Union zielt auf den rechten Stammtisch
Neues »Sicherheitspaket« attackiert doppelte Staatsbürgerschaft und ärztliche Schweigepflicht
Die Innenminister von CDU und CSU fordern in einer gemeinsamen Erklärung drastische neue Sicherheitsgesetze. Experten und Oppositionspolitiker sind empört. Eine »Berliner Erklärung« der Innenminister von CDU und CSU, die zuerst dem Redaktionsnetzwerk Deutschland der MadsackGruppe vorlag, enthält 27 sicherheitspolitische Forderungen, von denen einige umgehend auf scharfe Kritik stießen. So wollen die Minister die doppelte Staatsbürgerschaft abschaffen.
Seit 2014 können Kinder ausländischer Eltern, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, unter Umständen neben der ausländischen die deutsche Staatsbürgerschaft behalten. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) wies das Ansinnen zurück, das zu ändern. Ein Regierungssprecher sagte, dies sei auch nicht geplant. Berlins Innensenator und CDUSpitzenkandidat Frank Henkel unterstützt den Plan dagegen – wie sein Schweriner Amtskollege und Parteifreund Lorenz Caffier, der ebenfalls im Wahlkampf steht.
Für Aufregung sorgt der Vorschlag, die ärztliche Schweigepflicht aufzuweichen: Ärzte sollten über »geplante Straftaten« von Patienten reden dürfen. Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, unterstrich den Grundrechtscharakter des Patientengeheimnis- ses; auch dürften Ärzte schon heute in Einzelfällen über Gefährdungen berichten. Für Konstantin von Notz (Grüne) brächte eine Änderung »nicht mehr, sondern weniger Sicherheit«.
Weiterhin wollen die Minister »Vollverschleierung« verbieten und ausländische »Hassprediger« ausweisen. Staatliche Förderung von Vereinen und anderen Einrichtungen soll von einer Prüfung abhängig gemacht werden, ob diese in Kontakt zu »Extremisten« stehen – eine Rückkehr zur »Extremismusklausel« der früheren Familienministerin Kristina Schröder (CDU). Für »irreguläre Migration, Schleusungskriminalität und Rückführung« soll ein neuer EU-Kommissar zuständig werden.
Bis 2020 sollen 15 000 Polizeistellen geschaffen werden. Die Polizei soll mehr »Langwaffen« bekommen. Als gefährdet eingestufte Plätze und der öffentliche Nahverkehr seien mit Kameras zu überwachen. Zugleich wird die Forderung nach einem erleichterten Einsatz der Bundeswehr im Inland untermauert.
Für Frank Tempel (LINKE) korrigiert die vorgeschlagene Aufstockung der Polizei »alte Fehler«. Ansonsten zielten die Vorschläge mehr auf Stammtisch und AfD als den Terror. Linksparteichef Bernd Riexinger sprach von einem »Anschlag auf die Demokratie«, Grünenchefin Simone Pe- ter nannte die Forderungen »verantwortungslos und schäbig«, FDP-Chef Christian Lindner bezeichnete sie als teils »nutzlos« und teils »rechtsstaatlich maßlos«. SPD-Vize Ralf Stegner lehnte den Vorstoß zur Staatsbürgerschaft ab, signalisierte aber allgemein Gesprächsbereitschaft bei Sicherheitsgesetzen.
Kritik gab es selbst bei der rechtspopulistischen AfD. Bundesvorstand Paul Hampel erklärte, man dürfe »nicht Freiheit abschaffen«, sondern müsse »geltendes Recht zur Anwendung bringen«.
Kritik übt selbst die rechte AfD: Es seien jetzt nicht Freiheiten abzuschaffen, sondern die Gesetze anzuwenden.
Die Innenminister der Union fordern, die Sicherheitsgesetze massiv zu verschärfen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière stellt am Donnerstag eigene Pläne vor.
Vor zwei Wochen hatte die Kanzlerin ihren Urlaub unterbrochen, um vor der Presse in Berlin zu zeigen: Terroranschläge hin, Amokläufe her – wir haben alles im Griff. Man werde das Frühwarnsystem verbessern, damit Behörden tätig werden können, sobald es in Asylverfahren oder Integrationsmaßnahmen Hinweise auf eine Radikalisierung gibt. Wo »immer notwendig«, werde man das Personal aufstocken, die Internetkommunikation besser im Blick behalten und die Bundeswehr in das Anti-Terror-System einbinden. Sie nannte nicht näher definierte Forschungsvorhaben zum islamistischen Terror und zur Radikalisierung von Menschen. Der Datenaustausch auf EU-Ebene und auch die Zusammenarbeit der befreundeten Nachrichtendienste müsse besser werden. Der Begriff Waffenrecht fiel und gefordert wurde, die Abschiebung von Flüchtlingen in Herkunftsländer zu beschleunigen.
Mit ihrem Neun-Punkte-Programm löste Angela Merkel bei ihren Parteigängern keine Begeisterung aus. Im Gegenteil, das Bundesinnenministerium monierte intern, nicht gefragt worden zu sein. Und in Merkels Partei war klar: So wird man der AfD, die sich zum Anwalt besorgter Bürger geriert, keinen Wind aus den Segeln nehmen. Zumal die CSU dafür sorgt, dass er der Kanzlerin immer wieder ins Gesicht weht. In Mecklenburg-Vorpommern und Berlin gibt es Landtagswahlen, die CDU hat dabei – an- ders als die AfD – ganz schlechte Karten. Ein Versagen wäre nicht gut für die Bundestagswahlen im Herbst 2017. Daher formuliert die CDU nun – via Innenminister – Texte für Wahlplakate. Wohl wissend: Versprechen für mehr innere Sicherheit und wider das Fremde schlechthin werden vom Wahlvolk dankbar aufgenommen.
