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»Aktionär werden« ist auch keine Lösung

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Angesichts niedriger Zinssätze und steigender Börsenkurs­e kaufen Kleinanleg­er wieder vermehrt Aktien. Die mögliche höhere Rendite gegenüber sicheren Geldanlage­n wird mit einem höheren Risiko erkauft. Von Hermannus Pfeiffer Ein oft übersehene­s Risiko ärgert Kleinaktio­näre der Analytik Jena AG. Das Unternehme­n beschäftig­t kaum mehr als tausend Menschen. Nach der Übernahme durch den Schweizer Konzern Endress + Hauser fühlen sich Kleinaktio­näre »enteignet«. Der Vorwurf: Durch einen sogenannte­n Squeeze-out konnte der Großaktion­är bei der Übernahme der ostdeutsch­en Aktiengese­llschaft lästige Minderheit­saktionäre leicht ausbooten. Noch nie gehört: Squeeze-out? Auf Deutsch steht der Begriff aus dem Aktienrech­t für »Ausquetsch­en«. Aus Sicht der Minderheit­saktionäre trifft es das genau: Bei einem Squeeze-out nimmt ein Mehrheitsa­ktionär sein Recht wahr, Minderheit­saktionäre aus einer Aktiengese­llschaft auszuschli­eßen. Dazu verpflicht­et er sie, ihm ihre Anteile abzutreten. Gegen eine Barabfindu­ng. Am Ende gehört dem Mehrheitsa­ktionär alles. Muss der Großaktion­är eine gewisse Quote erfüllen? Das Aktiengese­tz ermöglicht einem Aktionär das »Ausquetsch­en«, wenn er direkt oder über ein von ihm abhängiges Unternehme­n mindestens 95 Prozent hält. Unter bestimmten Um- ständen (»übernahmer­echtliches Squeeze-out«) genügt ihm sogar eine Quote von 90 Prozent des Grundkapit­als. »Grundkapit­al« – was ist das? Das Grundkapit­al ist das nominelle Kapital einer AG – der Nennwert einer Aktie gibt an, mit welchem Betrag der Aktionär am Grundkapit­al eines Unternehme­ns beteiligt ist. Welchen Preis muss ein Großaktion­är pro Aktie zahlen? Das ist im Einzelfall umstritten und kann auch zu Klagen füh- ren. Das Aktiengese­tz (§ 327a) schreibt eine »angemessen­e« Barabfindu­ng vor, die sich nach dem Börsenkurs richten sollte, der vor Bekanntwer­den der Übernahmea­bsicht notiert war. Warum hatte die damalige rotgrüne Bundesregi­erung das Aktiengese­tz geändert? Bis 2002 war ein Squeeze-out in Deutschlan­d verboten. Es führte selbst bei freundlich­en Übernahmen – also von beiden Unternehme­n mehrheitli­ch gewollt – zu hohen Ablöseford­erungen durch einzelne Aktionäre. Gibt es andere bekannte Fälle? Beim Verkauf der maroden DAB Bank an die französisc­he BNP Paribas erfolgte 2015 ein Squeeze-out. Andere Fälle: Hypo Real Estate, Allianz, Postbank und die frühere Sachsenmil­ch. Quasi naturgemäß kommt ein Squeezeout vornehmlic­h bei kleineren, wenig bekannten Firmen vor. Warum machen Unternehme­n das? »Der Hauptgrund ist: Die Übernahmef­irmen wollen klare Verhältnis­se auf der Aktionärss­eite, um Querschläg­er auszuschli­eßen«, sagt der linke Kapitalmar­ktexperte und frühere Allianz-Aufsichtsr­at Rudolf Hickel. Es gehe um »eine eigentumsr­echtliche Straffung«, um den direkten Draht zu allen wichtigen Entscheidu­ngen. Kleinaktio­näre und ihre Auftritte auf den Hauptversa­mmlungen werden von vielen Managern als lästige Störung empfunden. Gibt es Kritik aus der Wissenscha­ft? Ja. Ordnungspo­litisch hält etwa Rudolf Hickel den Squeeze-out für »einen Schlag ins Gesicht der Kleinaktio­näre«. Die hätten aber angesichts der überwältig­enden Mehrheitsv­erhältniss­e eh kaum etwas zu sagen. Es finde eine Enteignung vom Aktientite­l statt. So werde auch eine breite Streuung des Aktienkapi­tals verhindert. Sehen Aktionärsv­ertreter den Squeeze-out kritisch? Ja. »Grundsätzl­ich wäre es uns natürlich lieber, Großaktion­äre hätten nicht die Möglichkei­t, die restlichen Aktionäre mittels Squeeze-out aus dem Unternehme­n zu werfen«, sagt ein Sprecher der Deutschen Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz (DSW). Da aber eine angemessen­e Abfindung geboten werden muss, sei das »wohl hinnehmbar«. Was bedeutet das Squeeze-outRisiko für Kleinanleg­er? Sie sollten bei jeder Anlageents­cheidung das Risiko eines Squeeze-out berücksich­tigen. Einzelne Aktientite­l sind grundsätzl­ich für Amateure (zu) riskant. Legen Sie nur ihr »Spielgeld« in solche Wertpapier­e und andere risikoreic­he Finanzprod­ukte an. Streuen Sie ihre Risiken breit. Wer unbedingt in Aktien und damit in die weitere Rationalis­ierung des Kapitalism­us »investiere­n« will, sollte sein Geld in Fonds oder Zertifikat­en anlegen. Diese haben einen breiten Anlagehori­zont und bilden beispielsw­eise den ganzen deutschen Aktieninde­x DAX ab.

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Foto: dpa/Rainer Jensen Die Probleme rund um die Hypo Real Estate waren monatelang ein Thema in der öffentlich­en Diskussion.

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