Reformbedarf beim Opferschutz
Wissenschaftler haben das Gleichstellungsgesetz begutachtet und empfehlen nun Nachbesserungen
Das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) soll Diskriminierung verhindern. Eine Evaluation kommt nun zu dem Schluss, dass das zehn Jahre alte Gesetz dringend reformiert werden müsste. Vor zehn Jahren trat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft. Ziel des Gesetzes ist es, Benachteiligungen wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen«, wie es im Paragraf eins des AGG heißt. Im Vorfeld heiß diskutiert, blieben die von der deutschen Wirtschaft befürchteten Folgen aus. Insbesondere kam es zu keiner Klagewelle. Das belegen auch die Zahlen, die die Antidiskriminierungsstelle des Bundes am Dienstag veröffentlichte. Demnach haben sich seit 2006 mehr als 15 000 Menschen wegen einer möglichen Diskriminierung beraten lassen. Rund 3300 von ihnen fühlten sich wegen ihrer ethnischen Herkunft benachteiligt, etwa genauso viele wegen ihres Geschlechts. Auf das Jahr gerechnet waren das rund 1500 Personen, eine Massenbewegung sieht anders aus.
»Wir müssen es den Betroffenen einfacher machen, gegen Diskriminierung vorzugehen«, sagte die Lei- terin der Antidiskriminierungsstelle Christine Lüders am Dienstag. Viele Benachteiligte zögerten immer noch, ihre Rechte wahrzunehmen, weil sie etwa »Angst um den Arbeitsplatz oder die Wohnung haben«, so Lüders. Einer Umfrage der Antidiskriminierungsstelle aus dem Jahr 2015 zufolge, hatte jeder Dritte in den zwei Jahren zuvor selbst Diskriminierung erlebt. (siehe Kasten)
Um es den Betroffenen künftig leichter zu machen, soll das AGG nun reformiert werden. Lüders sieht sich durch die Gesetzes-Evaluation bestätigt, die am Dienstag vorgestellt wurde. Demnach müssten dringend die Fristen erweitert werden, in denen Betroffene ihre Ansprüche geltend machen können. Statt bisher zwei Monate sollten sie dafür sechs Monate Zeit haben. Sexuelle Belästigung sollte in Zukunft nicht nur am Arbeitsplatz, sondern in allen Lebensbereichen verboten sein, fordern die Experten um die Oldenburger Jura-Professorin Christiane Brors. Auch die Länder seien hier gefordert und müssten etwa die Hochschulgesetzgebung entsprechend ändern.
Nachgebessert werden müsse auch der Schutz vor Diskriminierung für Fremdpersonal, etwa bei Werkverträgen und in Subunternehmen. Der Gesetzgeber sollte auch klarer formulieren, welche Pflichten ein Arbeitgeber hat, um Diskriminierungen auch von Leiharbeitern zu verhindern. Die Reaktion des Bundesverbandes Deutscher Arbeitgeber (BDA) erfolgte prompt. Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter schimpfte am Dienstag: »Die Vorschläge aus dem verzerrenden Evaluationsbericht gehören nicht ins Bundesgesetzblatt – sondern in den Papierkorb.«
Die Reaktion der Arbeitgeber zeigte auch, wie sinnvoll das von den Experten geforderte Klagerecht für Verbände ist, denn viele Betroffene schrecken vor den Belastungen eines Gerichts verfahrens zurück, auch weil sie Konsequenzen ihres Chefs fürchten. Ein solches Verbands klage recht habe sich in anderen Bereichen bewährt, so Ko-Studienautor Alexander K lose. Verbraucher zentralen oder Naturschutz verbände könnten vor Gericht ziehen. Dasselbe müsse auch für Antidiskri mini erungs verbände möglich sein.
Christiane Brors kritisierte, dass das Gesetz die »aktuelle Rechtslage nicht mehr wiedergibt«. So klammere das AGG das Kündigungsrecht aus und verstoße damit gegen europäisches Recht. Im Übrigen nicht der einzige Punkt, in dem das AGG den entsprechenden EU-Richtlinien widerspreche, so Brors.
Derweil sorgt die Forderung der Experten nach einem Verbandsklagerecht für heftige Diskussionen. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, Britta Hasselmann, sprach sich gegenüber NDR Info dafür aus. »Viele Menschen, die sich diskriminiert fühlen, scheuen sich, als Einzelpersonen durch alle Instanzen zu gehen«. Unionsfraktionsvize Michael Fuchs konterte via ARD: »Ich bin dagegen, dass wir eine Art Sittenpolizei in Deutschland aufbauen.« Wenn jemand Recht suche, so Fuchs, dann könne er zu einem Anwalt gehen und klagen.
Tatsächlich gibt es europäische Staaten, die es Betroffenen einfacher machen, gegen die Benachteiligung vorzugehen. In Frankreich und der Schweiz existiert ein strafrechtliches Verbot der Diskriminierung. In Schweden gibt es einen Ombudsmann gegen Diskriminierung, dem eine Behörde mit 90 Mitarbeitern untersteht, der Arbeitgeber mit Bußgeldern belegen kann. In Deutschland hat sich der Gesetzgeber hingegen für ein privatrechtliches Modell entschieden, in dem die Betroffenen sich selbst kümmern müssen. Die Antidiskriminierungsstelle darf hier nur beraten. Mehr nicht.
»Wir müssen es den Betroffenen einfacher machen, gegen Diskriminierung vorzugehen.« Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle