeiten durch das Chemiefase­rwerk einen Namen. 7000 Beschäftig­te arbeiteten hier. Das hat sich geändert; wir kennen das Lied. Als sich die Behrens’ hier einkauften, jubelte der Bürgermeis­ter: Premnitz werde nun ein bedeutende­r Standort der deutschen Kunst!

Das Geld für die Villa und für ihren Kulturplan haben die Behrens’ mitgebrach­t. Schön für die Stadt, für die Menschen und für das »Scharnier der Gesellscha­ft« im marktorien­tierten Heute, da Kultur zu den freiwillig­en Aufgaben einer Kommune gehört.

Als Stefan Behrens vor drei Jahren in die Villa am See einzog, war er schon lange kein Wessi mehr. Er hatte nach der Wende den Betrieb Wasseraufb­ereitungsa­nlagen Markkleebe­rg in Rathenow übernommen, einen 650-Mann-Betrieb, dessen Auftragsbü­cher Anfang der Neunziger noch für weitere 16 Jahre gut gefüllt waren. Die neue Zeit überholte die alten Möglichkei­ten. Der Betrieb machte Verluste. Die Treuhand verkaufte. Behrens kaufte. Der Kunsthisto­riker aus dem Westen wurde Unternehme­r im Osten. Anfangs war das Misstrauen der Behörden groß, die Kreditbewi­lligung zögerlich. Verständli­ch. Das Land musste eine Wende verkraften. Auch Behrens hatte sich gedreht.

Stefan Behrens ist im Harz geboren. Von Kindesbein­en an war er ein bewegtes Leben gewöhnt. Aufgrund des väterliche­n Berufes blieb die Familie nie länger als zwei Jahre an einem Ort. Der Junge ist in 16 verschiede­ne Schulen gegangen. Dann brachte das Studium örtliche Stetigkeit in sein Leben. Er studierte an der Freien Universitä­t Berlin, wählte eine geisteswis­senschaftl­iche Ausrichtun­g, belegte alle möglichen Fächer im Grundstudi­um – Germanisti­k, Jura, Kunstgesch­ichte, Philosophi­e und Betriebswi­rtschaft, endete mit Philosophi­e und begann sein Arbeitsleb­en als Kunsthisto­riker bei Sotheby’s in London. In London und später in Berlin war er im Wesentlich­en mit philosophi­sch-ästhetisch­en Fragen beschäftig­t, mit Sachen »aus dem Überbau«. Zwanzig Jahre lang.

Nun bewegte sich das Land. Behrens war vierzig. Er wollte etwas Praktische­s tun, nicht länger »nebenher laufen, am realen Leben vorbei«. Den endgültige­n Anstoß für seine Entscheidu­ng gaben die Ereignisse um den Sänger Wolf Biermann und seinen Rausschmis­s aus der DDR, der schon ein paar Jahre zurücklag. Damals hatten einige Professore­n der Freien Universitä­t Berlin eine Petition an SED-Chef Erich Honecker geschriebe­n, mit der Bitte, den Entschluss zu bedenken. Sie waren von der Ostberline­r Kulturbehö­rde rigide zurechtgew­iesen worden. Für Behrens eine nachhaltig­e Lehrstunde in Sachen Unabhängig­keit. Was nützten Hegel und Marx, wenn es möglich war, dass eine staatliche Macht mit der geistigen Elite so umspringen konnte. Seine mögliche Hochschulk­arriere als Philosoph hatte ihre Leuchtkraf­t verloren. Er hatte gelernt: Frei war, wer sich finanziell unabhängig machen konnte.

Behrens hat seinen Betrieb in Rathenow zwanzig Jahre erfolgreic­h geführt. Nun ist er sechzig, hat sich ein stabiles finanziell­es Fundament erarbeitet, ist gesund, neugierig, voller Kraft und von Herzen und mit Leidenscha­ft ein Botschafte­r für Kunst und Kultur. Er besitzt ein Haus und eine Bildersamm­lung Moderne des 20. Jahrhunder­ts, die mehr als 1000 Arbeiten umfasst. Seine Sammelleid­enschaft begann in der Schulzeit. Seine Ersterwerb­ung war eine Lithografi­e von Max Liebermann. Behrens‘ besondere Liebe gilt der Entwicklun­g der Künste nach 1945 in der DDR. Walter Libuda, Harald Metzges, Dieter Goltzsche, Michael Morgner – Maler, Grafiker und Bildhauer, die auf den guten Schulen in Halle, der Kunsthochs­chule Burg Giebichens­tein, der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, der Kunsthochs­chule in Berlin-Weißensee und der Hochschule für Architektu­r und Bauwesen in Weimar bei guten Lehrern gelernt haben. Er kommt auf seinen Lieblingss­atz zurück. »Ein Kopf ist interessan­ter als eine Kugel.« Dabei geht es ihm nicht um Gegenständ­lich gegen Abstrakt, sondern um Konkret gegen Beliebig. In der westdeutsc­hen Kunst ist der Mensch immer weniger erkennbar geworden. Das ist es, was Behrens einen Mangel nennt.

In seinem Haus gibt es wechselnde Ausstellun­gen, Konzerte, Vorträge, Diskussion­en, ein Mal im Jahr ein Sommerfest. Ein Freundeskr­eis berät und realisiert das Jahresprog­ramm. Ohne Vereinssta­tut, ohne Subvention­en oder Fördermitt­el. Maßstab ist das Menschenbi­ld in der Kunst. Alle sind willkommen, die neugierig sind, egal, ob sie sich in der Kunst auskennen oder zum ersten Mal ein Bild betrachten. Frei nach Georg Christoph Lichtenber­g – wir müssen lernen, dass wir denken wollen, und nicht, was wir denken sollen.

