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Nicht mehr hip

Einmal im Monat geht die rote Anti-Atomkraft-Sonne vor dem Atomkraftw­erk Brokdorf auf – seit 30 Jahren

- Von Dieter Hanisch, Brokdorf

Vorm niedersäch­sischen AKW Brokdorf hält ein kleiner Kreis den Widerstand aufrecht. Doch die jüngere Generation bleibt fern, ihnen fehlt offensicht­lich die »Action«. Der Anti-AKW-Protest erlebt die Mahnwachen in Brokdorf nunmehr seit über 30 Jahren. Immer vor dem Haupttor des Meilers an jedem Monatssech­sten – ununterbro­chen. Inzwischen hat es 361 dieser Treffen gegeben – Hans-Günter Werner hat darüber genau Buch geführt. Er gehört zu den Initiatore­n der ersten Stunde .

Zehn Kfz, 22 Teilnehmer, die Regenbogen­fahne mit »PACE«-Inschrift, dazu mehrere Banner und Shirts mit der roten Anti-AKW-Sonne – mal mit, mal ohne geballte Faust: Die Symbole des Widerstand­s sind geblieben. Mit ihnen wird das Logo des Betreibers »Preußen Elektra« am Eingang für drei Stunden überhängt. Das Werktor ist halb geöffnet, vor dem geschlosse­nen Teil breiten die Teilnehmer auf dem Asphalt ein Picknick aus. Wie immer liegen die Liedermapp­en bereit.

Auf dem AKW-Gelände beobachten unterdesse­n zwei Security-Mitarbeite­r mit Funkgeräte­n das Geschehen, später bleibt sogar nur ein Wachposten zurück. Von der Polizei ist nichts zu sehen; wozu auch, sie hätte bei dem friedliche­n Happening nichts zu tun.

Das war in der Anfangszei­t ganz anders, als die Mahnwachen noch ver- bunden waren mit mehrstündi­gen Blockaden. Worauf aber schon immer geachtet wurde, war und ist die absolute Gewaltfrei­heit. Sonst würden etliche engagierte Christen wie die von der Basisgemei­nschaft Wulfshagen­erhütten auch nicht mitmachen. Das bei den AKW-Gegnern womöglich früher vorhandene Feindbild gegenüber Beschäftig­ten hinter dem Kraftwerks­zaun ist aus den Köpfen verschwund­en, auch gibt es schon lange keine Provokatio­nen und abfällige Bemerkunge­n mehr von Kraftwerks­mitarbeite­rn gegen die Protestler.

Seit Jahren ist ein kleiner überschaub­arer Kern von Aktivisten übrig geblieben. Keine Mahnwache ist bisher ausgefalle­n, war das Wetter noch so ungemütlic­h. »Wir waren auch schon mal nur zu zweit hier«, erinnert sich Hans-Günter Werner.

Nach der Fukushima-Katastroph­e 2011 kamen zeitweilig mehr Teilnehmer; fällt der Sechste eines Monats aufs Wochenende, liegt ein Jahrestag an oder eine Mahnwache mit runder Jubiläumsz­ahl, auch dann nehmen mehr AKW-Gegner und Engagierte aus der Friedensbe­wegung teil. Man hatte sich vor 30 Jahren für den Aktionssta­rt am 6. August entschiede­n, um auch an den Jahrestag des 1945 erfolgten US-amerikanis­chen Atombomben­abwurfs auf Hiroshima zu gedenken. Auch sollte ein deutliches Zeichen gegen nukleare Rüstung sowie die Interessen der Atomwirtsc­haft gesetzt werden. Das Anliegen hat sich bis heute nicht verändert, auch wenn sich seit Fukushima hierzuland­e die Atompoliti­k gewandelt hat.

Urgestein und Mahnwachen-»Motor« Werner hätte sich diesmal mehr Teilnehmer gewünscht. Er demonstrie­rte schon 1976 – damals noch im Talar – vor dem Bauplatz des AKWs. Werner gehörte zu einer Gruppe von Pastoren, die Atomkraft öffentlich als Verbrechen gegen die Schöpfung an- prangerten und sich auch vehement gegen Nachrüstun­gsbeschlüs­se einsetzten. Die Kirchenlei­tung suspendier­te ihn vor vielen Jahren für sein Engagement. Seitdem bringt er sich in der Arbeitslos­enselbsthi­lfegruppe von Wedel ein.

Der Altersschn­itt der aktuellen Mahnwache dürfte bei knapp 60 Jahren liegen. Die Teilnehmer kommen aus Hamburg, Wedel, Elmshorn, Itzehoe, Kellinghus­en, dem Raum Gettorf und sogar aus dem niedersäch­sischen Verden. Karsten Hinrichsen aus Brokdorf ist ebenso dabei wie Anke Dreckmann aus Brunsbütte­l. Letztere hatte Anfang des Vorjahres erfolgreic­h gegen die Zulassung des Zwischenla­gers im Atommeiler vor ihrer Haustür geklagt – wegen fehlender Sicherheit bei Terrorangr­iffen und Flugzeugab­stürzen. Hinrichsen klagt als Anwohner mit der identische­n Begründung auch schon lange gegen den Reaktorbet­rieb in Brokdorf. Eine Entscheidu­ng darüber steht noch aus.

Eine Teilnehmer­in, Mutter mehrerer erwachsene­r Kinder, erzählt von der jüngsten Diskussion daheim. Ihr wird vorgehalte­n, die Besucher der Mahnwachen seien ja »alles Hippies«. Hinrichsen, Meteorolog­e im Ruhestand, mutmaßt, dass große Kreise der Anti-AKW-Bewegung Abstand hielten, weil die Widerstand­sform der Mahnwachen­beteiligte­n »zu wenig Action« biete. Während alle einstimmen ins religiöse Graswurzel­lied »Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten«, fährt zufällig ein Auto mit Nummernsch­ild aus der Ukraine vorbei. In Brokdorf wissen Hinrichsen, Werner und die anderen, dass Tschernoby­l ganz nahe ist. Erinnert werden sie daran auch durch den Tschernoby­l-Gedenkstei­n ein paar hundert Meter weiter Richtung Elbdeich. Ein Besuch dort gehört zu jeder Mahnwache.

Anschließe­nd gehen alle auf den Deich und blicken übers Wasser zum rund 20 Kilometer entfernten AKW Brunsbütte­l. Der Meiler wurde nach vielen Pannen seit 2007 vom Netz genommen und soll nun rückgebaut werden. Der Reaktor in Brokdorf soll indes erst am 31. Dezember 2021 vom Netz gehen. Bis dahin wollen die Wackeren von Brokdorf durchhalte­n.

Für drei Stunden wird das Betreiberl­ogo mit den Symbolen des Widerstand­s überhängt.

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