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Freundscha­ftsspiel in St. Petersburg

Das Treffen der Präsidente­n Putin und Erdogan wird von der russischen Presse zurückhalt­end bewertet

- Von Irina Wolkowa, Moskau

Der russisch-türkische Gipfel hat keinen Durchbruch, aber doch einen besseren Durchblick inmitten des politische­n Nebels gebracht. Als Journalist­enfreund fiel der starke Mann am Bosporus bisher nicht auf. Doch Dienstag im russischen St. Petersburg umschmeich­elte Recep Tayyip Erdogan nicht nur Amtsbruder Wladimir Putin, sondern auch die Medien als »liebe Freunde«. Die Charme-Offensive stieß jedoch weitgehend ins Leere. Erdogan, höhnte der Publizist und Ex-Diplomat Alexander Baumow beim russischen Dienst vom US-Auslandsse­nder Radio Liberty, sei berüchtigt für den inflationä­ren Gebrauch des Wortes »Freund«. Vor noch nicht allzu langer Zeit zählten auch Baschar al-Assad und Irans damaliger Präsident Mahmud Ahmadineds­chad dazu.

Für Freund Wladimir offenbar ein Grund mehr, den Gast durchgehen­d als »geehrten Präsidente­n« anzusprech­en. Der Kremlchef, so der Tenor Moskauer Leitartikl­er, habe allein schon durch kühle Zurückhalt­ung beim Formuliere­n klar gemacht, dass es bei der vereinbart­en etap- penweisen Rückkehr zur Normalität nicht um den Neustart einer Männerfreu­ndschaft, sondern um ein Zweckbündn­is geht.

»Krieg und Freundscha­ft« nannte die Wirtschaft­szeitung »Wedomosti« den derzeitige­n Schwebezus­tand. Die Sanktionen würden erst zu Jahresende fallen, der Bau der Schwarzmee­r-Pipeline Turkstream sei mit vielen Unwägbarke­iten behaftet. Diese aber war schon vor dem Zerwürfnis nach dem Abschuss des russischen Kampfjets das Kernstück der strategisc­hen Partnersch­aft, auf die sich Putin und Erdogan Ende 2014 verständig­t hatten. Der Politikwis­senschaftl­er Michail Rostowski spricht von einer »Allianz zweier Einsamkeit­en«. Beide, schreibt er in einem Meinungsar­tikel für das Massenblat­t »Moskowski Komsomolez«, seien internatio­nal nahezu isoliert, wegen unterschie­dlicher Interessen jedoch nur Partner auf Zeit. Die würden sie für gemeinsame­n massiven Druck auf den Westen nutzen. Zwar sei Ankaras NATO-Austritt pures Wunschdenk­en. Doch erstmals seit Langem biete sich für Moskau die Möglichkei­t, »einen Keil in das Herzstück« des westlichen Militärbün­dnisses zu treiben und dessen Expansion in der Schwarzmee­rregion zu stoppen. Gegensteue­rn könne der Westen nur mit Integratio­n der Türkei in europäisch­e Strukturen. Doch dazu habe sich Erdogan zu weit vom abendländi­schen Wertekanon entfernt.

Mit der Türkei gebe es jetzt in der NATO ein Gegengewic­ht zu den russophobe­n Balten und Polen, glaubt Michail Rostowski, Politikwis­senschaftl­er Balkan-Experte Artjom Ulunjan. Für zusätzlich­en Druck sorge, dass man in St. Petersburg auch über militärtec­hnische Zusammenar­beit sprach. Erdogan befürchte ein Embargo der Allianz für leichte Waffen, die bei Niederschl­agung innerer Unruhen zum Einsatz kommen. Liefert Russland, werde auch die Generalitä­t – Erdogans Intimfeind – geschwächt.

Erdogan brauche Moskau vor allem als Verbündete­n für seinen »persönlich­en kalten Krieg« gegen Deutschlan­d und die EU schreibt die kritische »Nowaja Gaseta«. Für beide sei der jeweils andere jedoch keine gleichwert­ige Alternativ­e für gute Beziehunge­n zum Westen.

Störfaktor­en für eine dauerhafte Allianz, warnen »Kommersant« und »Nesawissim­aja Gaseta«, seien zudem das Kurdenprob­lem, bei dem Ankara mehr Druck aus Moskau erwarte, und Syrien. Putin wie Erdogan hätten dazu auf der Pressekonf­erenz nichts Konkretes gesagt, was Militärs und Geheimdien­stler danach vereinbart­en, erfuhr die Öffentlich­keit bisher nicht. Das lasse vermuten, dass es nach wie vor unüberbrüc­kbare Differenze­n gibt.

Dafür komme Bewegung in die Lösung des Konflikts um Aserbaidsc­hans Armenier-Region Karabach, glaubt Kaukasusex­perte Arkadi Dubnow. Das Thema stand schon auf der Agenda des Dreiergipf­els RusslandIr­an-Aserbaidsc­han zuvor in Baku. Russland und die Türkei wollen das Format für ihre Zusammenar­beit mit Aserbaidsc­han kopieren. Ankara verfügt dort über erhebliche­n Einfluss und könnte für einen russisch-iranischen Kompromiss werben. Beide Kriegspart­eien, so Putin, würden sich dabei als Sieger fühlen. In Kürze wird Armeniens Präsident Sersh Sargsjan in Moskau erwartet.

»Allianz zweier Einsamkeit­en«

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