Töne fließen
Also gut, noch mal Düsseldorf: der Widerwille gegen das traditionelle Konzept der Rockband, die Freude an der Klangerzeugung durch elektronische Gerätschaften, die Abarbeitung an deutschen Motiven. Der Wald, der Fluss, die romantische Liebe, das Ordnungsideal, die Technikobsession. Die »Düsseldorfer Schule« der 70er/80er Jahre. Schön.
Doch die für die Musikauswahl auf dieser Compilation Verantwortlichen stellen Stücke aus unterschiedlichen Szenen und Zeitströmungen derart nebeneinander, dass beim unbedarften Hörer der Eindruck entsteht, es existiere so etwas wie eine exklusiv in Düsseldorf wurzelnde einheitliche Ästhetik. Dabei haben die sphärisch-elegische New-Age-Instrumentalmusik des Kitschgitarristen Michael Rother (Ex-Neu!, Ex-Harmonia), die heute zur musikalischen Untermalung eines Werbespots für Mineralwasser genauso taugt wie zur Erbauung im TaiChi-Seminar, und düstere Postpunk-Dancefloor-Klopper wie die von den Liaisons Dangereuses, die Anfang der 80er Jahre mit ihrem zackig-krachigen Prä-Techno Pioniere waren, denkbar wenig gemeinsam. Und auch zwischen Stücken wie Wolfgang Riechmanns »Abendlicht«, das deutschromantische Imaginationen einer idealisierten Natur in TangerineDream-hafte Klangwogen übersetzt, und dem albern-verspielten Neodada-Sound von Pyrolator oder Der Plan gibt es keine Verbindungen.
Auch das Cover-Artwork dieses Düsseldorf-Samplers (VW-Käfer, brutalistische Architektur, in Reih und Glied stehende Fußgängerzonencafétische, bonbonbunte Wirtschaftswunder-Moderne) soll wohl die Fantasie von der eine Zeit lang in Blüte stehenden deutschen Popmoderne untermauern. Dabei wurde die betreffende Musik zu ihrer Entstehungszeit nur von einer verschwindenden Minderheit gehört und goutiert.
Seit den 90er Jahren wird ja eifrig an der ideologischen Konst- ruktion gearbeitet, es gebe so etwas wie eine spezifisch deutsche Pop-Identität. Zum hierbei miterzählten Mythos gehören gleich mehrere faustdicke Lügen: etwa die von den deutschen Hippies, die sich unter Zuhilfenahme des Synthesizers und diverser Drogen vom Diktat angloamerikanischer BeatRhythmen hätten befreien wollen, oder die Erzählung vom Techno, der ohne stilprägende deutsche Krautrock-Bands wie Neu! oder Kraftwerk und deren unterkühlten motorischen Groove angeblich nicht hätte entstehen können. Alles Quatsch. Andersrum stimmt es: Ohne den Import angloamerikanischer Beatmusik nach dem Zweiten Weltkrieg hätte es so etwas wie die mit elektronischen Klängen experimentierenden deutschen Hippiebands nicht gegeben. Und auch Techno, als totale Maschinenmusik und Soundtrack zur beschleunigten Arbeitsgesellschaft, war kein singulär deutsches Phänomen. Various Artists: »Electri_city 2 – Elektronische Musik aus Düsseldorf« (Grönland)