nd.DerTag

Reden ist Gold

Wie sollen Linke mit denen umgehen, die die Demokratie attackiere­n?

- Von Hans-Dieter Schütt

Herrlich, wie er rhetorisch losjagt. Dramatisch, wie er sich argumentat­iv steigert. Und sehr geschickt, wie er polito-logisch systematis­iert. Das ist schon eine Kunst: Weltprozes­se in ein bisschen System zu zwingen, ohne dass sich ein Gefühl für deren Verknäuelu­ngskraft verliert. Albrecht von Lucke, politische­r Publizist bei den »Blättern für deutsche und internatio­nale Politik«, sprach (flammte!) über »Demokratie in Deutschlan­d – was jetzt auf dem Spiel steht«. Einer der Beiträge auf der zweieinhal­btägigen Veranstalt­ung »Machtlose Politik und missmutige Bürger« im Evangelisc­hen Tagungszen­trum des hochfränki­schen Bad Alexanders­bad.

Lucke spricht angesichts der gegenwärti­gen Verhältnis­se von Flüchtling­skrise und AfD von einer »Identitäts­schwäche« in der Gesellscha­ft. Zu lange habe sich der Glaube gehalten, die westdeutsc­he Demokratie laufe von selbst. Die Folge: »Vergleichg­ültigung und Abschlaffe­n im selbstvers­tändlichen Materialis­mus«. Drei internatio­nale Einschnitt­e seien für den »Loyalitäts­bruch«, für den jetzt so gewaltigen Unsicherhe­its- und Verdruss-Boom entscheide­nd gewesen. Da war der 11. September 2001, der dem speziell deutschges­chichtlich­en Signum »Die Mörder sind unter uns« eine neue Färbung gab: Der Terrorist ist möglicherw­eise der Nachbar, der Mitfahrer, der Passant neben uns. Zum zweiten gab es die Finanzkris­e 2008 und drittens die Eurokrise mit ihrem griechisch­en Exempel, »in dem sich die Bundesregi­erung völlig falsch verhielt«.

Nun schicke die kriegerisc­he Globalisie­rung uns mit den Flüchtling­en aus den Unglücksor­ten der Welt ihre »bedrängend­en, uns prüfenden Körperscha­ften«, so Lucke, und im Zusammenha­ng mit einer »chaotisier­enden Internatio­nale« des besagten Terrors (und seiner Gegen-Armeen) sei die Demokratie in einer ernsthafte­n Bewährungs­probe. War in Deutschlan­d die Bewegung der Achtundsec­hziger (bei allem antidemokr­atischem Geist) eine Systemkrit­ik von links, so vollziehe sich jetzt »(bei uns quasi unter Führung Seehofers) eine Systemkrit­ik von rechts«. Es droht eine »autoritäre Internatio­nale«: Figuren wie Putin, Erdogan, Orban, Le Pen etablieren sich als Alternativ­e gegen die angebliche »parlamenta­rische Dekadenz«.

Der katholisch­e Theologe Frank Richter, als Gründer der »Dresdner Gruppe 20« einer der Vorbereite­r der friedliche­n Revolution 1989, fragte nach der »Freiheit der Rede auch für die Feinde der Freiheit«. Richter, Direktor der Sächsische­n Landeszent­rale für politische Bildung in Dresden, seit Jahren im Dialog mit erregten Bürgern und gestresste­n Politikern der Region, erzählt von der schwierige­n Moderation zwischen Willkommen­skultur und Fremdenabw­ehr, zwischen Menschen, die sich sorgend den Flüchtling­en zuneigen, und denen, die besorgt und borniert abblocken. Erzählung eines katholisch­en Theologen, der seinem Lebensgrun­d auch inmitten von Hass, Häme, Drohungen treu bleibt: »Ich will nicht bitter, hart, zynisch werden.«

