Wir haben nichts gegen Olympia, aber ...
3159 Personen interessieren sich für den litauischen Erstligisten FK Kauno Žalgiris auf Facebook. Im Vergleich: Für den Brandenburger Viertligisten SV Babelsberg 03 sind es 14 850 Personen, die deutsche »Olympiamannschaft« kommt auf 166 044 nach oben zeigende blaue Daumen. Als eine kleine Delegation unseres Vereins Gesellschaftsspiele in der vergangenen Woche dem angesetzten Heimspiel der Fußballer in der drittgrößten Stadt Litauens beiwohnte, kamen optimistisch geschätzte 250 Zuschauer zusammen – aber genug der Zahlenspiele. Fußball in Kaunas ist kein Straßenfeger, Fankultur in seinen klassischen Ausprägungen nur in rudimentären Ansätzen erkennbar. Wir waren dennoch vor Ort. Dazu hatte uns niemand genötigt, keiner mit einem berauschenden Rahmenprogramm gelockt. Nicht einmal Bier gab es im Stadion zu kaufen (Buh!).
Was bewegte uns also zu dieser Exkursion? Es ist die gleiche Motivation, die uns Zweitligaspiele in Laos und die Stadtderbies in Dar es Salaam oder Kigali anschauen lässt. Wunderbare und vielschichtige Menschen kennenlernen, weniger vielschichtige Menschen treffen, vom Weg abgekommenen Menschen begegnen und uns selbst dabei verlieren, diese Menschen zu finden. Wir wollen den Massen (was augenscheinlich weniger auf das Spiel in Kaunas zutraf) begegnen und dabei auch die individuellen Geschichten hören. Wir wollen mit Ansichten, Personen und Gruppen in Kontakt treten. Wir wollen austauschen, lernen und wenn gewünscht auch etwas zurückgeben.
Es ist die Suche nach Authentizität und einer zutiefst subjektiven Wirklichkeit. Und damit ein diametraler Gegensatz zu den wahrgenommenen Herangehensweisen bei von UEFA, FIFA und IOC kreierten und modellierten Großevents.
»Es gibt im Leben Augenblicke, da die Frage, ob man anders denken kann, als man denkt, und anders wahrnehmen kann, als man sieht, zum Weiterschauen und Weiterdenken unentbehrlich ist.« (M. F.)
Die oben genannten Verbandssaurier wollen nicht vorausschauen und weiterdenken, sie wollen be- wahren und weiter fressen. So lange fressen, bis sie platzen. Bis es so weit ist, produzieren sie – im übertragenen Sinne – möglichst keimfreie und sterile Spiele, die auch mit dem aufgesprühten Buntlack der Völkerverständigung und Friedfertigkeit nur noch stärker nach Kunststoff riechen.
Von welcher Friedfertigkeit sprechen wir hier eigentlich? Doping, Korruption, umstrittene Bauvorhaben, Verdrängung missliebiger Gruppen, politisch fragwürdige Entscheidungen, politische Boykotte, männerdominierte Führungsebenen in den Verbänden, aberwitzige Sponsoren- und Vermarktungsverträge mit den bekannten Kollateralschäden und Spätfolgen. Es geht nicht um angeditschte Kuchenstücke der Großverbände – wir reden von der Bäckerei in Gänze, die verfault ist.
Soll den SportlerInnen und Teams damit auf ihre Trainingsschuhe getreten werden? Jenen also, die nach langen Perioden des Schwitzens die ihnen zustehenden Bühnen betreten; die, die sportliche Wettkämpfe ausfechten, also den ursprünglichen olympischen Gedanken leben? Mitnichten sind sie gemeint. Nur hat die Beurteilung dieser Massenevents weniger etwas mit überraschenden Auftritten von Sympathieträgern wie beispielsweise einer isländischen Mannschaft zu tun, sondern viel mehr mit einer Gesamtbetrachtung des »Spektakels«.
Sämtlichen SportlerInnen ist die Teilnahme zu gönnen, allen Teams das gemeinsame Erlebnis. Man muss diese Großveranstaltungen nicht ablehnen. Sie könnten aber durchaus von den Menschen kritischer hinterfragt, von den Medien noch stärker gesellschaftspolitisch beleuchtet und möglicherweise auch von den AthletInnen weniger tunnelblickartig betrachtet werden. Dazu halten wir an. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Und was macht der Verein Gesellschaftsspiele? Wir besuchen weiterhin unsere kleineren und größeren Spiele, führen Veranstaltungen zu Fankultur durch oder werkeln an Ferienprogrammen für Geflüchtete.
FK Kauno Žalgiris hat übrigens das Heimspiel gegen Suduva Marijampole mit 0:1 verloren. Mit den sieben Ultras der Siegermannschaft verbrachten wir nach dem Spiel noch einige Stunden in freundschaftlicher Atmosphäre auf dem Parkplatz. Nach Anekdoten und Kaltgetränken ein klares Unentschieden. Gesellschaftsspiele – tackling hard for fair play!