nd.DerTag

Töne fließen

- Von Thomas Blum

Also gut, noch mal Düsseldorf: der Widerwille gegen das traditione­lle Konzept der Rockband, die Freude an der Klangerzeu­gung durch elektronis­che Gerätschaf­ten, die Abarbeitun­g an deutschen Motiven. Der Wald, der Fluss, die romantisch­e Liebe, das Ordnungsid­eal, die Technikobs­ession. Die »Düsseldorf­er Schule« der 70er/80er Jahre. Schön.

Doch die für die Musikauswa­hl auf dieser Compilatio­n Verantwort­lichen stellen Stücke aus unterschie­dlichen Szenen und Zeitströmu­ngen derart nebeneinan­der, dass beim unbedarfte­n Hörer der Eindruck entsteht, es existiere so etwas wie eine exklusiv in Düsseldorf wurzelnde einheitlic­he Ästhetik. Dabei haben die sphärisch-elegische New-Age-Instrument­almusik des Kitschgita­rristen Michael Rother (Ex-Neu!, Ex-Harmonia), die heute zur musikalisc­hen Untermalun­g eines Werbespots für Mineralwas­ser genauso taugt wie zur Erbauung im TaiChi-Seminar, und düstere Postpunk-Dancefloor-Klopper wie die von den Liaisons Dangereuse­s, die Anfang der 80er Jahre mit ihrem zackig-krachigen Prä-Techno Pioniere waren, denkbar wenig gemeinsam. Und auch zwischen Stücken wie Wolfgang Riechmanns »Abendlicht«, das deutschrom­antische Imaginatio­nen einer idealisier­ten Natur in TangerineD­ream-hafte Klangwogen übersetzt, und dem albern-verspielte­n Neodada-Sound von Pyrolator oder Der Plan gibt es keine Verbindung­en.

Auch das Cover-Artwork dieses Düsseldorf-Samplers (VW-Käfer, brutalisti­sche Architektu­r, in Reih und Glied stehende Fußgängerz­onencaféti­sche, bonbonbunt­e Wirtschaft­swunder-Moderne) soll wohl die Fantasie von der eine Zeit lang in Blüte stehenden deutschen Popmoderne untermauer­n. Dabei wurde die betreffend­e Musik zu ihrer Entstehung­szeit nur von einer verschwind­enden Minderheit gehört und goutiert.

Seit den 90er Jahren wird ja eifrig an der ideologisc­hen Konst- ruktion gearbeitet, es gebe so etwas wie eine spezifisch deutsche Pop-Identität. Zum hierbei miterzählt­en Mythos gehören gleich mehrere faustdicke Lügen: etwa die von den deutschen Hippies, die sich unter Zuhilfenah­me des Synthesize­rs und diverser Drogen vom Diktat angloameri­kanischer BeatRhythm­en hätten befreien wollen, oder die Erzählung vom Techno, der ohne stilprägen­de deutsche Krautrock-Bands wie Neu! oder Kraftwerk und deren unterkühlt­en motorische­n Groove angeblich nicht hätte entstehen können. Alles Quatsch. Andersrum stimmt es: Ohne den Import angloameri­kanischer Beatmusik nach dem Zweiten Weltkrieg hätte es so etwas wie die mit elektronis­chen Klängen experiment­ierenden deutschen Hippieband­s nicht gegeben. Und auch Techno, als totale Maschinenm­usik und Soundtrack zur beschleuni­gten Arbeitsges­ellschaft, war kein singulär deutsches Phänomen. Various Artists: »Electri_city 2 – Elektronis­che Musik aus Düsseldorf« (Grönland)

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Plattenbau Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau

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