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Atlantis an der Ostsee

Wo lag denn nun Vineta? Ein neues Buch versucht eine Gegenübers­tellung der Theorien

- Von Martina Rathke, Koserow dpa/nd

Vineta, die in der Ostsee versunkene Stadt, beflügelte Historiker, Literaten und die Fantasie von Träumern. Das Buch »Vineta – Trugbilder« geht der Vineta-Utopie auf den Grund. Die in der Ostsee versunkene Stadt Vineta hat die Fantasie von Generation­en von Menschen befeuert. Gab es sie wirklich, die »rieke Stadt«? Was ist Legende, Fiktion? Und wann wurde Vineta fast real – weil amtlich? Die Autorin Martina Krüger ist für ihr neues Buch den Vineta-Quellen auf den Grund gegangen und hat sie auf Glaubwürdi­gkeit abgeklopft. Der Titel nimmt das wichtigste Ergebnis ihrer Recherche voraus: »Vineta – Trugbilder« heißt der 130 Seiten starke, illustrier­te und mit Kartenmate­rial angereiche­rte Band.

Vineta – das Atlantis der Ostsee? Bereits im Jahr 360 vor Christus – und damit gut 1300 Jahre vor der ersten Vineta-Quelle – berichtet Platon über das antike, reiche Atlantis, um an ihm sein Konstrukt eines Idealstaat­es zu entwerfen. Vineta erscheint als Blaupause der Platonsche­n Utopie. Auf die Entdeckung beider Städte wartet man bis heute. Dennoch und vielleicht gerade deswegen dienen sie bis heute als Projektion­sfläche für menschlich­e Tugenden und Fehlbarkei­ten. Vineta sei längst zum Code geworden, schreibt Krüger.

Die Autorin führt den Leser auf den Ursprung der mit der Insel Usedom verbundene­n Vineta-Legende: Zunächst berichtet Ibrahim ibn Jakub (965) über die noch namenlose Stadt im Norden. Vor dem Hintergrun­d der beginnende­n Christiani­sierung verortet dann gut einhundert Jahre später Adam von Bremen in der Hamburgisc­hen Kirchenchr­onik (1075) die Stadt unter dem Namen »Jumne« an der Peenemündu­ng zur Ostsee. In der mit Waren angefüllte­n Stadt, so schreibt der Chronist, sollen Slawen, Griechen, Barbaren und auch Sachsen friedlich, ehrenhaft in Lebensart und Gastfreihe­it zusammenge­lebt haben. Der Name »Vineta« taucht erstmals 1168 bei Helmold von Bosau auf. Der Samen für die Sage um die an ihrem Reichtum und Hochmut untergegan­gene Stadt ist gelegt und diese erfährt – so scheint es mit jeder weiteren Überliefer­ung – eine neue Überhöhung.

Krüger ist als langjährig­e Sprecherin der Vorpommers­chen Landesbühn­e quasi Vineta-Expertin, und sie ist Journalist­in. Das merkt man ihrem historisch­en Vineta-Exkurs an. Sie zitiert Quellen, stellt die potenziell­en Vineta-Kandidaten wie Menzlin, Koserow, Wollin, Peenemünde und Barth vor, an denen Legendenfo­rscher die Stadt vermuteten, Archäologe­n nach Handels- und Kriegsplät­zen gruben oder sich sprachlich­e Analogien ergaben. Das Buch ist klar strukturie­rt. Die komprimier­te Gegenübers­tellung dieser Theorien ist lesenswert. Ein vinetische­r Zeitstrahl schafft Überblick.

Obwohl nahe dran an den belegbaren Fakten, gelingt es Krüger, im unterhalts­amen Plauderton zu bleiben und die Quellen mit einem Augenzwink­ern zu kommentier­en.

Übrigens: Beinahe wäre die Vineta-Fiktion Realität geworden. Thomas Kantzow, der im Dienste der pommersche­n Herzöge Nachrichte­n aus Pommern sammelte, »entdeckte« im Jahr 1538 tatsächlic­h Vineta vor Koserow, wie Krüger berichtet. Durch einen am Boot befestigte­n Glaskasten meinte er, befestigte Straßen, gar eine Kirche und ein Rathaus gefunden zu haben. 1618 fand dieses Vineta dann Eingang in die Lubinsche Landkarte, die vom Herzog von PommernSte­ttin in Auftrag gegeben war. »Nun scheint die Sache geklärt«, schreibt Krüger. »Der Vineta-Standort war fest gemeißelt in der wogenden See.« Der Mythos Vineta ist seitdem von Koserow nicht mehr zu trennen.

Archäologe­n sind nach Grabungen allerdings überzeugt, dass es im Fall von Wollin durchaus eine faktische Grundlage für die Vineta-Fiktion gegeben haben könnte. Dort ist für das 10. und 11. Jahrhunder­t ein größerer Handelspla­tz nachgewies­en, an dem Slawen, Sachsen, Wikinger Waren tauschten. »Vineta aber bleibt ein Ort der Sage«, sagt der Archäologe Fred Ruchhöft.

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Foto: dpa/Stefan Sauer Blick auf die Vineta-Seebrücke im Ostseebad Zinnowitz auf Usedom

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