Sisi war’s
Nirgendwo im Lande werden die Kontraste Ägyptens unter Präsident Sisi so deutlich wie in der Hauptstadt
Kairoer Kontraste wurden unter dem jetzigen Präsidenten schärfer.
Drei Jahre nach dem Sturz des gewählten Präsidenten Mohammad Mursi sitzt in Ägypten Abdelfattah al Sisi fest im Sattel.
In einem Vorort von Kairo, die Straße runter, rechts durch eine enge Seitengasse, hinter den Fenstern misstrauische Blicke, während Fernsehgeräte mit blauem Flackern die Nacht erhellen, dann zwei Mal ums Eck und eine lange, steile Treppe hinunter: Hier drängen sich hinter einer dicken Stahltür in einem Lagerraum Dutzende junge Menschen. Bier und Wodka machen die Runde, eine Band spielt Heavy Metal. Man ist ausgelassen, gekleidet wie in London oder Berlin. »Aber man überlegt sich immer sehr genau, wie weit man geht«, sagt eine Frau, die Haare in grellen Tönen gefärbt.
Nirgendwo werden die Kontraste in Ägypten so deutlich wie an Orten wie diesem. Im Jahr drei der Herrschaft von Abdelfattah al Sisi trifft man auf ein Land, in dem die Menschen tagsüber ein genormtes Leben führen: Man arbeitet, wenn man Arbeit hat, sitzt im Café, wenn man nichts zu tun hat, hält sich mit politischen Gesprächen zurück, so gut es geht, und sucht sich im Stillen Leute mit gleichen Interessen und Ansichten, um dann abends gemeinsam in Hinterzimmern oder Kellern Musik zu hören, zu trinken oder über Politik zu sprechen.
Zu bereden gibt es viel: Über die Jahre hinweg hat die Regierung schrittweise die bürgerlichen Freiheiten wieder abgeschafft, die man sich während des »Arabischen Frühlings« erstritten hatte. »Wir müssen alles tun, um die Demokratie zu schützen«, tönt Innenminister Magdi Abdel Ghaffar, der offiziell neben der Polizei auch die Geheimdienste befehligt. Doch er meint damit nicht etwa den Schutz der vielen kleinen Gewerkschaften, die im Wind des »Arabischen Frühlings« entstanden, oder den von Subkulturen wie jene HeavyMetal-Leute im Vorort-Keller.
»Das ägyptische Volk hat bestimmte Bedürfnisse. Unabgesprochene Streiks, unangemeldete Versammlungen stellen eine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar«, sagt Ghaffar vielmehr. »Es kann nicht sein, dass wilde Mobs die demokratische Entscheidung des Volkes in Frage stellen. Wir sorgen dafür, dass es auch künftig allein der Wille der Wähler ist, der zählt, und die Menschen in Frieden leben können.«
In der Praxis bedeutet das: Der Staat geht hart gegen jene vor, die den Status quo in Frage stellen. Kritische Medien wurden geschlossen, alle anderen vermitteln ein Ägypten-Bild, in dem Terroristen die nationale Einheit bedrohen und dafür verantwortlich sind, dass die wirtschaftliche Lage schlecht ist. Und die Terroristen, das sind vor allem die Anhänger der Muslimbruderschaft, aus deren Reihen einst der 2013 gestürzte Präsident Mohammad Mursi kam.
Obwohl sie inzwischen verboten ist, findet die Bruderschaft auch heute noch vor allem auf dem Land großen Zuspruch. Als sich der Militär Sisi 2014 durch eine Präsidentschaftswahl legitimieren ließ, erhielt er zwar weit über 90 Prozent der abgegebenen Stimmen. Aber nur 45 Prozent der Stimmberechtigten waren überhaupt zur Wahl gegangen, nachdem die Muslimbruderschaft zum Boykott aufgerufen hatte.
Wenn man heute bei Tageslicht vor den Moscheen, in den Cafés nach der Muslimbruderschaft fragt, dann erhält man selten eine deutliche Antwort. »Sie können davon ausgehen, dass sich die meisten hier ihren Zielen verbunden fühlen,« sagt etwa ein Hussein, kein Nachname, ein Rentner, der sich auf das Mittagsgebet vorbereitet: »Ich möchte auf meine alten Tage natürlich nicht im Knast landen,« erklärt er, »aber die Bruderschaft sitzt mir und vielen anderen Ägyptern tief im Herzen. Nur sagt man das nicht mehr in der Öffentlichkeit. Man zeigt es, indem man in die Moschee geht.«
Denn Tausende wurden seit 2013 vor Gericht gestellt. Oft im übertragenen Sinne, denn man muss in Ägypten nicht anwesend sein, um verurteilt zu werden; auch dann nicht, wenn die Todesstrafe im Raum steht. Es gab nur wenige Minuten lange Verfahren, in denen bis zu 1000 Menschen gleichzeitig zum Tode verurteilt wurden. Vor einigen Monaten sorgte ein Fall für Aufsehen, in dem es sogar ein 16 Monate altes Kind traf. Es hatte eine Namensverwechslung gegeben.
