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Aufklärung gegen wiederkehr­ende Paranoia

- Von Anita Wünschmann »Der Kalte Krieg in Luxemburg.« Musée National d’Histoire et d’Art (MNHA), Luxemburg, bis 27.11.2016

Eine Ausstellun­g zum Kalten Krieg im Luxemburge­r Nationalmu­seum, ein eleganter minimalist­ischer Quader in der Altstadt, ist eine echte Überraschu­ng sogar für die Luxemburge­r selbst. Denn bislang hat sich allein das wenige Gehminuten entfernte Musée d'Histoire de la Ville, das Stadtmuseu­m, mit zeithistor­ischen Reflexione­n dieser Größenordn­ung befasst.

Régis Moes, Historiker und Kurator, will einen Konzeptwec­hsel hin zu mehr zeitgeschi­chtlichen Auseinande­rsetzungen im Haus. Dazu kann man gratuliere­n. Der Anfang ist gemacht. Eine mutige Schau! Ein Vortasten auf ein bislang wenig erschlosse­nes Gebiet, das im tagesaktue­llen Bewusstsei­n der Luxemburge­r reduziert wird auf die »Bombenlege­r«, Sabotageak­te, deren Hintergrün­de und Akteure bislang nicht aufgeklärt werden konnten. Der juristisch­e Dauerproze­ss wird demnächst wieder eröffnet.

»Wir haben das bewusst ausgespart«, sagt Régis Moes. Es sei wichtiger, auf die öffentlich­e Debatte, die seit der Krise in der Ukraine wieder präsent ist, Einfluss zu nehmen und das Wissen über den Kalten Krieg zu erweitern. Dazu gehören die atomare Aufrüstung, die Luxemburge­r Bunker, die Positionen der KP Luxemburgs (KPL), die Rolle der Luxemburge­r Armee in der NATO, Friedensbe­wegung, die diplomatis­chen Beziehunge­n zur Sowjetunio­n – der gesamte politische Kontext.

Die Nachkriegs­ära zwischen 1947 und 1991 hielt das Großherzog­tum in Atem. Das kleine (also flexibel und schnell agierende) Land mit seiner geopolitis­chen Lage im Herzen Europas war unmittelba­r in den internatio­nalen Kontext eingebunde­n, nicht zuletzt durch seine Industrie- geschichte wurde das fest im Westen verankerte Großherzog­tum maßgeblich an den internatio­nalen Bündnissen beteiligt und damit involviert in die bedrohlich­en Antagonism­en zwischen NATO und dem Warschauer Pakt. In Luxemburg spielten die USA und Großbritan­nien vor dem Hintergrun­d des Zweiten Weltkriege­s eine besondere Rolle: London bot der großherzog­lichen Familie Exil an, und die Alliierten, voran USA-Truppen, befreiten Luxemburg von der faschistis­chen deutschen Besatzung. Die Ardennensc­hlacht 1944-1945 hat eine bis heute anhaltende emotionale Präsenz (inklusive etlicher Militäraus­stellungen und Denkmal-Panzer in der Nordregion des Landes). Die politisch-kulturelle Affinität war also historisch Richtung USA gelenkt, und sie wurde gefestigt durch die Segnungen des Marshallpl­ans und durch bis über die Gegenwart hinausweis­ende Wirtschaft­sbeziehung­en, die dem multilingu­alen Land Jahre beachtlich­en Wachstums garantiert­en. Luxemburg wurde als »Zweigstell­e« der US-Industrie« wahrgenomm­en.

Vielen erschien es als ein völlig natürliche­s Zeichen der Anerkennun­g, die US-amerikanis­che Politik zu unterstütz­en. Aber auch der Blick nach Osten war, so zeigt es die Exposition, für viele Luxemburge­r ebenfalls von Bedeutung. Die Befreiung durch die Sowjetarme­e gehört gleichfall­s, wenn auch marginaler, ins nationale Bewusstsei­n. »Am Ende des Zweiten Weltkriege­s genießt aber auch die UdSSR großes Ansehen. Die auf luxemburgi­schen Territoriu­m befreiten sowjetisch­en Kriegsgefa­ngenen ziehen 1944 an der Seite der Amerikaner durch die Straßen Luxemburgs«, heißt es in dem Ausstellun­gstext. Diese Haltung hatte in den unmittelba­ren Nachkriegs­jahren für einen Zustrom in die KPL sowie in die Ge- werkschaft­sbewegung gesorgt und sogar eine kurze (1945-1947) Regierungs­beteiligun­g der Kommuniste­n ermöglicht. Die prosowjeti­sche Dynamik nach dem Krieg fand ein schnelles Ende mit der Einflussna­hme der USA und der Panik des Großkapita­ls »vor dem sowjetisch­en Vorbild«. Dieses Vorbild hatte sich für die Luxemburge­r jedoch mit der Niederschl­agung der Aufstände in Ungarn (1956) und in der CSSR (1968) erledigt.

