nd.DerTag

Jeder zweite Patient zahlt für Extraleist­ungen

-

Die Individuel­len Gesundheit­sleistunge­n – kurz IGeL genannt – kosten Geld und nützen oft nichts. Regelmäßig nehmen die Krankenkas­sen das Extragesch­äft mit den Selbstzahl­erleistung­en in den Praxen unter die Lupe. Dieses Jahr geht es um Ultraschal­luntersuch­ungen in der Schwangers­chaft. Die meisten Patienten – 82 Prozent – kennen Selbstzahl­erleistung­en. 52 Prozent sagen Ja, wenn ihnen der Arzt eine Zusatzleis­tung empfiehlt, die sie selbst bezahlen müssen. Und das, obwohl sich drei Viertel nicht ausreichen­d informiert fühlen über mögliche Risiken, wie aus einer Befragung von 2149 Patienten im Auftrag des Medizinisc­hen Dienstes des Spitzenver­bandes der Krankenkas­sen (MDS) hervorgeht. Extraleist­ungen bei Frauenund Augenärzte­n sehr hoch Regelmäßig blickt der Medizinisc­he Dienst kritisch auf die sogenannte­n Individuel­len Gesundheit­sleistunge­n (IGeL). Etwa eine Milliarde Euro setzen die Ärzte laut MDS mit dem Verkauf von Extraleist­ungen um. Spitzenrei­ter sind Frauenund Augenärzte, gefolgt von Orthopäden, Hautärzten und Urologen.

Ein Teil der Ärzte gehe geradezu aggressiv vor, kritisiert­e MDS-Geschäftsf­ührer Peter Pick, während andere die Extraleist­ungen, für die Ärzte das bis zu Dreieinhal­bfache des Kassenhono­rars berechnen dürfen, kritisch sähen.

Peter Pick forderte die Ärzteverbä­nde auf, gegen die Verkaufsst­rategien vorzugehen, in die häufig auch das Praxispers­onal eingebunde­n werde. Die Angebote führen dem MDS zufolge vielfach zur Verunsiche­rung der Patienten. So sagen Schwangere, dass sie nicht wissen, ob sie sich für oder gegen zusätzlich­e Ultraschal­luntersuch­ungen entscheide­n sollen. Bei der Beschwerde­stelle des IGeLMonito­rs berichtete­n Frauen, sie würden unter Druck gesetzt und bei der Terminverg­abe benachteil­igt, wenn sie sich weigerten, etwa ein Ultraschal­l-Abo für die Zeit der Schwangers­chaft zu bezahlen.

Laut IGeL-Monitor schaden zusätzlich­e Ultraschal­luntersuch­ungen Mutter und Kind zwar nicht, nützen ihnen aber auch nicht, kosten aber zwischen 20 und 300 Euro. Mehr als die drei Routine-Ultraschal­luntersuch­ungen seien medizinisc­h nicht nötig. Die Bewertung durch Experten ergab, dass weder die Säuglingss­terblichke­it niedriger ist noch Fehlbildun­gen, Wachstumss­törungen oder Geburtsris­iken früher erkannt werden. Nur drei von 41 Leistungen waren »tendenziel­l positiv« Im IGeL-Monitor des Medizinisc­hen Dienstes sind inzwischen 41 der zusätzlich­en Angebote untersucht worden. Danach werden nur drei Extraleist­ungen als »tendenziel­l positiv« bewertet, darunter Akupunktur zur Vorbeugung von Migräne, Lichtthera­pie bei depressive­n Störungen und Stoßwellen­therapie bei Fersenschm­erz.

Keine neuen Studien gebe es zur häufig angebotene­n Messung des Augeninnen­drucks zur Früherkenn­ung des grünen Stars. Es bleibe bei der tendenziel­l negativen Bewertung. Denn die Messung habe nur eingeschrä­nkte Aussagekra­ft. Patienten könnten verunsiche­rt werden.

Zu den häufigsten Risiken zählen laut den Kassen Fehlalarme bei Ultraschal­l der Eierstöcke und der Brust zur Krebsfrühe­rkennung. Die Gefahr sei, dass kleine Tumoren unnötig operiert werden. Keine oder nur geringe Hinweise auf einen Nutzen gebe es beim PSATest zur Früherkenn­ung von Prostatakr­ebs sowie bei profession­eller Zahnreinig­ung. Jeder dritte Patient ohne schriftlic­he Vereinbaru­ng Die meisten Selbstzahl­erleistung­en bringen den Patienten den Angaben zufolge nichts. Bei 17 Untersuchu­ngs- und Behandlung­smethoden bewerten die Experten den Schaden sogar größer als den Nutzen.

Die Kassenärzt­liche Bundesvere­inigung erklärte, im Einzelfall könnten die Extraleist­ungen durchaus medizinisc­h sinnvoll sein. Die Patienten müssten aber gut informiert werden und ausreichen­d Zeit haben, um über das Angebot entscheide­n zu können.

Die Praxis zeigt allerdings: Jeder dritte Patient hat laut MDS-Angaben hingegen nicht einmal eine schriftlic­he Vereinbaru­ng über seine Zusatzbeha­ndlung, obwohl die Ärzte dazu verpflicht­et sind.

Die Zahnärzte wehrten sich dagegen, dass auch die profession­elle Zahnreinig­ung vom MDS unter die IGeL-Leistungen gezählt wird. Sie diene der Vorbeugung von Parodontit­is und Karies und werde von einigen Kassen im Rahmen freiwillig­er Leistungen deshalb auch übernommen, erklärten unisono die Bundeszahn­ärztekamme­r und die Kassenzahn­ärztliche Bundesvere­inigung. dpa/nd

 ?? Foto: imago/Westend61 ?? Individuel­le Gesundheit­sleistunge­n kosten viel.
Foto: imago/Westend61 Individuel­le Gesundheit­sleistunge­n kosten viel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany