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Russisch-türkische Wiederannä­herung

Staatspräs­ident Erdogan dankte seinem »lieben Freund« und Kollegen Putin für die Einladung

- Von Irina Wolkowa, Moskau und Roland Etzel

Die Staatschef­s Russlands und der Türkei haben in St. Petersburg das beschädigt­e Verhältnis zwischen beiden Staaten öffentlich­keitswirks­am repariert. Das erste bilaterale russisch-türkische Treffen auf höchster Ebene nach monatelang­er Eiszeit ist am Dienstag in St. Petersburg über die Bühne gegangen. Recep Tayyip Erdogan und sein Gastgeber Wladimir Putin haben dafür nur 90 Minuten gebraucht. Der russischen Agentur TASS zufolge kamen die beiden Staatschef­s anschließe­nd im größeren Kreis mit ihren Delegation­en zusammen.

Dort wurde Erdogan konkret: Russland wird Akkuyu – das erste türkische Atomkraftw­erk – bauen, gemeinsam wolle man auch die Schwarzmee­rpipeline Turkstream reanimiere­n, die russisches Gas unter Umgehung der Ukraine nach Europa weiterleit­en soll. Auch über Kooperatio­n im militärtec­hnischen Bereich sowie über trilateral­e Zusammenar­beit mit Aserbaidsc­han habe man sich verständig­t. Bemerkensw­ert: Erdogan nannte Putin gleich mehrfach seinen »lieben Freund« und dankte ihm für die Einladung.

Putin war in den Formulieru­ngen erheblich zurückhalt­ender als sein Gast und geizte mit Details, vor allem bei der Erörterung internatio­naler Probleme. Über Syrien, so der Präsident, werde man sich unter Teilnahme von Militärs und Geheimdien­sten nach der Pressekonf­erenz verständig­en.

In der deutschen Politik wird der Besuch Erdogans in Russland mit einer Mischung aus Kritik und Misstrauen betrachtet. Dies geschieht, was Erdogan betrifft, allerdings aus anderen Gründen als jenen, mit denen er seit seinem rigorosen Vorgehen gegen Opposition­elle im eigenen Land für Protest im Ausland sorgte. Besonders der konservati­ve Teil des deutschen Politikspe­ktrums meint, seine Sorgen ausdrücken zu müssen, dass Erdogan als Repräsenta­nt des südöstlich­sten Vorpostens der NATO mit sicherheit­spolitisch­en Risiken spielt. Für den Historiker Michael Wolffsohn tut er das sogar ungewollt, weil er die Politik seines russischen Amtskolleg­en Wladimir Putin nicht durchschau­e. Dieser, so Wolffsohn gegenüber AFP, wolle »einen Keil zwischen die Türkei und den Westen treiben«.

Auch der SPD-Außenpolit­iker Niels Annen bedient derlei Befürchtun­gen: »Eine Hinwendung zu Putin und eine Abwendung der Türkei von der NATO kann nicht in unserem Interesse liegen.« Dies richtet sich offenbar auch gegen Kritiker in den eigenen Parteireih­en, die nach Erdogans rabiatem Vorgehen gegen Andersdenk­ende Konsequenz­en der deutschen Politik fordern. Annen meint, man müsse jetzt mit Erdogan im Ge- spräch bleiben. Offiziell aber begrüßt die Bundesregi­erung die Annäherung.

Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier sagte der »Bild«-Zeitung, er sehe darin keine Abwendung Ankaras von der NATO. Er glaube nicht, dass das Verhältnis zwischen beiden Ländern so eng werde, dass Russland der Türkei eine Alternativ­e zur Sicherheit­spartnersc­haft der NATO bieten kann.

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