Drei am Abgrund
Sachsen-Anhalts CDU steckt wegen der Vorwürfe gegen Landtagspräsident Güssau in der Zwickmühle
Schwarz-Rot-Grün in Sachsen-Anhalt könnte an der Affäre Güssau scheitern.
Die Tage des CDU-Politikers Güssau als Landtagspräsident in Sachsen-Anhalt scheinen gezählt. Offen ist noch, ob mit ihm auch die Kenia-Koalition stürzt. Der Sinneswandel ist bemerkenswert. Eine Woche ist es her, da schien das Vertrauen der sachsen-anhaltischen CDU-Abgeordneten in ihren Parteifreund und Parlamentspräsidenten Hardy Peter Güssau noch unerschütterlich. Einstimmig stellten sich seine 29 Fraktionskollegen am vorigen Donnerstag hinter ihn: In der Affäre um eine manipulierte Kommunalwahl in Stendal habe er alle Vorwürfe »ausgeräumt und widerlegt«, hieß es. Jetzt scheinen den Abgeordneten doch Zweifel gekommen zu sein. Am Dienstag verdonnerte CDU-Landeschef Thomas Webel den Ex-Lehrer Güssau zu Hausaufgaben: Er soll bis zum Wochenende 14 Fragen zu seiner Rolle bei einer möglichen Vertuschung der Manipulationen beantworten. Es gehe darum, »Schaden vom Land und seinen Institutionen abzuwenden«, sagte Webel. Und, hätte er anfügen können, von der bundesweit ersten Kenia-Koalition.
Denn das Bündnis aus CDU, SPD und Grünen steht, das ist spätestens seit einer Sitzung des Koalitionsausschusses am Dienstag klar, wegen des Falls Güssau auf der Kippe. Vor allem die SPD macht Druck. Landeschef Burkhard Lischka hatte schon wenige Stunden nach der Ergebenheitsadresse der CDU-Fraktion den Rücktritt Güssaus gefordert, weil der die Vorwürfe nicht ausgeräumt habe. Nach der Spitzenrunde am Dienstag sagte der SPD-Mann dann im Beisein von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), ein Abwahlverfahren gegen den Landtagspräsident sei »eine Option« für die SPD – »mit allen Konsequenzen, die das hätte«. Im Klartext: Stellt sich die CDU einer Abwahl entgegen, wäre die Koalition, die sich erst kürzlich für gelungene 100 Amtstage feierte, am Ende.
Haseloff äußerte sich noch in seiner gewohnt vorsichtigen Art. Wenn Güssau die Fragen beantwortet habe, solle der Ältestenrat Anfang nächster Woche entscheiden, »auf welche Vertrauensbasis er sich weiter stützen kann«, sagte er. Zugleich lässt der Regierungschef durchblicken, dass er nicht gewillt ist, das mühsam ausgehandelte Regierungsbündnis zu Gunsten eines einzelnen Parteifreundes zu opfern. Man habe »das klare Ziel, die Koalition fortzusetzen«, sagte er. Und, in einem typisch hölzernen Haseloff-Satz: »Es wäre fatal, wenn ein Problem stehen bleibt, das darüber entscheidet, was aus diesem Land wird.«
Das »Problem« scheint bisher fest gewillt, stehen zu bleiben: Güssau denkt nicht an Rücktritt, wie er immer wieder bekräftigte. Seine Parlamentskollegen wundert das nicht. Der 53-Jährige gilt als freundlich und verbindlich, aber auch als Altmärker mit regionaltypisch dickem Schädel. Parteifreunde merken spitz an, so etwas wie Selbstreflexion habe Güssau »nicht erfunden«. Der Zeitpunkt, von allein und mit Anstand zu gehen, ist in seinem Fall längst verpasst.
Doch auch in seiner Fraktion sah man die Notwendigkeit offenkundig lange nicht. Die Sprengkraft der Affäre wurde auch nach der SPD-Rücktrittsforderung unterschätzt. Zudem hat Güssau bei seinen Kollegen einen guten Stand. Er gilt als bestens vernetzt und einflussreich; ein namhafter Parteifreund soll ihn, noch bevor der Skandal um manipulierte Briefwahlstimmen bei der Ratswahl 2014 ruchbar wurde, einmal scherzhaft den »Paten« von Stendal genannt haben.
Zudem zählt Güssau zu jenen Abgeordneten im Norden des Landes, denen es trotz der Stärke der AfD bei der Landtagswahl im März gelang, ihre Wahlkreise zu halten – anders als im Süden, wo reihenweise Direktmandate verloren gingen. Die Mehrzahl der 30 Abgeordneten kommt nun aus dem Norden und Osten des Landes. Ohne die dortigen Wahlerfolge hätte die CDU wohl ihren Status als stärkste Fraktion verloren. Als es darum ging, wen die CDU als Präsident vorschlägt, setzte sich Güssau denn auch gegen Bildungspolitikerin Eva Feußner durch, die aus dem Süden kommt und es nur über die Landesliste ins Parlament geschafft hatte.
Inzwischen versucht man auch bei der CDU immer hektischer, die Krise vom Tisch zu bekommen. Am heutigen Donnerstag will sich die Fraktion zu einer Sondersitzung treffen – offenbar ohne die Antworten auf die 14 Fragen abzuwarten. Offiziell heißt es, man wolle nur die Sondersitzung des Ältestenrates beschließen. Zugleich machen Gerüchte die Runde, Güssau könnte im Fall einer Demontage die Fraktion verlassen, womöglich, schreibt die »Mitteldeutsche Zeitung«, sogar mit einigen Getreuen. Dann freilich wäre Kenia auch am Ende. Verliert das Bündnis von CDU, SPD und Grünen mehr als zwei Abgeordnete, ist die Mehrheit dahin.
Regierungschef Haseloff lässt durchblicken, dass er nicht gewillt ist, die mühsam ausgehandelte Koalition zu Gunsten eines Parteifreundes zu opfern. Doch Hardy Peter Güssau ist sehr einflussreich.