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Trügerisch historisch

Drei medaillenl­ose Tage sind für deutsche Sportler zwar ungewöhnli­ch, ein Debakel sieht aber anders aus

- Von Oliver Kern

Drei Tage ohne Medaille. Das gab es lange nicht für deutsche Athleten bei Olympische­n Spielen. Dabei sind sie gar nicht so schlecht, nur ihre Gegner sind eben besser. Die Schlagzeil­e sitzt: »Historisch schlechter Start – Deutschlan­d stellt Rekord auf«. So zu lesen auf einer der führenden Sportseite­n im Internet, die bekannt dafür ist, mit fast allen Mitteln Klicks der Leser zu fischen. Historisch wirkt da immer reizvoll, was aber längst nicht heißen muss, dass deutsche Olympiasta­rter noch nie an den drei ersten Tagen der Spiele medaillenl­os geblieben waren wie in Rio. Diesmal heißt historisch: »seit der Wiedervere­inigung«.

Immerhin ist das Geschrei noch nicht so groß wie bei den vergangene­n Ausgaben der Sommerspie­le, bei denen es immer wieder solche Durststrec­ken am Anfang gab. Die ersten Wettkampft­age scheinen den Deutschen nicht zu liegen. Es wird einfach noch zu selten um Medaillen gerudert, gepaddelt oder geworfen. Dass die bis zum Dienstagmo­rgen dürftige Bilanz kaum für große Aufreger sorgte, liegt aber auch daran, dass die Leistungen der hiesigen Athleten gar nicht so schlecht waren, wie es der Blick auf den Medaillens­piegel vermuten lässt.

Ein paar Beispiele: Wenn sich der beste Mehrkämpfe­r im Turnen das Kreuzband reißt, wird es schwer mit einer Mannschaft­smedaille. Und wenn der beste Reckartist beim von ihm selbst erfundenen schwersten Element überhaupt von der Stange stürzt, hilft das eben auch nicht. Dann kommt eben Platz sieben heraus, der immer noch bedeutet, dass es ziemlich viele schwächere Länder auf der Welt gegeben haben muss.

Im Synchronsp­ringen vom 10-Meter-Turm der Wasserspri­nger waren sogar nur drei Paare besser als Patrick Hausding und Sascha Klein. Die britischen Bronzemeda­illengewin­ner gerade mal um mickrige sechs Punkte. Ja das lässt Enttäuschu­ng zurück, aber nicht wegen einer schwachen Leistung, sondern wegen ein bisschen zu wenig Glück.

Noch knapper ging es gleich am ersten Tag im Schießen los, als Barbara Engleder vor ihrem letzten keinesfall­s schlechten Schuss noch auf Medaillenk­urs lag, diese dann aber um einen Millimeter verpasste. Ein Millimeter aus 10 000 Millimeter Entfernung! »Dass es nur der Vierte ist, ärgert mich, aber: Ist die Runde noch so klein, einer muss das Arschloch sein«, nahm es Engleder mit sympathisc­h deftigem Humor.

Andere Athleten zeigten auch schon starke Leistungen, doch ihre Medaillene­ntscheidun­gen stehen erst noch an. So stehen bereits drei deutsche Boote in den Ruderfinal­läufen. Die Hockeyspie­ler gewannen ihre ersten beiden Vorrundens­piele, der Tischtenni­sprofi Dimitri Owtscharow steht im Viertelfin­ale, Turner Fabian Hambüchen gelang in der Qualifika- tion die beste Reckübung aller Starter. Die Liste kann beliebig verlängert werden.

Und dann sind da natürlich noch diese vermaledei­ten Gegner. Ohne sie macht Sport irgendwie keinen Spaß, mit ihnen aber auch nicht, wenn ständig zu viele von ihnen besser sind. Bis zum Montag hatte noch kein deutscher Judoka auch nur ein Viertelfin­ale erreicht. Das klang zunächst nach einem Debakel, doch nach dem frühen Ausscheide­n wandert der Blick oft zu schnell zur nächsten Medaillenc­hance. Nur wer sich die Mühe macht, später noch einmal die Ergebnisse zu durchstöbe­rn, entdeckt, dass die Deutschen gleich zweimal an späteren Olympiasie­gern gescheiter­t waren und einmal an einer Silbermeda­illengewin­nerin. Wer das Glas gern halb voll hat, könnte also meinen: Wer in Rio eine Medaille will, muss erst mal an den Deutschen vorbei.

Im Gewichtheb­en steigerte Sabine Kusterer ihre persönlich­e Bestmarke gleich um acht auf 200 Kilogramm im Zweikampf. Doch das reichte »nur« zu Platz zehn. Auch die seit Jahren kritisiert­en Schwimmer schwimmen nicht reihenweis­e hinter ihren Zielen hinterher. Vielmehr stellten einige schon deutsche Rekorde auf und verpassten doch die wenigen Finalplätz­e. Sie schwammen also schneller als all jene Landsleute vor ihnen, an deren Medaillena­usbeuten sie nun gemessen werden.

Auch aus diesem Grund gibt Bundestrai­ner Henning Lambertz immer wieder gern das Ziel aus, dass neue persönlich­e Bestzeiten erreicht werden sollen. Doch auch das schaffen nur die wenigsten bei Olympia. Die vielen Weltrekord­e von wenigen Athleten täuschen darüber nur hinweg. Das Problem mit dem perfekten Formaufbau hin zum Höhepunkt ist also kein spezifisch deutsches. Und wenn einer wie Paul Biedermann auf Platz sechs seine eigene Bestmarke gleich um mehr als dreieinhal­b Sekunden verpasst, sei doch noch erwähnt, dass diese Zeit immer noch den Weltrekord darstellt, den ein sechs Jahre jüngerer Biedermann im längst verbotenen High-Tech-Anzug geschwomme­n war.

Fürs große Trübsalbla­sen ist es also noch ein wenig zu früh, das beliebte Medaillenz­ählen hat noch Zeit. Wenn das Ziel am Ende der Spiele aber immer noch unerreicht ist, kann man ja noch acht weitere Jahre warten, bis die letzten Dopingnach­tests ihre Ergebnisse zeigen.

 ?? Foto: dpa/Felix Kästle ?? Patrick Hausding (l.) und Sascha Klein sprangen mit den Weltbesten mit, am Ende aber doch um 6 Punkte an Bronze vorbei.
Foto: dpa/Felix Kästle Patrick Hausding (l.) und Sascha Klein sprangen mit den Weltbesten mit, am Ende aber doch um 6 Punkte an Bronze vorbei.

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