Lustvoll und erschreckend
Zu seinem 500. Todestag versuchen fünf Neuerscheinungen das Faszinosum Hieronymus Bosch zu ergründen
Er ist ein Künstler der Zeitenwende vom Mittelalter zur Renaissance, und das Triptychon »Der Garten der Lüste« (um 1503), das den unbestreitbaren Höhepunkt in der großen Jubiläumsausstellung im Prado in Madrid darstellt, ist für seine neue künstlerische Auffassung ein Schlüsselbild. Hieronymus Bosch (eigentlich Jheronimus van Aken), der zeitlebens in ’s-Hertogenbosch in Brabant lebte und hier seine Meisterwerke schuf, führte die Fiktion in die Malerei ein, in der jahrhundertelang nur biblische Glaubenswahrheiten transportiert wurden.
In feinsten Details und intensiven Farben hat der Meister in diesem Triptychon Fabelwesen zwischen Tier und Mensch gemalt, Früchte auf Beinen wandeln lassen oder ätherische Paläste aus gläsernen Röhren gebaut. Bei der Darstellung des Gartens Eden auf dem linken Flügel des »Gartens der Lüste« ist es Christus, nicht Gottvater, der Adam und Eva zusammenführt. Während Eva, die Augen niedergeschlagen, vor Christus kniet, schaut Adam Eva an und erblickt in ihr die sinnliche Welt, was von den mittelalterlichen Theologen als erster Schritt zur Sünde gesehen worden wäre. An dem Verhalten einiger Tiere ist zu erkennen, dass das Böse bereits in der Welt des Paradieses ist.
Für die Mitteltafel gibt es verschiedene Deutung. Haben wir es hier mit einem Land Utopia zu tun, in dem sich Menschen jeder Herkunft friedlich irdischen Wonnen hingeben? Oder soll im Sinne der »verkehrten Welt« das Ideal der scheinbar wohlgeordneten linken Innentafel parodiert werden? Denn die natürlichen Größenverhältnisse, Lebensräume und Barrieren zwischen Mensch, Tier, Pflanze, Gestein und Gegenstand sind hier völlig durcheinandergeraten. Hat sich die gottgegebene Ordnung durch sündhaftes Treiben in Chaos, Überfülle und Beliebigkeit aufgelöst?
Den Höhepunkt der grauenhaftesten Fantasie stellt jedoch die rechte Seitentafel mit der Hölle dar. Die menschlichen Seelen werden auf jede erdenkliche Weise von teuflischen Monstern unter Verwendung unzähliger Folterinstrumente gequält. Das Gesicht des sich umwendenden Baummenschen mit dem Eikörper bleibt ebenso unvergesslich wie der Anblick des auf die Saiten einer Harfe aufgezogenen Mannes. Belehren und Unterhalten, Entsetzen und Erfreuen zugleich sollte der »Garten der Lüste«, der im Saal des Palastes der Nassauer in Brüssel hing, bevor das Werk 1593 in den Escorial, den Privatpalast von König Philipp II., eines der rigorosesten Verfechter des katholischen Glaubens, kam.
Der Prado besitzt Schlüsselwerke des niederländischen Künstlers, den die Spanier El Bosco nennen, und seine große Jubiläumsausstellung, die erst in einer anderen Werkauswahl in ’s-Hertogenbosch zu sehen war, zeigt bis zum 11. September fast das komplette Schaffen des Brabanter Meisters mit Leihgaben aus aller Welt. 21 der 25 Gemälde von Bosch und insgesamt drei Viertel des erhaltenen OEuvres des Künstlers sind zusammengetragen worden.
Eine rätselhafte wie beunruhigende Welt der Sinnestäuschungen, Illusionen und Sünden, der Fabelwesen, Ungeheuer, Dämonen, Engel und Heiligen hat er in einer sehr spezifischen Situation am Vorabend der Reformation kreiert. Verfremdungen der Dingwelt, Höllenfahrten, Hexentreiben und Satanskult, hedonistische Gegenparadiese und verkehrte Welten lösen einander ab. Lustvoll oszillieren seine grotesk-realistischen Bildwelten zwischen Sinn und Sinnlichkeit, Humor und Schrecken, Hohngelächter und Höllenangst, Verwirrung und Irritation.
Der Moralist erweist sich als Moralsatiriker. Zwei-, ja Vieldeutigkeit ist seine Malstrategie. Bosch zeigt das Walten des Bösen in der Natur und im Menschen, schlüpft in eine Rolle, vergleichbar Erasmus von Rotterdam, bei dem der Narr Wahrheiten verkündet, die sonst nicht ausgesprochen werden konnten.
