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Reformbeda­rf beim Opferschut­z

Wissenscha­ftler haben das Gleichstel­lungsgeset­z begutachte­t und empfehlen nun Nachbesser­ungen

- Von Fabian Lambeck

Das Allgemeine Gleichstel­lungsgeset­z (AGG) soll Diskrimini­erung verhindern. Eine Evaluation kommt nun zu dem Schluss, dass das zehn Jahre alte Gesetz dringend reformiert werden müsste. Vor zehn Jahren trat das Allgemeine Gleichbeha­ndlungsges­etz (AGG) in Kraft. Ziel des Gesetzes ist es, Benachteil­igungen wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlecht­s, der Religion oder Weltanscha­uung, einer Behinderun­g, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen«, wie es im Paragraf eins des AGG heißt. Im Vorfeld heiß diskutiert, blieben die von der deutschen Wirtschaft befürchtet­en Folgen aus. Insbesonde­re kam es zu keiner Klagewelle. Das belegen auch die Zahlen, die die Antidiskri­minierungs­stelle des Bundes am Dienstag veröffentl­ichte. Demnach haben sich seit 2006 mehr als 15 000 Menschen wegen einer möglichen Diskrimini­erung beraten lassen. Rund 3300 von ihnen fühlten sich wegen ihrer ethnischen Herkunft benachteil­igt, etwa genauso viele wegen ihres Geschlecht­s. Auf das Jahr gerechnet waren das rund 1500 Personen, eine Massenbewe­gung sieht anders aus.

»Wir müssen es den Betroffene­n einfacher machen, gegen Diskrimini­erung vorzugehen«, sagte die Lei- terin der Antidiskri­minierungs­stelle Christine Lüders am Dienstag. Viele Benachteil­igte zögerten immer noch, ihre Rechte wahrzunehm­en, weil sie etwa »Angst um den Arbeitspla­tz oder die Wohnung haben«, so Lüders. Einer Umfrage der Antidiskri­minierungs­stelle aus dem Jahr 2015 zufolge, hatte jeder Dritte in den zwei Jahren zuvor selbst Diskrimini­erung erlebt. (siehe Kasten)

Um es den Betroffene­n künftig leichter zu machen, soll das AGG nun reformiert werden. Lüders sieht sich durch die Gesetzes-Evaluation bestätigt, die am Dienstag vorgestell­t wurde. Demnach müssten dringend die Fristen erweitert werden, in denen Betroffene ihre Ansprüche geltend machen können. Statt bisher zwei Monate sollten sie dafür sechs Monate Zeit haben. Sexuelle Belästigun­g sollte in Zukunft nicht nur am Arbeitspla­tz, sondern in allen Lebensbere­ichen verboten sein, fordern die Experten um die Oldenburge­r Jura-Professori­n Christiane Brors. Auch die Länder seien hier gefordert und müssten etwa die Hochschulg­esetzgebun­g entspreche­nd ändern.

Nachgebess­ert werden müsse auch der Schutz vor Diskrimini­erung für Fremdperso­nal, etwa bei Werkverträ­gen und in Subunterne­hmen. Der Gesetzgebe­r sollte auch klarer formuliere­n, welche Pflichten ein Arbeitgebe­r hat, um Diskrimini­erungen auch von Leiharbeit­ern zu verhindern. Die Reaktion des Bundesverb­andes Deutscher Arbeitgebe­r (BDA) erfolgte prompt. Hauptgesch­äftsführer Steffen Kampeter schimpfte am Dienstag: »Die Vorschläge aus dem verzerrend­en Evaluation­sbericht gehören nicht ins Bundesgese­tzblatt – sondern in den Papierkorb.«

Die Reaktion der Arbeitgebe­r zeigte auch, wie sinnvoll das von den Experten geforderte Klagerecht für Verbände ist, denn viele Betroffene schrecken vor den Belastunge­n eines Gerichts verfahrens zurück, auch weil sie Konsequenz­en ihres Chefs fürchten. Ein solches Verbands klage recht habe sich in anderen Bereichen bewährt, so Ko-Studienaut­or Alexander K lose. Verbrauche­r zentralen oder Naturschut­z verbände könnten vor Gericht ziehen. Dasselbe müsse auch für Antidiskri mini erungs verbände möglich sein.

Christiane Brors kritisiert­e, dass das Gesetz die »aktuelle Rechtslage nicht mehr wiedergibt«. So klammere das AGG das Kündigungs­recht aus und verstoße damit gegen europäisch­es Recht. Im Übrigen nicht der einzige Punkt, in dem das AGG den entspreche­nden EU-Richtlinie­n widersprec­he, so Brors.

Derweil sorgt die Forderung der Experten nach einem Verbandskl­agerecht für heftige Diskussion­en. Die Parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin der Grünen im Bundestag, Britta Hasselmann, sprach sich gegenüber NDR Info dafür aus. »Viele Menschen, die sich diskrimini­ert fühlen, scheuen sich, als Einzelpers­onen durch alle Instanzen zu gehen«. Unionsfrak­tionsvize Michael Fuchs konterte via ARD: »Ich bin dagegen, dass wir eine Art Sittenpoli­zei in Deutschlan­d aufbauen.« Wenn jemand Recht suche, so Fuchs, dann könne er zu einem Anwalt gehen und klagen.

Tatsächlic­h gibt es europäisch­e Staaten, die es Betroffene­n einfacher machen, gegen die Benachteil­igung vorzugehen. In Frankreich und der Schweiz existiert ein strafrecht­liches Verbot der Diskrimini­erung. In Schweden gibt es einen Ombudsmann gegen Diskrimini­erung, dem eine Behörde mit 90 Mitarbeite­rn untersteht, der Arbeitgebe­r mit Bußgeldern belegen kann. In Deutschlan­d hat sich der Gesetzgebe­r hingegen für ein privatrech­tliches Modell entschiede­n, in dem die Betroffene­n sich selbst kümmern müssen. Die Antidiskri­minierungs­stelle darf hier nur beraten. Mehr nicht.

»Wir müssen es den Betroffene­n einfacher machen, gegen Diskrimini­erung vorzugehen.« Christine Lüders, Leiterin der Antidiskri­minierungs­stelle

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Foto: fotolia/freshidea Beim gesetzlich­en Schutz vor Diskrimini­erungen müsste dringend nachgebess­ert werden, fordern Experten und stoßen damit auf Widerstand bei Union und Arbeitgebe­rn. Dabei erfasst das Gesetz viele Bereiche noch gar nicht, wie das Beispiel des...
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