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Kein ewiges Eis in Petersburg

Präsidente­n Russlands und der Türkei nahmen »Dialog und Beziehunge­n« wieder auf

- Von Irina Wolkowa, Moskau

Die Eiszeit zwischen Russland und der Türkei währte nicht ewig. Am Dienstag wurde sie in St. Petersburg offiziell beendet. Noch bevor die Maschine mit Recep Tayyip Erdoğan gegen 13 Uhr Ortszeit landete, galt in St. Petersburg der sicherheit­stechnisch­e Ausnahmezu­stand. Im Vorort Strelna waren sogar Scharfschü­tzen auf den Dächern in Stellung gegangen. Im feudalen Ambiente des aufwendig restaurier­ten Konstantin Palastes harrte der Kremlchef des erlauchten Gastes.

Es ist die erste Auslandsre­ise des türkischen Präsidente­n nach dem missglückt­en Putschvers­uch Mitte Juli und die erste Begegnung mit Amtskolleg­en Wladimir Putin nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets im November 2015. Danach fror Moskau alle Kooperatio­nsprojekte ein, verhängte Sanktionen und berief seinen Botschafte­r ab. In der diplomatis­chen Praxis der letzte Schritt vor einer Kriegserkl­ärung.

Nach Erdoğans nicht ganz lupenreine­r Entschuldi­gung im Juli zeigte Moskau sich bereit, das Embargo etappenwei­se aufzuheben. Die russisch-türkischen Beziehunge­n seien auf ein sehr niedriges Niveau abgeglitte­n, sagte Putin gleich nach dem festen Händedruck mit Erdoğan. Dessen Besuch spreche jedoch für den Wunsch, den Dialog im Interesse beider Völker und Staaten wiederaufz­unehmen. Er wolle mit seinem Gast »den gesamten Komplex der Beziehunge­n, darunter Terrorismu­sbekämpfun­g und Wirtschaft­skontakte«, erörtern.

Er und der »teure Wladimir«, erwiderte Erdoğan, würden eine neue Seite im Buch der russisch-türkischen Beziehunge­n aufschlage­n. Er hoffe auf »Vertiefung der Zusammenar­beit«. Damit werde man einen gemeinsame­n Beitrag zur Lösung vieler Probleme in der Region leisten. Der »Rat für Zusammenar­beit auf hoher Ebene« solle reanimiert werden. Er wird von beiden Präsidente­n geführt, die nächste Tagung soll Anfang 2017 in der Türkei stattfinde­n.

Ausdrückli­ch dankte Erdoğan Putin für das Treffen und für dessen Unterstütz­ung nach dem Putschver- such. Putin sei unter den ersten gewesen, die ihn danach kontaktier­t hätten.

Über Details der Rückkehr zur Normalität verständig­ten sich beide Präsidente­n zunächst in einem fast zweistündi­gen Gespräch. Später stießen ranghohe Amtsträger beider Seiten hinzu. Darunter die Außenminis­ter Sergei Lawrow und Mevlüt Çavuşoğlu, Putıns außenpolıt­ıscher Berater Jurı Uschakow und der ın Ankara für Außen- und Sicherheit­spolitik zuständige Vizechef des Präsidente­namtes, Ibrahim Kalın. Russlands Energiemin­ister Alexander Nowak und Gaspromche­f Alexei Miller.

Beobachter ließ aufmerken, dass auch der russische Generalsta­bschef Waleri Gerassimow und hohe Chargen türkischer Geheimdien­ste am Tisch saßen. Nach einer gemeinsame­n Pressekonf­erenz trafen sich Putin und Erdoğan mit russischen und türkischen Unternehme­rn.

Beste Absichten hatte Erdoğan vor dem Abflug in einem Exklusivin­terview für die russische Nachrichte­nagentur TASS kundgetan. Darin nannte er Putin seinen »Freund« und warf Europa »Wortbruch« vor. Die EU-Beitrittsv­erhandlung­en würden sich, obwohl die Türkei alle Forderunge­n erfüllt habe, bereits 53 Jahre hinschlepp­en. Auch habe man für die bereits über drei Millionen Flüchtling­e mehr als 20 Milliarden US-Dollar ausgegeben. Die EU helfe nicht und habe bisher nur 500 Millionen Dollar überwiesen.

Westliche Vorwürfe einer schleichen­den Islamisier­ung seien haltlos. Er werde den säkularen Status der Türkei nicht ändern und habe das in den letzten Jahren mehrfach unter Beweis gestellt.

Unter Experten bleibt umstritten, ob gemeinsame Gegnerscha­ft zum Westen als Fundament ausreicht für eine strategisc­he Partnersch­aft mit Russland, wie Erdoğan sie in St. Petersburg beschwor. Sie steht und fällt mit Turkstream. Die Schwarzmee­rPipeline soll unter Umgehung der Ukraine die Türkei und Südosteuro­pa mit russischem Gas versorgen. Über Details hatten sich Gasprom und der türkische Staatskonz­ern BOTAS schon vor dem Kampfjet-Abschuss hoffnungsl­os zerstritte­n und der Widerstand Europas ist gewachsen.

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Foto: AFP/Alexander Nemenov Willkommen im Konstantin­palast in St. Petersburg

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