Reden ist Gold
Wie sollen Linke mit denen umgehen, die die Demokratie attackieren?
Herrlich, wie er rhetorisch losjagt. Dramatisch, wie er sich argumentativ steigert. Und sehr geschickt, wie er polito-logisch systematisiert. Das ist schon eine Kunst: Weltprozesse in ein bisschen System zu zwingen, ohne dass sich ein Gefühl für deren Verknäuelungskraft verliert. Albrecht von Lucke, politischer Publizist bei den »Blättern für deutsche und internationale Politik«, sprach (flammte!) über »Demokratie in Deutschland – was jetzt auf dem Spiel steht«. Einer der Beiträge auf der zweieinhalbtägigen Veranstaltung »Machtlose Politik und missmutige Bürger« im Evangelischen Tagungszentrum des hochfränkischen Bad Alexandersbad.
Lucke spricht angesichts der gegenwärtigen Verhältnisse von Flüchtlingskrise und AfD von einer »Identitätsschwäche« in der Gesellschaft. Zu lange habe sich der Glaube gehalten, die westdeutsche Demokratie laufe von selbst. Die Folge: »Vergleichgültigung und Abschlaffen im selbstverständlichen Materialismus«. Drei internationale Einschnitte seien für den »Loyalitätsbruch«, für den jetzt so gewaltigen Unsicherheits- und Verdruss-Boom entscheidend gewesen. Da war der 11. September 2001, der dem speziell deutschgeschichtlichen Signum »Die Mörder sind unter uns« eine neue Färbung gab: Der Terrorist ist möglicherweise der Nachbar, der Mitfahrer, der Passant neben uns. Zum zweiten gab es die Finanzkrise 2008 und drittens die Eurokrise mit ihrem griechischen Exempel, »in dem sich die Bundesregierung völlig falsch verhielt«.
Nun schicke die kriegerische Globalisierung uns mit den Flüchtlingen aus den Unglücksorten der Welt ihre »bedrängenden, uns prüfenden Körperschaften«, so Lucke, und im Zusammenhang mit einer »chaotisierenden Internationale« des besagten Terrors (und seiner Gegen-Armeen) sei die Demokratie in einer ernsthaften Bewährungsprobe. War in Deutschland die Bewegung der Achtundsechziger (bei allem antidemokratischem Geist) eine Systemkritik von links, so vollziehe sich jetzt »(bei uns quasi unter Führung Seehofers) eine Systemkritik von rechts«. Es droht eine »autoritäre Internationale«: Figuren wie Putin, Erdogan, Orban, Le Pen etablieren sich als Alternative gegen die angebliche »parlamentarische Dekadenz«.
Der katholische Theologe Frank Richter, als Gründer der »Dresdner Gruppe 20« einer der Vorbereiter der friedlichen Revolution 1989, fragte nach der »Freiheit der Rede auch für die Feinde der Freiheit«. Richter, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung in Dresden, seit Jahren im Dialog mit erregten Bürgern und gestressten Politikern der Region, erzählt von der schwierigen Moderation zwischen Willkommenskultur und Fremdenabwehr, zwischen Menschen, die sich sorgend den Flüchtlingen zuneigen, und denen, die besorgt und borniert abblocken. Erzählung eines katholischen Theologen, der seinem Lebensgrund auch inmitten von Hass, Häme, Drohungen treu bleibt: »Ich will nicht bitter, hart, zynisch werden.«
Es nütze nichts, wenn das politische Milieu der Aufrechten und Solidarischen nur sich selber bestätige, sich nach der Devise abschotte, es gelte hauptsächlich »die Frommen noch frommer zu machen«. Richter und seine Leute haben vieles hinter sich, den Spießrutenlauf, die Beschimpfung als »Pegida-Versteher« und die Erfahrung, angespuckt zu werden, aber: »Außer denen, die fest in totalitären Denkstrukturen stecken, gibt es die schwankende Mitte – wer mag entscheiden, wo ein Gespräch Früchte trägt oder nicht. Es gibt in der Politik auch gute Entscheidungen, aber in einer komplizierten Situation fast nie die einzig richtige.«
Politik als Freiheit – nicht gemeint als Fähigkeit und Privileg des Einzelnen, sondern als eine Form des Miteinander-Seins und der damit verbundenen Konflikte, und zwar am Ort eigener sozialer Erfahrungen. »Dort, wo wir leben«, sagt die Feministin und Journalistin Antje Schrupp aus Frankfurt am Main, »findet die erste Politik statt«. Machtlose Politik, missmutige Bürger – so stand es als Bestandsaufnahme-Slogan an der Wand hinter ihrem Pult. Wie kommt man da noch ins Gespräch? »Spannungsfelder zusammendenken«, das mahnte der Pädagogikwissenschaftler Christian Boeser-Schnebel an und verwies auf die Überwindungskraft, die das kosten kann. Erstes Gebot des Gesprächs aber bleibe: zuhören!, und noch im harschesten Wort gegen einen politischen Gegner so ausdau- ernd wie möglich mitschwingen lassen: Du bist es mir wert, dass ich mit dir streite.
Eine Demokratie, so Tagungsleiter Friedrich Schorlemmer, erweise sich auch in der immer wieder zitternden Erinnerung daran, dass sie sich aus Tragödien ins Tragfähige rettete, aus Fesseln in die Freiheit, aus Gespenstischem ins Geltende, aus Vernichtung ins Lebendige. Schwerstarbeit. Im Mühen unserer Gattung, das idealisierte Menschenbild der Aufklärung durch herzlose Zeiten zu retten, macht sich so auch immer Erschöpfung breit. Die Lösung? Nicht in Sicht. Insofern war die Tagung auf spezielle Weise ehrlich: Sie bekannte sich, auch mit Spuren der Traurigkeit, zur Erschütterung über die Lage – ohne sofort mit Begriffen wie Utopie, Zusammenschluss, Kräfteballung zu hantieren. Oder gar pauschal im Antiwestlichen zu schwelgen.
Albrecht von Lucke warnte davor, sich in Auseinandersetzung mit Terror und Fremdenhass »die Diktionen des Kriegerischen zu eigen zu machen« und selber grob zu werden im Blick auf andere und jene »schöne, reiche Welt, zu der auch Deutschland gehört«. Deutschland und seine Demokratie. Die wird nicht anders können, als weiter arbeitend ihrer Freiheit nachzukommen wie einer hohen, aber doch immer umfehdeten Aufgabe. Immer hat (leider) zusammenzuwachsen, was nicht zusammen will. Und doch gemeinsam losstiefeln muss. Wie Wolfgang Mattheuers Bronze »Jahrhundertschritt«, der Mensch, eine Hand zum Nazigruß erhoben, die andere zur Faust geballt. Unerträglich. Unerträglich wahr. »Kommunikation mit denen, die die Demokratie attackieren, kann schiefgehen«, so Frank Richter, »Nichtkommunikation wird schiefgehen.«
Es nützt nichts, wenn das politische Milieu der Aufrechten und Solidarischen nur sich selber bestätigt, sich nach der Devise abschottet, es gelte hauptsächlich »die Frommen noch frommer zu machen«.