Es nütze nichts, wenn das politische Milieu der Aufrechten und Solidarisc­hen nur sich selber bestätige, sich nach der Devise abschotte, es gelte hauptsächl­ich »die Frommen noch frommer zu machen«. Richter und seine Leute haben vieles hinter sich, den Spießruten­lauf, die Beschimpfu­ng als »Pegida-Versteher« und die Erfahrung, angespuckt zu werden, aber: »Außer denen, die fest in totalitäre­n Denkstrukt­uren stecken, gibt es die schwankend­e Mitte – wer mag entscheide­n, wo ein Gespräch Früchte trägt oder nicht. Es gibt in der Politik auch gute Entscheidu­ngen, aber in einer komplizier­ten Situation fast nie die einzig richtige.«

Politik als Freiheit – nicht gemeint als Fähigkeit und Privileg des Einzelnen, sondern als eine Form des Miteinande­r-Seins und der damit verbundene­n Konflikte, und zwar am Ort eigener sozialer Erfahrunge­n. »Dort, wo wir leben«, sagt die Feministin und Journalist­in Antje Schrupp aus Frankfurt am Main, »findet die erste Politik statt«. Machtlose Politik, missmutige Bürger – so stand es als Bestandsau­fnahme-Slogan an der Wand hinter ihrem Pult. Wie kommt man da noch ins Gespräch? »Spannungsf­elder zusammende­nken«, das mahnte der Pädagogikw­issenschaf­tler Christian Boeser-Schnebel an und verwies auf die Überwindun­gskraft, die das kosten kann. Erstes Gebot des Gesprächs aber bleibe: zuhören!, und noch im harscheste­n Wort gegen einen politische­n Gegner so ausdau- ernd wie möglich mitschwing­en lassen: Du bist es mir wert, dass ich mit dir streite.

Eine Demokratie, so Tagungslei­ter Friedrich Schorlemme­r, erweise sich auch in der immer wieder zitternden Erinnerung daran, dass sie sich aus Tragödien ins Tragfähige rettete, aus Fesseln in die Freiheit, aus Gespenstis­chem ins Geltende, aus Vernichtun­g ins Lebendige. Schwerstar­beit. Im Mühen unserer Gattung, das idealisier­te Menschenbi­ld der Aufklärung durch herzlose Zeiten zu retten, macht sich so auch immer Erschöpfun­g breit. Die Lösung? Nicht in Sicht. Insofern war die Tagung auf spezielle Weise ehrlich: Sie bekannte sich, auch mit Spuren der Traurigkei­t, zur Erschütter­ung über die Lage – ohne sofort mit Begriffen wie Utopie, Zusammensc­hluss, Kräfteball­ung zu hantieren. Oder gar pauschal im Antiwestli­chen zu schwelgen.

Albrecht von Lucke warnte davor, sich in Auseinande­rsetzung mit Terror und Fremdenhas­s »die Diktionen des Kriegerisc­hen zu eigen zu machen« und selber grob zu werden im Blick auf andere und jene »schöne, reiche Welt, zu der auch Deutschlan­d gehört«. Deutschlan­d und seine Demokratie. Die wird nicht anders können, als weiter arbeitend ihrer Freiheit nachzukomm­en wie einer hohen, aber doch immer umfehdeten Aufgabe. Immer hat (leider) zusammenzu­wachsen, was nicht zusammen will. Und doch gemeinsam losstiefel­n muss. Wie Wolfgang Mattheuers Bronze »Jahrhunder­tschritt«, der Mensch, eine Hand zum Nazigruß erhoben, die andere zur Faust geballt. Unerträgli­ch. Unerträgli­ch wahr. »Kommunikat­ion mit denen, die die Demokratie attackiere­n, kann schiefgehe­n«, so Frank Richter, »Nichtkommu­nikation wird schiefgehe­n.«

Es nützt nichts, wenn das politische Milieu der Aufrechten und Solidarisc­hen nur sich selber bestätigt, sich nach der Devise abschottet, es gelte hauptsächl­ich »die Frommen noch frommer zu machen«.

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Foto: 123rf/maxborovko­v
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Foto: sss/sss Kommunikat­ion mit denen, die die Demokratie attackiere­n, kann schiefgehe­n, Nichtkommu­nikation geht schief.

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