Der Versuch einer Ausstreichung
Erste Ausstellung mit Fotos von Gerda Taro in Leipzig wurde zerstört
Die jüdische Fotografin Gerda Taro war eine Vorreiterin der modernen Kriegsfotografie. In Leipzig, wo sie zeitweilig lebte, ist sie fast unbekannt. Eine Ausstellung wollte das ändern – doch sie wurde zerstört.
Dicke Schichten schwarzer Teerfarbe, deckend aufgetragen: Da hat sich jemand angestrengt. Nur ein schmaler Streifen ganz oben an der Fotoinstallation, die in den vergangenen Wochen in der Straße des 18. Oktober in Leipzig zu sehen war, blieb unbeschädigt. Von den Fotografien Gerda Taros, die auf 21 Tafeln gezeigt und erläutert wurden, ist nichts mehr zu erkennen. »Das ist eine sehr bewusste Ausstreichung«, sagt Jan Wenzel, Kurator des 7. Festivals für Fotografie »f/stop«.
Wenzel wollte eine fast vergessene Ex-Leipzigerin in ihrer zeitweiligen Heimatstadt wieder bekannt machen. Die 1910 in Stuttgart geborene Gerda Taro, die damals noch Pohorylle hieß, kam 1929 an die Pleiße. Vier Jahre später ging die junge Jüdin ins Exil nach Paris, zusammen mit dem Ungarn André Friedmann. In Frankreich hätten sich die beiden Flüchtlinge »neu erfunden«, sagt Wenzel. Sie änderten ihre Namen – aus Friedman wurde Robert Capa, Pohorylle nannte sich fortan Taro –, und sie widmeten sich der Fotografie. Ihre Aufnahmen aus dem Spanischen Bürgerkrieg schrieben Kunstgeschichte und prägen die Bildsprache der modernen Kriegsfotografie bis heute. Beide indes kosteten Kriege auch das Leben: Capa starb 1954 in Indochina, Taro wurde schon am 26. Juli 1937 bei Madrid von einem Panzer überrollt, während die deutsche Legion Condor Bomben abwarf.
In der internationalen Foto-Szene hat Taro einen festen Platz; in Leipzig aber wurde sie bisher mit keiner einzigen Ausstellung gewürdigt. Zwar gibt es unweit der Straße des 18. Oktober auch eine »Tarostraße«, aber »viele wissen nichts über die Namensgeberin«, sagt Wenzel. Das diesjährige Festival »f/stop« wollte das ändern – mit Fotos, die 80 Jahre alt sind und doch brandaktuell wir- ken. Sie zeigen Menschen, die im Spanischen Bürgerkrieg zur Flucht gezwungen wurden; zu sehen sind Fotografien sowie Bildstrecken aus Fotomagazinen, die Taros Bilder druckten. Sie und Capa, sagt Wenzel, hätten erstmals auch diesen Aspekt von Krieg ins Bild gesetzt, und die Art und Weise, wie sie das taten, wirke bis heute nach.
Offenkundig stieß das nicht nur auf großes Interesse, sondern auch auf vehemente Ablehnung. In der Nacht zum 4. August wurde die Installation zerstört. »Das war kein Streich dummer Jungen«, sagt Wenzel; die Organisatoren des Festivals gehen vielmehr von einem politischen Motiv aus. »Mit Teer unkenntlich gemacht wurden Fotografien, die Flüchtlinge zeigen«, heißt es in einer Erklärung; »ausgestrichen werden soll das Andenken an eine jüdische Fotografin«. Die Polizei ermittelt. Beim International Center of Photography (ICP) in New York, das Taros Nachlass verwaltet, sei man über die Attacke »schockiert«, sagt der Kurator des Leipziger Festivals.
Zugleich unterstützt man dort Leipziger Überlegungen, die Installation zu erneuern und die Tafeln an den Ausstellungsort zurückzubringen. »Die Ausstreichung darf nicht der Endpunkt sein«, sagt Wenzel. Allerdings ist das zum einen eine finanzielle Herausforderung: Die Kosten lägen bei 4000 Euro; die ursprüngliche Anfertigung der Installation war über eine CrowdfundingAktion von über 100 Menschen ermöglicht worden. Zudem müsste man darüber nachdenken, wie eine Wiederholung der Attacke ausgeschlossen werden kann. Wenzel hofft, dass eine öffentliche Debatte dazu beiträgt. Der Umgang mit Kunst im öffentlichen Raum, sagt der Kurator, sei schließlich »ein LackmusTest für den Zustand eines Gemeinwesens«.
Gerda Taros Fotos sind 80 Jahre alt – und doch wirken sie brandaktuell.