Allein gegen die Welt
Den russischen Athleten begegnet in Rio vielerorts Feindseligkeit, sie reagieren trotzig
Während russische Athleten vorgeben, Kraft aus der Ablehnung gegen sie zu ziehen, inszenieren russische Journalisten russische Erfolge als Heldentaten unter erschwerten Bedingungen. Die Welt ist kompliziert. Und wo sollte sich das besser zeigen, als bei einem Weltsportfest wie Olympia? Als am Mittwochabend die russischen Volleyballerinnen im Maracazinho ihr Gruppenspiel gegen Kamerun absolvierten, kam ausgerechnet dem Hallen-DJ eine wichtige Rolle beim Erhalt des olympischen Spirits zu.
Wenig überraschend galt die Sympathie der brasilianischen Fans von Beginn an dem Dritten der Afrikameisterschaft und nicht den Europameisterinnen, die hier die lange Kette von Goldmedaillengewinnen für russische und vor allem sowjetische Volleyballerinnen fortsetzen wollen. David gegen Goliath – hier entscheiden sich Unbeteiligte zumeist für den Außenseiter.
Und da die Kamerunerinnen, die bis dahin in diesem Turnier noch keinen einzigen Satz gewonnen hatten, den Russinnen mit einem soliden Block und einem überraschend variablen Angriffspiel viel mehr Mühe als erwartet machten, gerieten die 6500 im »Maracana-chen« ziemlich schnell aus dem Häuschen.
Hier kam nun der Hallen-DJ ins Spiel. Bei jedem Aufschlag der Russinnen mühte er sich Musikeinspielungen möglichst lange laufen zu lassen: Die dröhnenden Hits sollten vor allem das Gebuhe übertönen, das immer wieder anhob, wenn die Weltklassespielerinnen aus Moskau, Kasan und Krasnodar den Ball ins Spiel brachten. Regelmäßig appellierte der Sprecher an den olympischen Geist und die Fairness, allein die Zuschauer ließen sich nicht beeindrucken und pfiffen und buhten weiter. Die Russinnen hingegen zeigten sich beeindruckt, immer wieder unterliefen ihnen Fehler, am Ende beendeten sie die Partie aber noch mit dem erwarteten klaren Ergebnis: 25:19, 25:22 und 25:23. Freudig winkten Sie den russischen Fans zu, von denen an den olympischen Sportstätten etliche anzutreffen sind, dann verschwanden sie gen Umkleidekabine.
Außenangreiferin Jana Schtscherban sagte, sie nehme das Ganze gelassen: »So was macht uns wütend, aber am Ende nur stärker«, erzählte sie nach dem Spiel. »Ich weiß nicht, ob das Buhen gegen uns als Favoritinnen gerichtet war, oder eher gegen Russland als Sportnation. Und es ist mir auch egal. Wir sind eine Mannschaft und halten zusammen.« Die Antipathie, die den fast 277 Athleten des Teams Rossija an vielen Wettkampfstätten entgegenschlägt, habe alle noch enger zusammenrücken lassen, sagt die Volleyballerin. Und zumindest im Olympischen Dorf sei von antirussischer Stimmung nichts zu spüren.
In Schtscherbas Heimat werden die Medaillen gefeiert. Von den Erfolgen berichtet im Staatsfernsehen Olga Skabejewa, die in Deutschland für ihr Interview mit ARD-Dopingaufklärer Hajo Seppelt bekannt wurde, in dem sich Seppelt dazu hinrei- ßen ließ, die Journalistin recht barsch aus seinem Hotelzimmer zu bugsieren. Skabejewa ist keine Sportjournalistin, normalerweise übernimmt sie die politische Berichterstattung, unter anderem auch über den Ukraine-Krieg – was ange- sichts der aktuellen militärischen Muskelspiele an der Krim gut passt. Die Berichte von Olympia erinnern an Kriegsberichterstattung: Jeder Medaillengewinn wird als eine Heldentat unter erschwerten Bedingungen inszeniert.
Wir gegen den Rest der Welt, so ist die Stimmung: Auf einem großen russischen Internetportal beschrieb ein Reporter, wie er zwei deutsche Kollegen, die ihn am Samstag nach dem Ziel des Straßenrennens gefragt hatten, bewusst den falschen Weg wies. »Ich lächele und zeige in die gegenteilige Richtung, weil sie dann mindestens eine Stunde brauchen, um zurückzukommen.« Weil: Das sind ja die Deutschen, die hinter den Enthüllungen stecken und die die Ergebnisse der Russen ignorieren wollen.
Die Untersuchung, in der die WADA Russland systematisches Doping nachgewiesen hat, wird in Russland als geopolitisches Komplott angesehen. »Aus meiner Sicht sollten wir unter solchen Bedingungen dorthin überhaupt nicht fahren, wir sollten uns gar nicht entschuldigen«, forderte der beliebte Sänger Jurij Losa publikumswirksam.
Die Sportler der anderen Nationen schwanken zwischen Genervtsein und klarer Ablehnung. Kristina Vogel, in Russland geborene BahnradWeltmeisterin aus Erfurt, hat beispielsweise keine Lust mehr auf die Frage, was sie denke, wenn eine russische Kollegin sie überhole: »Habt Ihr denn überhaupt kein anderes Thema mehr?« Die britische Straßenradfahrerin Emma Pooley andererseits verspürte wenig Drang, der Silbermedaillengewinnerin des Olympischen Zeitfahrens, Olga Zabelinskaja, zu gratulieren. »Sie sollte nicht hier sein«, sagte Pooley über die russische Konkurrentin mit der Dopingvergangenheit.
Die Trutzburg der russischen Fans in Rio ist das Russische Haus, das im elitären Club dos Marimbás beheimatet ist – direkt im Forte de Copacabana, einem Militärfort zwischen Copacabana und Ipanema. In feinster Strandlage von Rio de Janeiro feiern die zahlreich vertretenen Russen des Abends bei Baltika-Bier und Wodka die Medaillen des Tages. Gazprom sponsort das Haus, ebenso der Flugzeughersteller Suchoi, der einen begehbaren Innenraum eines Modells installiert hat: Ein Sportjet mit Massagesitzen und Fitnessgeräten.
Jeden Abend erscheinen die russischen Medaillengewinner auf der Bühne und lassen sich unter den Klängen der Nationalhymne feiern, unten applaudieren Fans in RossijaTrainingsanzügen. Hier ist die Welt noch in Ordnung.