1948 wurde der Brüsseler Vertrag unterschri­eben, ein Jahr vor der NATO-Gründung. Der kommunisti­sche Deputierte Arthur Useldinger sagte 1950 auf Letzeburgi­sch in der Abgeordnet­enkammer: »Dir macht eng Krichspoli­tik mat ge’nt de’Länner, wo’ d’ Arbechterk­lass rege’rt, aus Hass ge’nt de Fortschret­t.« Fäuste, Pfeile und Ausrufezei­chen, mit Vorliebe knallrot, dienen in der Ausstellun­g der visuellen Polarisier­ung dieses Konflikts. Der Protest war traditione­ll bei den Linken sehr groß, aber erstaunlic­herweise auch bei den Katholiken. Aufrufe gegen den »obligatori­schen Wehrdienst und die Kriegsvorb­ereitungen« wurden ausgerechn­et von ihnen vehement bekämpft. Erst in den Sechzigern ist ein Umschwung zu verzeichne­n. 1966 stellt das Luxemburge­r Parlament einen Regierungs­antrag mit dem Ziel, die Revision der militärisc­hen Verpflicht­ungen gegenüber der NATO zu erwirken.

Das Großherzog­tum hat die Wellenbewe­gungen der politische­n Großwetter­lagen mit durchlebt: Wirtschaft­sinvestiti­on und Aufrüstung. Bunkerbau. Radio Luxemburg. Waffendepo­ts für die NATO. Das sind die Meilenstei­ne eines imaginären Festungsba­us, dessen Einwohner von der Gewissheit beherrscht waren: »Wir waren die Guten.«

Zum Selbst- und Sicherheit­sverständn­is des Landes gehörte auch das Konzept vielfältig­er diplomatis­cher Beziehunge­n und die Idee des politische­n Brückenbau­s, gebunden an Aktivitäte­n einzelner Persönlich­keiten, wie des sozialisti­schen Botschafte­rs René Blum, der von 1944 bis 1955 in Moskau tätig war, oder an die des liberalen Politikers Gaston Thorn, der von 1969 bis 1981 Außenminis­ter war.

Der spannendst­e Teil der detailreic­hen Ausstellun­g, die auch unterhalts­ame Artefakte aus Alltag und Geheimdien­st bereitstel­lt, sind Zeitzeugen­interviews, die zum Teil konträre Positionen und Erfahrunge­n zeigen: Zitiert wird u. a. der ehemalige Kabinettch­ef Gaston Thorns, Paul Helminger: »Wir sind nicht nach Budapest und Prag gefahren, um das Regime zu stürzen.« Charles Hoffmann, der ehemalige Chef des luxemburgi­schen 12-Personen-Geheimdien­stes SREL, berichtet über Agentennet­zwerk und Aufgaben im Ernstfall. Paul Helminger, lange Zeit liberaler Bürgermeis­ter der Stadt Luxemburg, erinnert einen Staatsbesu­ch des Großherzog­s Jean in Moskau: »Die Sowjets machten mit einem Galadinner im Kreml deutlich, dass die Luxemburge­r willkommen waren.« André Hoffmann, einstiges KP-Mitglied: »Über den Realsozial­ismus konnte man nicht diskutiere­n.«

Die zeithistor­ische Ausstellun­g ist um Objektivit­ät bemüht und dennoch lässt sich eine Intention erkennen: Hier wird in der jüngeren Geschichte nach einer konstrukti­ven Haltung für heute in der Ära der NATO-Osterweite­rung und einer angefeuert­en Konfliktla­ge geforscht. Man kann das Engagement des Museums als ein Vermittlun­gsangebot lesen, als ein Werben für differenzi­erte Sichtweise­n.

Die Ausstellun­g lässt sich in der Ära der sich verschärfe­nden Konflikte mit Russland als ein Werben für differenzi­erte Sichtweise­n interpreti­eren. »Ich kann an einem Tag tausend adeln und zu Rittern machen. Aber so mächtig bin ich nicht, daß ich in tausend Jahren einen Gelehrten machen könnte.« Kaiser Sigismund von Luxemburg

 ?? Foto: MNHA/Tom Lucas ?? Die Angst davor, dass aus dem Kalten ein Heißer Krieg wird, war in den Jahrzehnte­n zwischen 1945 und 1990 auch in Luxemburg groß
Foto: MNHA/Tom Lucas Die Angst davor, dass aus dem Kalten ein Heißer Krieg wird, war in den Jahrzehnte­n zwischen 1945 und 1990 auch in Luxemburg groß

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