In Haft sitzen auch die Organisatoren jener Proteste, die Anfang 2011 zur Absetzung des Langzeitstaatschefs Hosni Mubarak geführt hatten. Stellten sie sich noch hinter die Massendemonstrationen Mitte 2013 gegen Mursi, wandten sie sich danach ziemlich schnell gegen die neuen Machthaber. Auch die Funktionäre jener Gewerkschaften, die nicht den staatlichen Segen haben, sind inzwischen inhaftiert.
Doch sehr viel Menschen landen im Gefängnis, ohne dass überhaupt klar ist, was ihnen vorgeworfen wird, jugendliche Party-Gäste und Studenten etwa. Tag für Tag »verschwinden« drei bis vier Ägypter einfach, um dann Tage, manchmal aber erst Monate später wieder aufzutauchen, so die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Oft würden die Betroffenen über lange Zeiträume mit verbundenen Augen in Einzelhaft festgehalten.
»Wenn ich abends weggehe, dann ist die Angst immer ein bisschen dabei«, erzählt Tarek, ein Endzwanziger, der mit seinen Freunden in einem Nebenraum des Kellers sitzt, auf dem Tisch vor ihnen ein Chaos aus Aschenbechern und Flaschen. Viele, die auf Partys wie diesen unterwegs sind, sagen das Gleiche. Man wolle sich die Freiheit nicht nehmen lassen, heißt es immer wieder. Ein Partybesuch wird in Ägypten heute auch stets ein bisschen als politisches Statement verstanden. So wie sich die Religiösen vor den Gebeten demonstrativ vor den Moscheen versammeln.
Hier der alternde Religiöse, dort junge Heavy-Metal-Fans. Es sind zwei Welten, denen der »Arabische Frühling« Gegensätze und Gemeinsamkeiten gleichermaßen verschaffte. Muslimbruderschaft wie Subkulturen konnten in den neuen Freiheiten nach der Absetzung Mubaraks entstehen und wachsen. »Es war eine Zeit des Aufbruchs«, sagt Tarek. »Ja, Mursi
»Wir sorgen dafür, dass auch künftig allein der Wille der Wähler zählt, und die Menschen in Frieden leben können.« Ägyptens Innenminister Abdel Ghaffar
war ein Konservativer, aber mehr als an die Demokratie haben wir an die Freiheit geglaubt, daran, die Dinge zu tun, die wir gerne machen, mit den Menschen, die wir gerne haben.«
Damals hat man nicht in einem Vorort-Keller gefeiert, sondern sich in Clubs im Stadtzentrum getroffen. Die Älteren, jene vom Lande, die Europa nur aus dem Fernsehen kennen, was in arabischen Ländern meist nichts Gutes bedeutet, bekamen das Treiben am Rande mit und zogen die Augenbrauen hoch, wenn die Sprache auf das Nachtleben in Kairo und Alexandria kam. Regierungspolitiker und islamisch-konservative Parlamentarier forderten regelmäßig den Einsatz der Staatsorgane gegen die »unägyptischen Umtriebe«.
Doch das dauerte, weil die Mursis erst das Regieren lernen und den Staatsapparat unter Kontrolle bringen mussten, und als die Regierung dann versuchte, islamische Vorschriften in die Gesetzgebung einzufügen, und die wirtschaftliche Lage zugleich schlechter wurde, da gingen die Massen auf die Straßen. Der Präsident wurde abgesetzt.
»Auch von uns waren damals viele dabei«, berichtet Tarek, »und viele von uns haben wirklich geglaubt, dass das Militär unsere Freiheit verteidigen wird.« Denn das Militär hat im Land einen sehr hohen Stellenwert. Man leistet seinen Wehrdienst mit großem Stolz und schaut zu jenen auf, die in der Armee Karriere machen.
Der Kurs der Regierung hat auch Fürsprecher. Vor allem in der Mittelund Oberschicht, bei jenen, die einst bereits die Machtbasis Mubaraks bildeten, ist Sisi sehr beliebt. »Er sorgt für Stabilität«, sagt Fathy Hassan, ein Banker, der am Abend auf seinen Tisch in einem teuren Restaurant im Zentrum Kairos wartet. Leute wie er profitieren von Sisi, der sehr enge Beziehungen zu Banken und Wirtschaftsbossen unterhält. An Großprojekten wie dem Ausbau des Suezkanals wurden Hunderte Millionen Euro verdient. Viele Ägypter hatten ihre Ersparnisse in eigens dafür aufgelegte Staatsanleihen investiert. Bei den mehr als 100 000 Arbeitern kamen indes nur geringe Löhne an. Und die versprochenen Zinsen auf die Anleihen blieben bis heute aus – der Kanal rentiert sich nicht.
Die Zeit nach Mubarak sei ihm zu unsicher gewesen, sagt Hassan. »Mursi hätte das Land in ein zweites Iran verwandelt und die Wirtschaft ruiniert.« Die Jahre des Protestes hätten zudem die wichtigen Touristen vertrieben. »In unserem Land muss man mit harter Hand regieren, sonst bricht alles auseinander«, ist er sich sicher.