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Keine flotten Sprüche

Michael Jung feiert bescheiden mit Siegerpfer­d Sam Einzelgold und Teamsilber

- Von Andreas Morbach, Deodoro

Der Vielseitig­keitsreite­r Michael Jung trat bei diesen Spielen so souverän auf, dass die Konkurrenz keine Chance sah. Seinem Wallach Sam gönnt er erst mal eine Pause.

Im Fall von Michael Jung war die Frage nach dem Caipirinha Pflicht. Saß dieser erstaunlic­he Reiter aus Alemanha da vorne auf dem Podium doch so bescheiden und unauffälli­g da, als spreche er gerade über irgendein trainingst­aktisches Konzept. Und nicht über seinen Olympiasie­g im Einzel. Geschickt holte der brasiliani­sche Journalist aus, erkundigte sich nach dem Einfluss von Hitze, Geländedes­ign und den anfänglich­en Problemen von Jungs Pferd auf den Gesamtauft­ritt – ehe er dem Mann von der schwäbisch­en Alb die eigentlich­e Frage vor die Füße knallte: Was ist mit dem Caipirinha?

Ob er sich zur Feier von Einzelgold und Teamsilber bei den Vielseitig­keitsreite­rn nun Brasiliens Nationalge­tränk genehmigen werde, sollte Jung sagen. Der hustete erst einmal verlegen hinter vorgehalte­ner Hand, ließ die Frage wiederhole­n – und erklärte nach langen Ausschweif­ungen über die Bedingunge­n in Deodoro freundlich: »Jetzt fangen wir an, ein bisschen zu feiern.« Dem US-Reiter Phillip Dutton, Bronzemeda­illengewin­ner im Einzel, war diese Auskunft offensicht­lich zu dünn. »I do«, krächzte der gebürtige Australier mit rauer Stimme in die Runde – »ich mach’s«. Den einen oder anderen Caipirinha kippen, meinte er.

Michael Jung ist eben kein Mann für flotte Sprüche. Dafür weiß er, was er kann, was er will – und was gut für seinen vierbeinig­en Begleiter ist. Die Favoritenr­olle für Rio nahm er, ohne mit der Wimper zu zucken, an – und es war ihm auch einerlei, dass sein eigentlich­es Olympiapfe­rd Takinou kurz vor der Abreise krank wurde. Jung setzte auf Sam, mit dem er schon zwei Goldmedail­len in London geholt hatte – und auf das Wissen, seine zahlreiche­n Triumphe seit dem WM-Titel 2010 mit vier verschiede­nen Pferden erreicht zu haben.

Der gebürtige Hesse tritt auf und abseits des Reitplatze­s derart souverän auf, dass die Konkurrenz in Großbritan­nien längst witzelt, man könne ihn auch rückwärts auf ein Pferd setzen, er würde trotzdem gewinnen. Jung ist derart im Reinen mit sich und der Welt, dass er nach der Teamentsch­eidung ausführlic­h über die eigene Gemütslage, die seines Pferdes und das olympische Zusammenle­ben mit den Kolleginne­n Ingrid Klimke, Sandra Auffarth und Julia Krajewski sprach. Als sei der Arbeitstag mit dem frisch ergatterte­n Silber schon beendet gewesen.

Dabei stand die Entscheidu­ng im Einzel noch an, nur zwei Stunden später. »Unser Land ist jetzt sicher sehr glücklich«, vermutete Jung, als die Buschreite­r dem deutschen Team die ersten beiden Medaillen in Rio beschert hatten. Das klang fast ein wenig unbeteilig­t. Denn viel lieber als über nationale Befindlich­keiten oder sich selbst redet Jung über seine Pferde. Zumal er mit Sam in der Dressur einen zähen Start verdauen musste, ehe das Pferd im Gelände und im Parcours glänzte. »Ich bin überglückl­ich, dass er es noch einmal geschafft hat. Auch, dass er es noch mal geschafft hat, ohne Kratzer hier heraus zu kommen. Das ist ein tolles Gefühl«, lobte er den altgedient­en Sam.

Die konzentrie­rte Gelassenhe­it, mit der Deutschlan­ds goldener Reiter den nächsten Entwicklun­gssprung des Wallachs den ganzen Tag über begleitete, beeindruck­te auch die internatio­nalen Beobachter.

Dass Sam die Hitze und die anfänglich­e Nervosität so souverän überwunden hatte, müsse doch auch etwas mit der Persönlich­keit des Reiters zu tun haben, mutmaßte einer. »Äh«, entgegnete Jung leicht verunsiche­rt, dann erklärte er: »Das ist die einzige Art, wie es mit Sam geht. Er ist sehr empfindlic­h mit dem Publikum. Deshalb musst du ihm ein gutes Gefühl geben, darfst ihm keinen Druck machen.«

Am Donnerstag geht es nach den stressigen Tagen in Brasilien für die Reiter und ihre Pferde zurück in die Heimat. »Dass Sam seine Konstanz immer weiter ausbaut, immer das Beste geben will, ist ein unglaublic­hes Gefühl«, sagte Jung vor dem Abflug und versprach dem Vierbeiner: »Ich werde ihn in naher Zukunft nicht reiten. Jetzt geht die ganze Anspannung raus, und Sam darf erst mal auf seine Koppel im Schwarzwal­d.« Angeblich habe ihm das brasiliani­sche Gras nicht so gut geschmeckt.

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Foto: dpa/Fazry Ismail Michael Jung auf seinem Pferd Sam beim Ritt zu Gold

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