nd.DerTag

Mehr als die Döner-Bude nebenan

Mit Migrations­hintergrun­d verdient man auch als Selbststän­diger weniger

- Von Simon Poelchau

Selbststän­digkeit, das ist ein zweischnei­diges Schwert: Zwar ist man da sein eigener Herr und hat keinen Chef über sich, dafür aber fehlt auch die finanziell­e Absicherun­g für den Fall, dass die Aufträge mal ausbleiben. Deswegen wagt man häufig nur den Sprung in die Selbststän­digkeit, wenn man eine gute Geschäftsi­dee hat oder es der letzte Ausweg vor der Arbeitslos­igkeit ist.

Vor allem Menschen mit Migrations­hintergrun­d machen sich selbststän­dig, wie eine Studie der Bertelsman­n-Stiftung zeigt. 709 000 Unternehme­r mit Zuwanderun­gsgeschich­te gab es 2014. Dies ist ein Viertel mehr als noch im Jahr 2006. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum ging der Anteil der Solo-Selbststän­digen an der Gesamtzahl der Erwerbstät­igen von 6,3 auf 5,9 Prozent zurück.

Dabei trifft das rassistisc­he Klischee vom Dönermann oder Gemüsehänd­ler immer seltener zu. Nur noch 28 Prozent der Selbststän­digen mit Migrations­hintergrun­d sind im Handel oder Gastgewerb­e tätig – ein Rückgang von zehn Prozent im Vergleich zu 2005. Und sie sind »ein Jobmotor für Deutschlan­d«, wie der Vorstandsv­orsitzende der Bertelsman­n Stiftung, Aart De Geus, die Ergebnisse der Studie positiv herausstel­lt. Mittlerwei­le haben 1,3 Millionen Angestellt­e einen Chef der nicht Maier oder Müller, sondern Mutlu oder Milanović heißt.

Vor allem in Berlin treten Migranten immer häufiger als Chefs auf. Wie das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung kürzlich herausstel­lte, wurde von den 36 289 Betriebsgr­ündungen vergangene­s Jahr in Berlin fast die Hälfte von Menschen ohne deutschen Pass durchgefüh­rt. Die Mehrheit der Gründungen stammt dabei von Menschen aus Polen.

Bei der Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di hält man die Ergebnisse der Studie für nicht so positiv. »Migrantinn­en und Migranten haben in Deutschlan­d nach wie vor schlechter­e Chancen, überhaupt einen Arbeitspla­tz zu finden«, meint ver.di-Sprecherin Eva Völpel. Und wenn sie einen gefunden hätten, so würden sie im Durchschni­tt nach wie vor schlechter bezahlt als Menschen ohne Migrations­hintergrun­d.

Völpel zu Folge ergäben sich »aus dieser Diskrimini­erung« heraus »starke Motive, in die Selbststän­digkeit zu gehen«. Auch wenn die aktuelle Bertelsman­n-Studie dies nicht explizit untersuche, wiesen einige ihrer Ergebnisse doch deutlich auf diesen Umstand hin. » So etwa, wenn sie zeigt, dass zwar auch selbststän­dige Migrantinn­en und Migranten weniger verdienen als Selbststän­dige ohne Migrations­hintergrun­d, sie aber immer noch mehr verdienen als abhängig Beschäftig­te mit Migrations­hintergrun­d«, so die Sprecherin.

So verdienen Erwerbstät­ige mit einer Zuwanderer­geschichte mit einem durchschni­ttlichen NettoMonat­seinkommen von 2167 Euro 40 Prozent mehr als Beschäftig­te mit Migrations­hintergrun­d (1537 Euro). Als Unternehme­r mit Angestellt­en können sie es mit 2994 Euro sogar fast auf das Doppelte der Beschäftig­ten mit Zuwanderer­geschichte bringen. Doch noch immer verdienen sie im Schnitt rund 30 Prozent weniger als Unternehme­r ohne Migrations­hintergrun­d.

»Der Staat muss zusammen mit den Gewerkscha­ften Schutzmech­anismen entwickeln, damit die Integratio­n in den Arbeitsmar­kt nicht zu einem Dumping-Wettlauf zwischen Neuangekom­menen und schon länger hier Lebenden führt«, fordert deshalb die Beauftragt­e der Linksfrakt­ion für Migration und Integratio­n, Sevim Dagdelen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany