Rotzige Rigaer: Wir brauchen dich
Elsa Koester über ein gallisches Hausprojekt inmitten der Hauptstadt und die große Sehnsucht nach Rebellion
Die Rigaer, das sind dreckige Rotzpunks. Bier trinkende, Autos anzündende, herumwütende Chaoten, die keiner geordneten Arbeit nachgehen und nichts und niemanden achten: den Staat nicht, die Polizeibeamten erst recht nicht, hart angesparte und mit viel Liebe gepflegte BMWs nicht. Anarchisten! Rotzbengel! Und dann diese versiffte Kneipe, die sie »Freiraum« nennen. Frei von Sauberkeit und Stil vielleicht, frei von gutem Wein, ja sogar frei von gutem Bier. Wer mag schon die Rigaer?
Ich liebe sie, unsere Rigaer. Sogar die liberale Presse hat sie in ihr Herz geschlossen. Nach Wochen der Belagerung (510 Stunden!), nach Nächten der brennenden Autos in Berlin, nach einer Demo mit etlichen verletzten Demonstranten und Polizisten ist der Buhmann keine freche Rotzgöre, sondern Frank Henkel. Der narzisstische, kaltherzige, stockkonservative Innensenator, der die Polizisten für seinen Wahlkampf verfeuerte und einem ganzen Kiez den Ausnahmezustand aufzwang.
Zwischendurch sah das anders aus. Auf der Demonstration am 9. Juli machten die Rigaer-Unterstützer ihrem Ruf scheinbar alle Ehre. 123 Beamte verletzt, vermeldete die Polizei. Prellungen durch »Wurfgeschosse«. Einige Medien nahmen diesen Stein gerne auf. »Gewalttätigste Demo seit Jahren«, das titelten »Tagesspiegel«, »Morgenpost«, »Berliner Zeitung«, »Süddeutsche Zeitung«, »B.Z.«, »Welt«. Bis auch andere Erzählungen durchsickerten: Von willkürlichem Polizeikessel berichteten Unbeteiligte, von Provokationen und Schlägen durch Beamte, von vielen verletzten Demonstranten.
So folgte auf die Empörungswelle eine Welle der Solidarisierung. Ja, einige Anwohner waren von beiden Seiten genervt: von der Rigaer und der Polizei. In einer Erklärung schlugen sie sich dann aber auf die Seite der Hausbewohner – der Polizeieinsatz ginge zu weit. Neunjährige Schulkinder und 14-jährige Mädchen würden durchsucht, Trinkflaschen konfisziert. Und die Nachbarn aus der 94 sollen gefälligst in Ruhe gelassen werden. »Das ist kein besetztes Haus, das geräumt werden soll. Das sind Mieter, die haben Grundrechte!«, verteidigt selbst die grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann das Hausprojekt.
»Ohne die rechtswidrige Teilräumung der Rigaer 94 hätten in den letzten Wochen nicht so viele Autos gebrannt; auch die Demonstration am Samstag wäre nicht so gewalttätig verlaufen«, schreibt die »taz« schließlich. Und fasst damit zusammen: Henkel ist schuld. An allem.
Denn von einem haben die Leute die Nase deutlich voller als von Chaoten: vom Wahlkampf. Von PolitikerProfilneurosen, von Heuchelei und Demokratietheater. Henkel ist zu weit gegangen. Aber was selbst einige linke Liberale zu Rigaer-Verstehern macht, ist mehr als die Empörung über den Rechtsverdreher. Es ist das dringende Verlangen nach Asterix und Obelix. Nach Rebellion. Nach Frechheit, Aufstand, Katzenbuckel und ausgefahrenen Krallen, nach kratzbürstigem Sträuben gegen all den Wahnsinn dieser Welt.
Denn was ist das für eine Welt? Sie lässt die Wahl zwischen AfD und Merkel, zwischen islamistischem Terror und autoritärem Staat, zwischen furchtbaren Jobs und HartzIV-Schikane. Das ist keine Wahl, das ist ein Albtraum. Wer will das schon? Ich nicht. Ich will keinen Henkel, kein »Law and Order«, keinen Sachzwang, ich will eine ganz andere Politik, zu der es zwar kaum konkrete Vorschläge gibt, nur ein paar Ideen, aber deshalb will ich sie trotzdem, und ich will nicht für naiv und verrückt erklärt werden, weil ich daran glaube, dass das geht. Dass alles ganz anders gehen muss.
Die Rigaer gibt uns vielleicht nicht die Blaupause für eine solidarische Gesellschaft. Ja, manchmal nerven sie, die Unbelehrbaren, die seit Jahrzehnten am Schwarzen Block festklammern. Aber ihren eigenen Kopf haben sie wenigstens. Räumung der Kneipe? Nö! Dann gibt’s eben so lange Bambule, bis Henkel seine Hunde zurückpfeift! Pfefferspray, damit wir uns zurückziehen? Nö! Wir sagen, wo die Demo lang geht! Nette, bunte Klamotten, damit uns auch der letzte Bürgi süß findet? Nö! Wir sind Autonome, wir tragen schwarz, kommt damit klar! Nö! Nö! Nö! Ihr kriegt uns hier nicht raus. Das ist unser Haus.
Die Rigaer ist unser kleines gallisches Dorf. Vielleicht bewerfen sie sich manchmal mit stinkendem Fisch. Vielleicht können sie nicht singen. Und vielleicht schmeckt der Zaubertrank nach schalem Sterni. Aber hier wird Widerstand geleistet: gegen Henkel, gegen das römische Imperium. Wir brauchen sie, unsere Rigaer.