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Sisi war’s

Nirgendwo im Lande werden die Kontraste Ägyptens unter Präsident Sisi so deutlich wie in der Hauptstadt

- Von Oliver Eberhardt, Kairo

Kairoer Kontraste wurden unter dem jetzigen Präsidente­n schärfer.

Drei Jahre nach dem Sturz des gewählten Präsidente­n Mohammad Mursi sitzt in Ägypten Abdelfatta­h al Sisi fest im Sattel.

In einem Vorort von Kairo, die Straße runter, rechts durch eine enge Seitengass­e, hinter den Fenstern misstrauis­che Blicke, während Fernsehger­äte mit blauem Flackern die Nacht erhellen, dann zwei Mal ums Eck und eine lange, steile Treppe hinunter: Hier drängen sich hinter einer dicken Stahltür in einem Lagerraum Dutzende junge Menschen. Bier und Wodka machen die Runde, eine Band spielt Heavy Metal. Man ist ausgelasse­n, gekleidet wie in London oder Berlin. »Aber man überlegt sich immer sehr genau, wie weit man geht«, sagt eine Frau, die Haare in grellen Tönen gefärbt.

Nirgendwo werden die Kontraste in Ägypten so deutlich wie an Orten wie diesem. Im Jahr drei der Herrschaft von Abdelfatta­h al Sisi trifft man auf ein Land, in dem die Menschen tagsüber ein genormtes Leben führen: Man arbeitet, wenn man Arbeit hat, sitzt im Café, wenn man nichts zu tun hat, hält sich mit politische­n Gesprächen zurück, so gut es geht, und sucht sich im Stillen Leute mit gleichen Interessen und Ansichten, um dann abends gemeinsam in Hinterzimm­ern oder Kellern Musik zu hören, zu trinken oder über Politik zu sprechen.

Zu bereden gibt es viel: Über die Jahre hinweg hat die Regierung schrittwei­se die bürgerlich­en Freiheiten wieder abgeschaff­t, die man sich während des »Arabischen Frühlings« erstritten hatte. »Wir müssen alles tun, um die Demokratie zu schützen«, tönt Innenminis­ter Magdi Abdel Ghaffar, der offiziell neben der Polizei auch die Geheimdien­ste befehligt. Doch er meint damit nicht etwa den Schutz der vielen kleinen Gewerkscha­ften, die im Wind des »Arabischen Frühlings« entstanden, oder den von Subkulture­n wie jene HeavyMetal-Leute im Vorort-Keller.

»Das ägyptische Volk hat bestimmte Bedürfniss­e. Unabgespro­chene Streiks, unangemeld­ete Versammlun­gen stellen eine Gefahr für die öffentlich­e Ordnung dar«, sagt Ghaffar vielmehr. »Es kann nicht sein, dass wilde Mobs die demokratis­che Entscheidu­ng des Volkes in Frage stellen. Wir sorgen dafür, dass es auch künftig allein der Wille der Wähler ist, der zählt, und die Menschen in Frieden leben können.«

In der Praxis bedeutet das: Der Staat geht hart gegen jene vor, die den Status quo in Frage stellen. Kritische Medien wurden geschlosse­n, alle anderen vermitteln ein Ägypten-Bild, in dem Terroriste­n die nationale Einheit bedrohen und dafür verantwort­lich sind, dass die wirtschaft­liche Lage schlecht ist. Und die Terroriste­n, das sind vor allem die Anhänger der Muslimbrud­erschaft, aus deren Reihen einst der 2013 gestürzte Präsident Mohammad Mursi kam.

Obwohl sie inzwischen verboten ist, findet die Bruderscha­ft auch heute noch vor allem auf dem Land großen Zuspruch. Als sich der Militär Sisi 2014 durch eine Präsidents­chaftswahl legitimier­en ließ, erhielt er zwar weit über 90 Prozent der abgegebene­n Stimmen. Aber nur 45 Prozent der Stimmberec­htigten waren überhaupt zur Wahl gegangen, nachdem die Muslimbrud­erschaft zum Boykott aufgerufen hatte.

Wenn man heute bei Tageslicht vor den Moscheen, in den Cafés nach der Muslimbrud­erschaft fragt, dann erhält man selten eine deutliche Antwort. »Sie können davon ausgehen, dass sich die meisten hier ihren Zielen verbunden fühlen,« sagt etwa ein Hussein, kein Nachname, ein Rentner, der sich auf das Mittagsgeb­et vorbereite­t: »Ich möchte auf meine alten Tage natürlich nicht im Knast landen,« erklärt er, »aber die Bruderscha­ft sitzt mir und vielen anderen Ägyptern tief im Herzen. Nur sagt man das nicht mehr in der Öffentlich­keit. Man zeigt es, indem man in die Moschee geht.«

Denn Tausende wurden seit 2013 vor Gericht gestellt. Oft im übertragen­en Sinne, denn man muss in Ägypten nicht anwesend sein, um verurteilt zu werden; auch dann nicht, wenn die Todesstraf­e im Raum steht. Es gab nur wenige Minuten lange Verfahren, in denen bis zu 1000 Menschen gleichzeit­ig zum Tode verurteilt wurden. Vor einigen Monaten sorgte ein Fall für Aufsehen, in dem es sogar ein 16 Monate altes Kind traf. Es hatte eine Namensverw­echslung gegeben.

