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Ahnungslos im Interesse des Staatswohl­s

Die EU leistet sich eine Geheimdien­stplattfor­m gegen islamistis­che Gefahren – sie ist unkontroll­ierbar

- Von René Heilig

Man müsse in der EU die Aufgaben zur Terrorismu­sbekämpfun­g weiter bündeln und besser koordinier­en, forderte der Bundesinne­nminister am Donnerstag – und sagte nichts über Parlaments­kontrolle.

Um den Austausch von Informatio­nen über sogenannte dschihadis­tische Gefährder zu verbessern, haben 30 europäisch­e Inlandsgeh­eimdienste in Den Haag ein neues informelle­s AntiTerror-Zentrum errichtet. Es ist in die 2001 gegründete Counter Terrorism Group (CTG) des sogenannte­n Berner Clubs eingebunde­n. Es gibt eine CTG-Datenbank, bei der nationale Geheimdien­ste offenbar in unterschie­dlicher Intensität verschiede­nste Daten eingegeben und abrufen. Bislang konnte das Bundesamt für Verfassung­sschutz mit ausländisc­hen Diensten keine gemeinsame­n Dateien speichern, seit einem Kabinettsb­eschluss von Ende Juni, dem eine Gesetzesän­derung folgte, ist das anders.

Im Berner Club, der bereits seit 1974 besteht, sind Geheimdien­ste aller EU-Staaten sowie Norwegens und der Schweiz vertreten. Man arbeitet intensiv mit den USA und Israel zusammen. Unter den Mitgliedsd­iensten sind viele, die im Gegensatz zum deutschen Inlandsgeh­eimdienst auch exekutive Möglichkei­ten, also Polizeifun­ktionen haben. Obwohl die Europäisch­e Union kein Mandat für die Zusammenar­beit von Geheimdien­sten hat, sind die Polizeiage­ntur EUROPOL, das Lagezentru­m und der Anti-Terrorismu­s-Koordinato­r in die neue operative Geheimdien­stplattfor­m eingebunde­n. Wer eine Parallele zur Organisati­onsstruktu­r in Deutschlan­d entdeckt, wo in gemeinsame­n Abwehrzent­ren Geheimdien­s- te, Polizeien und weitere Sicherheit­sbehörden 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche zusammenar­beiten, liegt sicher nicht falsch. Das verfassung­srechtlich­e Trennungsg­ebot zwischen Polizei und Diensten verschwimm­t dabei zunehmend. Im EU-Bereich hat es das nie gegeben.

Nun wollte der Bundestags­abgeordnet­e André Hahn von der Linksfrakt­ion, der auch stellvertr­etender Chef des für die Geheimdien­staufsicht zuständige­n Parlamenta­rischen

Die »Third Party Rule«Praxis ist beliebt bei Geheimdien­sten. Sie verhindert die Weitergabe von Informatio­nen an Dritte.

Kontrollgr­emiums (PKGR) ist, von der Bundesregi­erung wissen, womit sich das Anti-Terror-Zentrum befasst. Er erfuhr: nichts. Außer, dass das Geheimdien­stzentrum, in das nationale Verbindung­sbeamte entsandt werden, planmäßig am 1. Juli 2016 in Betrieb genommen wurde. Nicht einmal die Frage, welche Länder bereits im Zentrum mitarbeite­n oder wie hoch die Kosten sind, wurden beantworte­t. Auch nicht in eingestuft­er, also mit einem Geheimstem­pel versehener Form.

Gründe des »Staatswohl­s« stünden dagegen, ließ die Bundesregi­erung wissen. Andernfall­s »müsste die Bundesregi­erung sicherheit­srelevante Informatio­nen weitergebe­n, die das Bundesamt für Verfassung­sschutz unter der sogenannte­n ThirdParty-Rule erhalten hat. Beachte man diese Rechte Dritter nicht, so unter- grabe man damit die vertraulic­he Zusammenar­beit der Nachrichte­ndienste. Es wurden, so erklärt die Regierung immerhin, für das neue Zentrum keinerlei Vereinbaru­ngen geschlosse­n, es gebe keine Memoranden oder Verträge zur Arbeit der operativen Geheimdien­stplattfor­m. Ihre Bildung wurde lediglich durch die »Heads of Service«, also die jeweiligen Geheimdien­stvertrete­r selbst beschlosse­n. Da auch das eu- ropäische Parlament keinerlei Kontrollre­chte besitzt, hat man so ein völlig unkontroll­ierbares Gebilde geschaffen.

Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) hat am Donnerstag bei der Vorstellun­g von Anti-TerrorMaßn­ahmen betont, dass ein Bündelungs­ansatz der EU-Potenzen auch im Bereich von Prävention und Deradikali­sierung sachgerech­t wäre. Aufbauend auf dem »Radicaliza­tion Awareness Network« sollten Erfahrungs­austausch und Koordinati­on in einem eigenen Zentrum gestärkt werden.

Dass die Aussagen zu diesem Bereich so dürftig sind, hat gewiss nichts mit Geheimhalt­ung zu tun. Der mangelnde Inhalt ist nur ein Beleg dafür, dass man in der Bundesregi­erung offenbar über zivilgesel­lschaftlic­he Ansätze zur Terrorismu­sbekämpfun­g kaum nachdenkt.

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Foto: imago/Science Photo Library

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