Zwischen den Einflusszonen von Aleppo
Beide Seiten unterbinden in der Stadt frontübergreifende Hilfe der Rotkreuz-Organisationen
Die syrischen Streitkräfte räumen einen Teilerfolg der Rebellen ein, erwarten weitere Angriffe und sehen die Hintermänner dafür in Katar, Saudi-Arabien und der Türkei. »Wir haben hier in Syrien einen internationalen Krieg«, sagt der Leiter der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit bei den syrischen Streitkräften, Brigadegeneral Ousama Khadour im Gespräch mit »nd« in Damaskus. Kämpfer kämen aus aller Welt, Waffen vor allem aus Europa und den USA. Von Anfang an sei falsch über Syrien berichtet worden, nun spiegele sich die Gewalt auch in Europa. »Die Anschläge in Ihrem Land tun uns leid«, sagt der General. »Wir kämpfen hier in Syrien seit fünf Jahren gegen den Terrorismus.«
Dann geht der Offizier auf die Lage in Aleppo ein. Die bewaffneten Gruppen planten die »Befreiung von Aleppo«, die syrischen Streitkräfte seien auf weitere Angriffe vorbereitet. Man erwarte diese aus Idlib, aus dem Süden und Westen der Stadt. Daher habe man dieses Gebiet um Aleppo für die Öffentlichkeit geschlossen und zur militärischen Operationszone erklärt.
Rund 300 000 Menschen befinden sich im Ostteil von Aleppo unter der Kontrolle der Kampfgruppen, die allgemein als »Rebellen« oder »bewaffnete Opposition« beschrieben werden. Im Rest der Stadt, der von den syrischen Streitkräften kontrolliert und geschützt wird, leben noch 1,2 Millionen Menschen. Um die Kampfgruppen in Aleppo zu entwaffnen, habe die Armee die letzte Versorgungsroute aus der Türkei abgeschnitten. Für die Zivilbevölkerung aus dem Gebiet habe man acht humanitäre Korridore geöffnet, durch die die Menschen in andere Teile von Aleppo gelangen könnten. Durch einen weiteren Korridor könnten Kämpfer, die den Kampf aufgeben wollen, die Kampfzone verlassen. Präsident Baschar al-Assad habe eine Amnestie für diese Männer erlassen und für diejenigen, die Geiseln freilassen. Bisher hätten nur wenige davon Gebrauch gemacht. »Die Menschen wollen Sicherheit und Garantien. Und wir haben gehört, dass die Kampfgruppen die Menschen nicht gehen lassen.« Die eingeschlossenen Milizen »wollen die Sympathien der Welt auf ihre Seite bringen«.
Rotkreuz- und -Halbmondgesellschaften und Organisationen der Vereinten Nationen arbeiten weiterhin in Aleppo. Der Syrische Arabische Rote Halbmond half seit Jahren auch »frontübergreifend« auf beiden Seiten. Aktuell wird diese frontübergreifende Arbeit von beiden Kampfparteien unterbunden, bestätigt das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in Damaskus. In dem von der Regierung kontrollierten Teil der Stadt ist die Arbeit weiter möglich.
Nach einem ersten Durchbrechen der Verteidigungslinien der syrischen Armee, die mit der libanesischen Hisbollah verbündet kämpft, im Südwesten der Stadt konnte die »Armee der Eroberung« einen »schmalen Durchgang« in den Osten der Stadt zu ihren »Brüdern« öffnen, erklärte die Nusra-Front, die sich inzwischen »Front zur Eroberung von Syrien« nennt, Jabhat al-Fatah al-Sham.
Die lokalen Kampfgruppen im Osten der Stadt hatten sich für das »Heldenepos von Aleppo«, so der Codename für den Angriff, mit der »Armee der Eroberung« verbündet. Da aber Ziele und Mittel der einzelnen Gruppen, die in der »Armee der Eroberung« zusammengebracht wurden, sehr unterschiedlich sind, haben sich einige vom Angriff zurückgezogen. Das Kommando beim »Heldenepos von Aleppo« führt die NusraFront, die gemeinsam mit Ahrar asSham (Befreiungsarmee der freien Männer der Levante) die meisten der mindestens 8000 Kämpfer stellen.
Vor der ersten Frontlinie kamen »Inghimasis« zum Einsatz, um mit massiven Explosionen die Verteidigungslinien der Armee zu brechen. »Inghimasis« sind Selbstmordattentäter. Sie begeben sich in feindliches Terrain, um nicht wieder zurückzukehren, so die Bedeutung des Wortes. Die »Islamische Partei Turkestan« hatte diese Selbstmordattentäter geschickt, wie viele ihrer Kämpfer so getötet wurden, gab sie nicht bekannt.
Neben den Genannten – NusraFront, Ahrar al-Sham und Islamische Partei Turkestan – sind bis zu 20 weitere Gruppen an der Offensive beteiligt. Eine davon ist die Brigade »Noural-Din-al-Zenki«. Kämpfer aus ihren Reihen hatten kürzlich vor laufender Kamera einem zwölfjährigen Palästinenser die Kehle durchschnitten. Mit dabei ist auch die »Armee des Islam«. Videoaufnahmen zeigten die Gruppe, wie sie Anhänger der syrischen Regierung in Käfigen auf Lastwagen auf einem Platz in Douma platzierte, einem Vorort von Damaskus. So sollten Angriffe der syrischen Armee verhindert werden. Weitere Namen im Bündnis sind Faylaq alSham, Ajnad Al-Sham, Liwa’a al-Haq und die Division 16, die Ende 2015 von den USA mit TOW-Anti-PanzerRaketen ausgerüstet worden war.
Alle Gruppen haben eine salafistisch-islamistische Ausrichtung und werden von Katar, Saudi-Arabien und der Türkei unterstützt und » vom türkischen Geheimdienst kontrolliert«, wie die Beiruter Zeitung »As-Safir« vorige Woche schrieb. Ein ausländi- scher Militärbeobachter in Damaskus bestätigte im »nd«-Gespräch, dass der Angriff auf Aleppo »nach einem Plan des Auslands riecht, der geheimdienstlich gesteuert« sei. »Keine der einfachen bewaffneten Gruppen wäre freiwillig direkt gegen die Militärakademie, die stärkste Befestigungsanlage der syrischen Streitkräfte in Aleppo, gezogen«, so der Offizier, dessen Regularien es nicht zulassen, namentlich genannt zu werden. Ausländische Staaten wollten ein Exempel statuieren, »ich spreche von Katar, Saudi-Arabien und der Türkei.«