Merkel ist nach ihrer Medienverkündung wieder im Urlaub abgetaucht. Der Vizekanzler von der SPD tourt wahlkämpfend durch die Lande und hat einen angeblichen Tengelmann-Edeka-Skandal abzuwehren. Freie Bahn für die Unionshardliner, die – wie schon seit Jahren, nun aber massiver – eine Verschärfung der Sicherheitsgesetze fordern. Dass die mit den offenbar islamistisch motivierten Anschlägen von Würzburg und Ansbach kaum etwas zu tun haben, spielt keine Rolle.
Allenfalls die Verstärkung der Bundesund der Länderpolizeien um 15 000 Dienstposten kann zu mehr Sicherheit beitragen. Doch wer hat den Stellenabbau in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich zu verantworten? De Maizière und die Landesinnenminister. Es geht also bei diesem CDUVorschlag letztlich um die Korrektur eigener Fehler. Falls das gelingt, wäre man bei der Anzahl der Polizisten noch immer unterhalb des Standes von 1998 angelangt.
Hilfreich wäre es, realistisch einzuschätzen, wie viele junge und geeignete Bewerber man interessieren kann. Es gibt Erfahrungen, denn die bis 2020 angesetzten Zuwachszahlen wurden ja schon vor einem Jahr in die Welt gesetzt. Der Erfolg ist mäßig. So muss man befürchten, dass die CDUregierten Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt ihre Hilfspolizisten einfach als Teil des Aufwuchses rechnen. De Maizière fand die Programme nicht umsonst nachahmens- wert. Doch nach drei Monaten Crashkurs sind die Bewerber allenfalls als Parkplatzwächter zu gebrauchen.
Zudem könnte de Maiziere überprüfen, wie weit er selbst Versprechen einhält. Ende vergangenen Jahres hat er aus normalen BFE-Einheiten der Bundespolizei eine BFE+ zur Terrorabwehr aufgestellt. Die »Elite«Einheiten sollen extrem mobil und hochmotiviert sein. Sollen ...
Jenseits der nicht neuen, doch an sich vernünftigen Idee, mehr Polizisten einzustellen, fordern die unionierten Innenminister beispielsweise den Entzug oder gar die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft. Abgesehen davon, dass man die vielfältigen, oft sehr emotionalen Bindungen von Menschen an ein Heimat- oder Herkunftsland nicht durch einen behördlichen Akt beschneiden kann – die Maßnahme ist zudem in höchstem Maße integrationshemmend. Und sie ersetzt nicht die Arbeit von Psychologen und Sozialarbeitern, sie schafft weder mehr Bildung noch Jobs.
Die Innenminister wollen die schnellere Abschiebung von ausländischen Gefährdern und straffällig gewordenen, ausreisepflichtigen Ausländern. Die Entscheidung darüber soll im Schnellverfahren erfolgen. Was das mit Rechtsstaatlichkeit und der Einhaltung eingegangener internationaler Konventionen zu tun hat, ist keine Frage, die am Stammtisch erörtert wird, also ist sie auch nicht relevant für die Unionsinnenminister.
Sie fordern die Aufweichung der ärztlichen Schweigepflicht. Möglich, dass sich im Einzelfall durch den Bruch der Vertraulichkeit Verbrechen verhindern lassen – beispielsweise, wenn ein Pilot einen erweiterten Suizid begehen will. Das ist unabhängig von jeder Terrorabwehr. Doch müsste man zuerst einmal wissen, ob es genügend Fälle gibt, um eine Gesetzesänderung zu betreiben. Die wäre gravierend, denn: Wer das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient so generell aufweichen will, verhindert, dass sich Menschen egal welcher Herkunft professionelle Hilfe suchen.
Die Minister fordern ein Cyberabwehrzentrum beim Bundeskriminalamt. Das ist purer Aktionismus und hat mit einer intelligenten, gesamtstaatlichen Lösung, die man gerade zu entwickeln sucht, nichts zu tun. Was die Nutzung der Vorratsdatenspeicherung durch Geheimdienste betrifft, so ist das ein erneuter Versuch, um endlich das auf den Weg zu bringen, was man bislang auf legalem Wege nicht erreichen konnte. Dabei ignorieren die Verfechter dieser Maßnahme bewusst, was der Europäische Gerichtshof und das Bundesverfassungsgericht dazu gesagt haben.
Dass die Finanzierung von Moscheen durch extremistische Organisationen widergesetzlich ist, bedarf keiner speziellen Ansage durch die Unionsinnenminister. Allerdings muss man als Antragsteller für Verbote saubere, gerichtsfeste Recherchen vorlegen. Was also ist neu daran?
Die CDU zieht sich derzeit in vielen Ländern zurück, wenn es um die Ausarbeitung von Staatsverträgen mit muslimischen Verbänden geht. Dies zeigt: Man will keinen wirklichen zielführenden Dialog. Statt gemeinsam Verantwortung für ein demokratisches Miteinander von Kulturen und Religionen zu übernehmen, sucht man seinen Erfolg in Populismus. Und weil das dem Stammtisch gefällt, bestellt die Union gleich noch eine Runde: Weg mit der Vollverschleierung! Es steht zu befürchten, dass jeder, der auf Terror setzt, die Dinge nüchterner betrachtet.