Warhol war’s
In Leipzig sind Kurzfilme des US-amerikanischen Pop-Art-Mitbegründers Andy Warhol zu sehen
Der Pop-Art-Künstler hat nicht nur Bilder von Suppendosen und Marilyn Monroe produziert. Eine Ausstellung in Leipzig präsentiert ihn als Kurzfilmer.
Das Werk des US-amerikanischen Künstlers Andy Warhol ist schon lange Teil eines musealen Kanons, der anödet und ermüdet. Schon beim Gedanken daran, sich gesiebdruckte Marilyns ansehen zu müssen, wird man ganz schläfrig. Tatsächlich setzte sich dank eines sekundären Kunstmarkts sowie einfallsloser Museen und deren Merchandisebetriebs der Eindruck durch, das Werk von jemandem wie Andy Warhol bestünde im Grunde aus nicht viel mehr als ein paar Siebdruckmotiven. Je öfter man so etwas schließlich sieht, desto mehr verlernt man, es anzuschauen.
Dabei ist das OEuvre, das Warhol hinterlassen hat, sehr groß und vielseitig. Da wären etwa der wunderbare Amphetaminroman »A« von 1968 oder die seltsamen Dokumentarfilme »Blowjob« (1964), »Blue Movie« (1968) oder »Empire« (1964), in denen er vorgibt, akribisch zu registrieren, was sowieso und ohne sein Zutun geschieht. Überhaupt bilden die zahlreichen Filme einen Hauptteil der Hinterlassenschaft des 1928 in Pittsburgh geborenen und 1987 in New York verstorbenen Künstlers.
Einen riesigen Anteil dieses filmischen Werkes wiederum nehmen die »Screen Tests« ein, die Warhol zwischen 1964 und 1966 mit einer 16mm-Kamera produzierte. »Screen Tests« ist eine Sammlung von insgesamt 471 kurzen Porträtaufnahmen von Personen aus dem Umfeld seiner Factory – oder von Berühmtheiten, die ihn interessiert haben. Von manchen, wie dem Künstler Marcel Duchamp, existieren mehrere Filme. Einer ist auch in der Leipziger Ausstellung zu sehen. Warhol plante einen Film, in dem er Duchamp 24 Stunden lang beobachten wollte – ähnlich seinem Film über das Empire State Building. 1968 verstarb der Künstler jedoch überraschend.
Ein Dreh dauerte exakt zweieinhalb Minuten, bei einer Aufnahmegeschwindigkeit von 24 Bildern pro Sekunde. Dies entsprach genau der Länge einer Filmrolle. Speziell an Warhols Umgang mit dem Material war, dass er es etwas langsamer, mit nur 16 Bildern pro Sekunde, zeigte. Die Aufnahmen werden auf diese Weise unwirklich, auratisch.
Eine Auswahl ist nun in der Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst (gfzk) zu sehen. Das Besondere an dieser Ausstellung ist zweifelsohne das Geschick, mit dem diese Filme hier für einen gegenwärtigen Blick geöffnet werden. Die Kuratorin Julia Schäfer legt gemeinsam mit dem Szenografen Stefan Hurtig und dem Gestalter David Voss einige zentrale Themen dieser vierminütigen Streifen frei. Dabei spielt auch die Architektur des einstöckigen modernen Gebäudes eine zentrale Rolle. Der Bau ist spiralförmig angelegt, außen ist er fast vollständig verglast. Das Spiel mit Außen- und Innenansichten findet sich auch in Warhols Portraits.
Die Autorin Heike Geißler ergänzt die Filme um ein Hörstück, das ebenfalls einige subtilere in den Filmen verborgene Momente aufnimmt. Sein Titel lautet: »I screentest myself, it is part of the contract«. Die Filme haben keinen Ton, und so bildet das Audiospiel eine Art Kommentarspur zu ihnen. Ein Ich-Erzähler bringt kleine alltägliche Geschichten zu Gehör, Erinnerungen und freie Assoziationen. Sie alle kreisen um Fragen der Identifikation der Betrachter mit den Personen auf den Screens. Darauf bezieht sich der einem Velvet-UndergroundSong entlehnte Titel der Ausstellung: »I’ll be your mirror«.