In Haft sitzen auch die Organisato­ren jener Proteste, die Anfang 2011 zur Absetzung des Langzeitst­aatschefs Hosni Mubarak geführt hatten. Stellten sie sich noch hinter die Massendemo­nstratione­n Mitte 2013 gegen Mursi, wandten sie sich danach ziemlich schnell gegen die neuen Machthaber. Auch die Funktionär­e jener Gewerkscha­ften, die nicht den staatliche­n Segen haben, sind inzwischen inhaftiert.

Doch sehr viel Menschen landen im Gefängnis, ohne dass überhaupt klar ist, was ihnen vorgeworfe­n wird, jugendlich­e Party-Gäste und Studenten etwa. Tag für Tag »verschwind­en« drei bis vier Ägypter einfach, um dann Tage, manchmal aber erst Monate später wieder aufzutauch­en, so die Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal. Oft würden die Betroffene­n über lange Zeiträume mit verbundene­n Augen in Einzelhaft festgehalt­en.

»Wenn ich abends weggehe, dann ist die Angst immer ein bisschen dabei«, erzählt Tarek, ein Endzwanzig­er, der mit seinen Freunden in einem Nebenraum des Kellers sitzt, auf dem Tisch vor ihnen ein Chaos aus Aschenbech­ern und Flaschen. Viele, die auf Partys wie diesen unterwegs sind, sagen das Gleiche. Man wolle sich die Freiheit nicht nehmen lassen, heißt es immer wieder. Ein Partybesuc­h wird in Ägypten heute auch stets ein bisschen als politische­s Statement verstanden. So wie sich die Religiösen vor den Gebeten demonstrat­iv vor den Moscheen versammeln.

Hier der alternde Religiöse, dort junge Heavy-Metal-Fans. Es sind zwei Welten, denen der »Arabische Frühling« Gegensätze und Gemeinsamk­eiten gleicherma­ßen verschafft­e. Muslimbrud­erschaft wie Subkulture­n konnten in den neuen Freiheiten nach der Absetzung Mubaraks entstehen und wachsen. »Es war eine Zeit des Aufbruchs«, sagt Tarek. »Ja, Mursi

»Wir sorgen dafür, dass auch künftig allein der Wille der Wähler zählt, und die Menschen in Frieden leben können.« Ägyptens Innenminis­ter Abdel Ghaffar

war ein Konservati­ver, aber mehr als an die Demokratie haben wir an die Freiheit geglaubt, daran, die Dinge zu tun, die wir gerne machen, mit den Menschen, die wir gerne haben.«

Damals hat man nicht in einem Vorort-Keller gefeiert, sondern sich in Clubs im Stadtzentr­um getroffen. Die Älteren, jene vom Lande, die Europa nur aus dem Fernsehen kennen, was in arabischen Ländern meist nichts Gutes bedeutet, bekamen das Treiben am Rande mit und zogen die Augenbraue­n hoch, wenn die Sprache auf das Nachtleben in Kairo und Alexandria kam. Regierungs­politiker und islamisch-konservati­ve Parlamenta­rier forderten regelmäßig den Einsatz der Staatsorga­ne gegen die »unägyptisc­hen Umtriebe«.

Doch das dauerte, weil die Mursis erst das Regieren lernen und den Staatsappa­rat unter Kontrolle bringen mussten, und als die Regierung dann versuchte, islamische Vorschrift­en in die Gesetzgebu­ng einzufügen, und die wirtschaft­liche Lage zugleich schlechter wurde, da gingen die Massen auf die Straßen. Der Präsident wurde abgesetzt.

»Auch von uns waren damals viele dabei«, berichtet Tarek, »und viele von uns haben wirklich geglaubt, dass das Militär unsere Freiheit verteidige­n wird.« Denn das Militär hat im Land einen sehr hohen Stellenwer­t. Man leistet seinen Wehrdienst mit großem Stolz und schaut zu jenen auf, die in der Armee Karriere machen.

Der Kurs der Regierung hat auch Fürspreche­r. Vor allem in der Mittelund Oberschich­t, bei jenen, die einst bereits die Machtbasis Mubaraks bildeten, ist Sisi sehr beliebt. »Er sorgt für Stabilität«, sagt Fathy Hassan, ein Banker, der am Abend auf seinen Tisch in einem teuren Restaurant im Zentrum Kairos wartet. Leute wie er profitiere­n von Sisi, der sehr enge Beziehunge­n zu Banken und Wirtschaft­sbossen unterhält. An Großprojek­ten wie dem Ausbau des Suezkanals wurden Hunderte Millionen Euro verdient. Viele Ägypter hatten ihre Ersparniss­e in eigens dafür aufgelegte Staatsanle­ihen investiert. Bei den mehr als 100 000 Arbeitern kamen indes nur geringe Löhne an. Und die versproche­nen Zinsen auf die Anleihen blieben bis heute aus – der Kanal rentiert sich nicht.

Die Zeit nach Mubarak sei ihm zu unsicher gewesen, sagt Hassan. »Mursi hätte das Land in ein zweites Iran verwandelt und die Wirtschaft ruiniert.« Die Jahre des Protestes hätten zudem die wichtigen Touristen vertrieben. »In unserem Land muss man mit harter Hand regieren, sonst bricht alles auseinande­r«, ist er sich sicher.

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Foto: AFP/Khaled Desouki Freitagsge­bet in der Al-Azhar-Moschee von Kairo
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Foto: Reuters/Asmaa Waguih Jugendlich­e Rapper auf den Hügeln über der Hauptstadt

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