Seit 2010 war das Bosch Research and Conservation Project mit einer groß angelegten internationalen kunsthistorischen Untersuchung der Werke Boschs als Vorbereitung auf die Jubiläumsausstellungen in ’sHertogenbosch und Madrid beschäftigt. Mit modernsten Geräten wurden allerlei verborgene Schichten in seinen Werken entdeckt. Diese Ent- deckungen machen einen wichtigen Teil der Ausstellungen aus und werden im Katalog akribisch erklärt. Zugleich kamen die Experten zu spektakulären Zu- und Aberkennungen. Nach neuesten Erkenntnissen wären wohl die Genter »Kreuztragung« und die »Sieben Todsünden« aus dem Prado aus dem OEuvre Boschs zu streichen, dafür sind ihm definitiv »Das Jüngste Gericht« aus Brügge und andere Werke zugewiesen worden. Aber damit ist noch nicht das letzte Wort gesprochen, und eigentlich kümmert sich das Publikum, das zu Bosch strömt, wenig um diesen Expertenstreit.
Eine nicht unwesentliche Ergänzung der Madrider Blockbusterschau gibt das Bucerius Kunst Forum Hamburg mit der Ausstellung »Verkehrte Welt. Das Jahrhundert von Hieronymus Bosch«, die ebenfalls bis zum 11. September zu sehen ist und zu der es ebenso einen Begleitband gibt. Die nach Entwürfen von Hieronymus Bosch oder Pieter Bruegel d. Ä., dem wichtigsten Künstler der folgenden Generation, geschaffenen Kupferstiche des 16. Jahrhunderts richten die moralisierenden Szenen auf das Diesseits, wandeln die erschreckenden Mischwesen zu unterhaltsamen Grotesken.
Der Kunsthistoriker und BoschSpezialist Stefan Fischer präsentiert nicht nur einen großen Bildband mit sämtlichen Bosch-Werken in ganzseitigen Reproduktionen und zahlreichen Detailvergrößerungen sowie einer über ein Meter lange Falttafel des »Gartens der Lüste«, sondern er fertigte dazu auch eine umfassende Studie an: »Im Irrgarten der Bilder«. Aus Archiven und zeitgenössischen Quellen hat er eine neue Darstellung erarbeitet, die einlädt, den Menschen und Künstler Bosch mit seiner religiösen Geisteshaltung, aber auch mit seinem Witz und seiner Kreativität zu entdecken. Seine Interpretationen bestechen durch die Darstellung der vielfältigen Bezüge von Boschs eigenwilliger Fantasiewelt zu kulturellen und politischen Vorstellungen im Zeitalter der Entdeckungen und des Humanismus. Sein Buch ist eine Anleitung zum eigenen Sehen, Erkennen und Verstehen – ein Führer durch Boschs fantastische Bilder.
Zu seiner Kunst hat sich Bosch nie geäußert. Er hat gemalt. Wie hat er gedacht, dieser Meister der frühen Neuzeit? Der niederländische Schriftsteller Cees Nooteboom, dem das Werk Boschs seit seinem 21. Lebensjahr bekannt ist, reiste als 82Jähriger im Auftrag des Prado sieben Bildern hinterher, nach Lissabon, Gent, Rotterdam, Madrid und ’s-Hertogenbosch und suchte sich auf sehr eigenwillige, persönliche Weise einzulassen auf das große Rätsel Bosch. Dessen originelle Bildschöpfungen und Nootebooms glänzend geschriebener, kunstsinniger Text verbinden sich zu einer herausragenden Gemeinschaftsleistung.
Den einzigen Schlüssel zu dem Mann mit der überbordenden Fantasie bieten die »Reisen zu Hieronymus Bosch« dann jedoch nicht, »es sei denn, die Lösung sei nun gerade das Rätsel selbst, und das einzige Rezept, sich ihm auszuliefern«. Gerade diese Rätselhaftigkeit, seine Unergründlichkeit machen den Meister aus ’sHertogenbosch so modern und fordern immer wieder zur Auseinandersetzung mit seinem Werk heraus. Matthijs Ilsink/Jos Koldeweij (Hrsg.): Hieronymus Bosch. Visionen eines Genies. Hg. vom Het Noordbrabants Museum ’s-Hertogenbosch. Belser. 190 S., geb., 24,99 €. Michael Philipp/Franz Wilhelm Kaiser (Hg.): Verkehrte Welt. Das Jahrhundert von Hieronymus Bosch. Hirmer. 240 S., geb., 39,90 €. Stefan Fischer: Im Irrgarten der Bilder. Die Welt des Hieronymus Bosch. Philipp Reclam jun. 236 S., geb., 34,95 €. Cees Nooteboom: Reisen zu Hieronymus Bosch. Eine düstere Vorahnung. Schirmer/Mosel. 80 S., geb., 29,80 €. El Bosco. Katalog des Prado, Madrid. Spanisch/Englisch. 400 S. geb., 33,25 €.
Zu seiner Kunst hat sich Bosch nie geäußert. Er hat gemalt.