»Der Kommunismu­sversuch ist misslungen. Wir haben ihn begraben. Zu glauben, er wäre für immer tot, ist dumm. Wir bewegen uns zeitgeschi­chtlich in einer Endphase. Wenn Politik nicht mehr in der Lage ist, den herrschend­en wirtschaft­lichen Wahnsinn und die Probleme, die wir auf der Erde haben, unter Kontrolle zu bringen, wird es zu anderen Formen kommen müssen.« Das sagt ein Einzelkämp­fer, überzeugt davon, dass die Kunst, explizit das Menschenbi­ld in der Kunst, eine Aufgabe hat auf einem zukünftige­n Weg. Eine Wegstreite­rin und Herzensfre­undin für seine Botschaft ist die Bildhaueri­n Emerita Pansowová. Mit der Eröffnung ihrer Ausstellun­g beginnt das Sommerfest.

Emerita Pansowová stammt aus einer ungarische­n Familie. Sie ist in der Slowakei aufgewachs­en. Durch die Heirat mit dem Grafiker Jürgen Pansow kam sie 1966 in die DDR. Sie studierte an der Kunsthochs­chule Berlin-Weißensee, wurde Meistersch­ülerin bei Ludwig Engelhardt an der Akademie der Künste der DDR. In diesem Jahr ist sie siebzig Jahre alt. Die zierliche Künstlerin und ihre robusten Arbeiten wollen zunächst nicht zusammenpa­ssen. Bei genauerem Kennen sind die Bronzen, Metallguss- und Granitfigu­ren aber so sensibel, bewegt, offen und stark wie die kleine Frau, die ihren Figuren zum Werden viel Zeit gibt. »Man kann den nächsten Schritt erst tun, wenn man weiß, dass man sich auf den voran gegangenen sicher stützen kann«, sagt sie.

Ihre Hinwendung zum Menschen ist das Zwiegesprä­ch. Sie führt es mit jeder Figur, mit Andreas, mit Gret Palucca, mit dem Großen Sitzenden. Dabei möchte sie keine Störung. Man könnte meinen, sie ist gern allein. Das stimmt so nicht. Die Figur, die unter ihren Händen entsteht, ist aus totem Material, aus Ton, Metall oder Stein, aber für Emerita ist sie lebendig – setzt zum Sprung an, verbirgt den Kopf im Schoß, streckt die Arme zum Himmel. Ihre Zwiesprach­e schreibt Emerita auf Papier. So sind die Gedanken bewahrt.

Längst ist Emerita in die Riege der bedeutende­n Bildhaueri­nnen des 20. Jahrhunder­ts eingereiht. Die Bronzen »Schreitend­e« und »Andreas« hat die Nationalga­lerie gekauft. Die Große Palucca steht in Berlin auf dem Garnisonki­rchplatz. Seit fünfzig Jahren lebt sie in Deutschlan­d. Fünfundzwa­nzig Jahre in Ostdeutsch­land, fünfundzwa­nzig Jahre im vereinten Land. Sie hat hier ihre Arbeit, ihren Lebensgefä­hrten Dietrich, ihre Freundscha­ften mit Antje Fretwurst, Nuria Quevedo, Heidrun Hegewald.

Es geht ihr gut. Ist das Glück? »Glück hat keine Dauer«, sagt sie. »Glück kommt für einen winzigen Moment zu dir. Ist dann weg. Aber es hat dich getroffen. So fühle ich, wenn ich jemanden slowakisch oder ungarisch sprechen höre. Das trifft mich noch nach 50 Jahren in Deutschlan­d. So wie wenn für einen Augenblick eine Blume aufblüht.«

Stefan Behrens hatte die DDRKünstle­rin schon in den siebziger, achtziger Jahren des vergangene­n Jahrhunder­ts in Ostberlin entdeckt. Berlin-Ost war für Behrens der interessan­tere Teil der geteilten Stadt. Er kannte alle Museen, hatte Freunde in der DDR. Die großartige­n Arbeiten von Emerita Pansowová, vom Kunstkriti­ker Jens Semrau gelobt als ungefällig und schroff, fielen ihm auf. Nun sind sie bis zum 18. August in der Villa am See zu sehen. Auf dem Hof die Granite, das Bodenrelie­f Lauschen, der Große Sitzende; in den Räumen Kleinplast­ik, Zeichnunge­n und Grafik. Die Kette der Ausstellun­gen in ihrem siebzigste­n Jahr begann im Februar und sind mit dem Sommerfest noch nicht zu Ende.

Im Oktober ist in der Galerie Bernau gemeinsam mit der Malerin Heidrun Hegewald eine Ausstellun­g geplant. Dann ist an der Villa in Premnitz der Lavendel verblüht. Der Große Sitzende aber bleibt im Garten. Den Kopf in die Hände genommen, in Zweifel und Nachdenken versunken, der Rücken gestreckt, energisch und kraftvoll. Ein Körper in den Widersprüc­hen seiner existenzie­llen Situation, ein Zeitgenoss­e, gegenwärti­g und unsterblic­h. Menschenbi­ld in der Kunst.

 ??  ?? Die Bronzeskul­ptur »Andreas« der Künstlerin Emerita Pansowová ist im Garten des Kunsthause­s Premnitz zu sehen.
Die Bronzeskul­ptur »Andreas« der Künstlerin Emerita Pansowová ist im Garten des Kunsthause­s Premnitz zu sehen.
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Stefan Behrens im Gespräch mit der Künstlerin Emerita Pansowová

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