Keine flotten Sprüche
Michael Jung feiert bescheiden mit Siegerpferd Sam Einzelgold und Teamsilber
Der Vielseitigkeitsreiter Michael Jung trat bei diesen Spielen so souverän auf, dass die Konkurrenz keine Chance sah. Seinem Wallach Sam gönnt er erst mal eine Pause.
Im Fall von Michael Jung war die Frage nach dem Caipirinha Pflicht. Saß dieser erstaunliche Reiter aus Alemanha da vorne auf dem Podium doch so bescheiden und unauffällig da, als spreche er gerade über irgendein trainingstaktisches Konzept. Und nicht über seinen Olympiasieg im Einzel. Geschickt holte der brasilianische Journalist aus, erkundigte sich nach dem Einfluss von Hitze, Geländedesign und den anfänglichen Problemen von Jungs Pferd auf den Gesamtauftritt – ehe er dem Mann von der schwäbischen Alb die eigentliche Frage vor die Füße knallte: Was ist mit dem Caipirinha?
Ob er sich zur Feier von Einzelgold und Teamsilber bei den Vielseitigkeitsreitern nun Brasiliens Nationalgetränk genehmigen werde, sollte Jung sagen. Der hustete erst einmal verlegen hinter vorgehaltener Hand, ließ die Frage wiederholen – und erklärte nach langen Ausschweifungen über die Bedingungen in Deodoro freundlich: »Jetzt fangen wir an, ein bisschen zu feiern.« Dem US-Reiter Phillip Dutton, Bronzemedaillengewinner im Einzel, war diese Auskunft offensichtlich zu dünn. »I do«, krächzte der gebürtige Australier mit rauer Stimme in die Runde – »ich mach’s«. Den einen oder anderen Caipirinha kippen, meinte er.
Michael Jung ist eben kein Mann für flotte Sprüche. Dafür weiß er, was er kann, was er will – und was gut für seinen vierbeinigen Begleiter ist. Die Favoritenrolle für Rio nahm er, ohne mit der Wimper zu zucken, an – und es war ihm auch einerlei, dass sein eigentliches Olympiapferd Takinou kurz vor der Abreise krank wurde. Jung setzte auf Sam, mit dem er schon zwei Goldmedaillen in London geholt hatte – und auf das Wissen, seine zahlreichen Triumphe seit dem WM-Titel 2010 mit vier verschiedenen Pferden erreicht zu haben.
Der gebürtige Hesse tritt auf und abseits des Reitplatzes derart souverän auf, dass die Konkurrenz in Großbritannien längst witzelt, man könne ihn auch rückwärts auf ein Pferd setzen, er würde trotzdem gewinnen. Jung ist derart im Reinen mit sich und der Welt, dass er nach der Teamentscheidung ausführlich über die eigene Gemütslage, die seines Pferdes und das olympische Zusammenleben mit den Kolleginnen Ingrid Klimke, Sandra Auffarth und Julia Krajewski sprach. Als sei der Arbeitstag mit dem frisch ergatterten Silber schon beendet gewesen.
Dabei stand die Entscheidung im Einzel noch an, nur zwei Stunden später. »Unser Land ist jetzt sicher sehr glücklich«, vermutete Jung, als die Buschreiter dem deutschen Team die ersten beiden Medaillen in Rio beschert hatten. Das klang fast ein wenig unbeteiligt. Denn viel lieber als über nationale Befindlichkeiten oder sich selbst redet Jung über seine Pferde. Zumal er mit Sam in der Dressur einen zähen Start verdauen musste, ehe das Pferd im Gelände und im Parcours glänzte. »Ich bin überglücklich, dass er es noch einmal geschafft hat. Auch, dass er es noch mal geschafft hat, ohne Kratzer hier heraus zu kommen. Das ist ein tolles Gefühl«, lobte er den altgedienten Sam.
Die konzentrierte Gelassenheit, mit der Deutschlands goldener Reiter den nächsten Entwicklungssprung des Wallachs den ganzen Tag über begleitete, beeindruckte auch die internationalen Beobachter.
Dass Sam die Hitze und die anfängliche Nervosität so souverän überwunden hatte, müsse doch auch etwas mit der Persönlichkeit des Reiters zu tun haben, mutmaßte einer. »Äh«, entgegnete Jung leicht verunsichert, dann erklärte er: »Das ist die einzige Art, wie es mit Sam geht. Er ist sehr empfindlich mit dem Publikum. Deshalb musst du ihm ein gutes Gefühl geben, darfst ihm keinen Druck machen.«
Am Donnerstag geht es nach den stressigen Tagen in Brasilien für die Reiter und ihre Pferde zurück in die Heimat. »Dass Sam seine Konstanz immer weiter ausbaut, immer das Beste geben will, ist ein unglaubliches Gefühl«, sagte Jung vor dem Abflug und versprach dem Vierbeiner: »Ich werde ihn in naher Zukunft nicht reiten. Jetzt geht die ganze Anspannung raus, und Sam darf erst mal auf seine Koppel im Schwarzwald.« Angeblich habe ihm das brasilianische Gras nicht so gut geschmeckt.