Lichthäuser für eine muslimische Bildungselite in Westeuropa
Die Berliner Gülen-Hochburgen liegen in Tempelhof und haben erst im Dezember eine Einladung von Bundespräsident Gauck erhalten
Den Gülen-Einrichtungen wird in Deutschland vorgehalten zu missionieren. Den Vorwurf erheben ausgerechnet die Großkirchen.
Da sich in Deutschland die größte türkische Community außerhalb der Türkei befindet, ist es naheliegend, hierzulande eine den türkischen Werten adäquate Zahl an Gülen-Anhängern zu finden. Offizielle Schätzungen gibt es nicht. Medienberichte, so eine kürzlich von Phoenix ausgestrahlte Dokumentation nennen die Zahl 100 000.
Da Gülen auch in Deutschland Schulen betreibt, sind unter ihren Sympathisanten hier wie in der Türkei überdurchschnittlich viele Höhergebildete. Nicht alle Gülen-Schulen sind als solche erkennbar, und es gibt offiziell auch keine Behörde, die sich um einen Überblick bemüht hat. Aber auf 100 wird die Zahl schon geschätzt, vornehmlich in den türkischen »Hochburgen« Baden-Württemberg, Berlin und NordrheinWestfalen. Einige Gülen-Leuchttürme sind aber durchaus bekannt. In der Bundeshauptstadt trifft das vor allem auf den im südlichen Bezirk Tempelhof tätigen Berlin-Brandenburgische Bildungsverein TÜDESB zu, Träger der sogenannten WilhelmstadtSchulen und auch von Kindertagesstätten.
Diese sind in Deutschland deshalb keineswegs zu randständigem Dasein verdammt. Erst im Dezember waren Schüler des Wilhelmstadt-Gymnasiums von Bundespräsident Joachim Gauck in das Schloss Bellevue eingeladen worden. Auch andere prominente Politiker zeigten sich gern bei Gülen-Einrichtungen, etwa die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth. Das haben ihr als Repräsentantin einer sich christlich nennenden Partei vor allem die Vertreter der deutschen Großkirchen übelgenommen. Deren sogenannte Sektenbeauftragte werfen ihr und der deutschen Politik allgemein, was Gülen betrifft, eine naive und verharmlosende Sicht der Dinge vor. Gülen, so der Vorwurf, verfolge mit den Bildungsinitiativen seiner Bewegung das Ziel, eine muslimische Bildungselite heranzuzüchten, damit sie ihre und damit Gülens Vorstellungen eines Islam-Bildes mitten hinein in die europäischen Eliten trage.
TÜDESB weist diesen Vorwurf immer wieder zurück und bestreitet auch, mit dem Schulbesuch nicht nur für den Islam überhaupt, sondern für dessen Gülensche Ausformung missionieren zu wollen. Doch warum eigentlich? Es wäre nichts Verbotenes. Außerdem: Die christlichen Kirchen sowie die von ihnen getragenen Bildungs- und Erziehungseinrichtungen verfolgen ebenfalls das Ziel, ihre religiösen Vorstellungen in die Gesellschaft zu tragen. Und solange Religionsfreiheit herrscht in Deutsch- land, werden sie das auch weiter tun dürfen: Christen, Juden, Muslime und alle anderen, sofern sie die nationalen Gesetze respektieren.
Heftige Vorwürfe ereilen Gülen immer wieder wegen der "Öğrenci Evi« in einigen Städten. Diese sogenannten »Lichthäuser« – ein Begriff, den die Türken gar nicht verwenden – sind eine Art Internate oder studentische Wohngemeinschaften. Sie werden von Gülen finanziert, und in ihnen wohnen, wie das Deutsch-Türkische Journal feinsinnig formulierte, »Menschen, die gewisse religiöse Überzeugungen, aber auch Bildungsideale teilen«. Kritiker bemängeln, dass in diesen Häusern ein strenges Regime herrsche und alles straff nach religiösen Regeln organisiert sei. Das aber ist, wie man hört, auch bei kirchlichen Einrichtungen hierzulande der Fall und wird keineswegs abschätzig beurteilt.
Aber die Türkei macht Druck auch auf Deutschland, verlangt ein Verbot von Gülen-Aktivitäten und Strafverfolgung ihrer Tätigkeiten mindestens in der Strenge, wie das die deutschen Behörden seit nunmehr 23 Jahren in Bezug auf die Arbeiterpartei Kurdistans tun. Die dafür nötige Pogromstimmung wird über ErdoganVorfeldvereine von Deutschtürken besorgt. Wie die Hamburger »Zeit« am Donnerstag berichtete, wurden Listen mit den Namen deutsch-türkischer Geschäftsleute, die angeblich Gülen nahestehen, ins Netz gestellt. Es wird zum Boykott aufgerufen gegen Gastronomen, Händler, sogar Ärzte, Mordrohungen inklusive. Spätestens jetzt wäre einmal der deutsche Staat am Zuge.
In den Lichthäusern wohnen Menschen, die gewisse religiöse Überzeugungen, aber auch Bildungsideale teilen. Deutsch-Türkisches Journal