Tatsächlich verhalten sich die Gesichter auf den Bildschirmen und Wänden der Galerie in gewissem Sinne wie Spiegel. Im menschlichen Ge- sicht erkennt man sich stets selbst wieder.
Warhol hatte seine Protagonisten für die Zeit, in der die Kamera sie aufnahm, alleine gelassen. Ein Moment der Verstärkung der Einsamkeit. Analog der Aufnahmetechnik haben wir die Wiedergabeapparatur zur Gesellschaft, also die Wiedergabe von Gesichtern. So einsam, wie sie sich gefühlt haben müssen, fühlen wir uns auch. Denn nie fühlt man sich einsamer als in der Konfrontation mit sich selbst, ob nun in der Aufzeichnung oder der spiegelartigen Wiedergabe.
Warhols Portraits irritieren in ihrer zeitlichen Dimension. Das klassische Portrait ist gemalt oder fotografiert, jedenfalls unbewegt. In ihrer Zweidimensionalität schaffen es die besseren von ihnen, etwas vom Geist eines Menschen einzufangen und zu vermitteln. Das klassische bewegte Filmporträt beinhaltet stets Text und erzählt die Geschichte eines Menschen meist chronologisch.
Warhols bewegte Portraits weichen hiervon ab. Wir können den Menschen in gedehnter Zeit dabei zusehen, wie sie sich in zweieinhalb Minuten verhalten – oder genauer: wie sich ihr Gesicht verhält, wie sie schauen und wohin, und auf welche Weise sie ihren Mund bewegen. Marcel Duchamp etwa bewegt seine Augen die langgewordene kurze Zeitspanne über nervös von der einen zur anderen Seite und raucht dabei eine Zigarette. Die Aufnahmen wirken wie Vertiefungen eines Standbildes. Als bewegte Bilder erzählen sie keine Geschichte, obwohl man seit Carl Theodor Dreyers »La passion de Jeanne d’Arc« von 1928 weiß, dass es möglich ist, rein über die Aufnahmen von Gesichtern eine Geschichte zu erzählen. Die von Warhol gefilmten Gesichter erzählen jedoch keine, sie entwickeln ein Bild, das Bild einer fremden Person, indem man selbst sich spiegelt.
Warhols gigantische, manisch betriebene Porträtsammlung hat aber noch eine andere Dimension. Sie ist als Bestandsaufnahme der Menschen, die ihn interessierten, zu verstehen. Viele von ihnen waren große oder kleine Berühmtheiten im New York der frühen sechziger Jahre: so etwa die Essayistin Susan Sontag, der Dichter Ed Sanders oder die Schauspielerin Ruth Ford. Ihre Gesichter mögen vor mehr als 50 Jahren als Signets funktioniert haben, heute sind sie den wenigsten Menschen präsent. Durch die Auswahl, die Helligkeit des Bildes und die erwähnte Verlangsamung des Bildablaufes erhalten sie über die Zeit hinaus ihre Erhabenheit. Ihre Einzigartigkeit behalten sie selbst in der Serie.
Momente aus Geißlers Hörstück kommen einem in den Sinn beim Betrachten dieser Gesichter: der geliebte Mensch und der junge Mensch, das Altern und Verschwinden des Menschen. Diese Art der Universalität herzustellen, ist vielleicht das größte Verdienst der Leipziger Ausstellungsmacher. Denn auf diese Weise wird alte Kunst heute erfahrbar.
Dank einfallsloser Museen setzte sich der Eindruck durch, das Werk von Andy Warhol bestünde aus ein paar Siebdruckmotiven.
Die Andy-Warhol-Ausstellung »I’ll be your mirror« ist noch bis zum 11. September in der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig zu sehen. Unser Autor ist Betreiber der Galerie K‘ in Bremen (www.k-strich.de).