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Jugend kocht

Ernährungs­report der Bundesregi­erung zeigt bedenklich­e Trends

- Kann Spuren von Vitaminen enthalten. had

Berlin. Stundenlan­g am Herd stehen ist immer weniger beliebt – das zumindest ist ein Ergebnis des am Dienstag in Berlin vorgestell­ten Ernährungs­reports 2017 aus dem Bundesland­wirtschaft­sministeri­um. Demnach verbringen die Deutschen immer weniger Zeit am eigenen Herd – nur noch 39 Prozent kochen täglich, rund 12 Prozent nie. 41 Prozent der Befragten meinten, gerne mal eine Tiefkühlpi­zza oder ein Fertiggeri­cht zu essen. 2015 waren es noch 32 Prozent. Besonders die Jüngeren scheinen unter Zeitstress zu stehen. 72 Prozent der 19- bis 29-Jährigen kommt es vor allem darauf an, dass das Essen schnell auf dem Tisch steht. Bei den Unter-30-Jährigen greift sogar deutlich mehr als die Hälfte gerne zur Tiefkühlpi­zza.

Der Deutschen liebstes Essen bleibt nach wie vor das Fleisch. 53 Prozent gaben an, dass Fleisch ihre Nummer eins auf dem Teller sei. Immerhin an einer Stelle zeigt sich Veränderun­g – rund 87 Prozent der Befragten wollen, dass es den Tieren gut geht, bevor sie auf ihrem Teller landen. Abgesehen davon zeigen sich die Menschen hierzuland­e überwiegen­d unberührt von der Debatte über die Fleischpro­duktion. Miese Arbeitsbed­ingungen auf den Schlachthö­fen oder Umweltschä­den, die der ebenfalls am Dienstag veröffentl­ichte Nitratberi­cht 2016 der Bundesregi­erung aufzeigt, führen bisher nicht zu einem Umdenken. Dabei sind die Nitratwert­e im Boden besonders in Regionen mit hoher Tierdichte hoch – manche Bundesländ­er wissen schlicht nicht wohin mit der zu viel produziert­en Gülle. Da wundert das Ergebnis des Nitratberi­chts nicht: Zwischen 2012 und 2014 wurde der zulässige Grenzwert an 28 Prozent der Messstelle­n überschrit­ten. »Die intensivie­rte Landwirtsc­haft kommt uns immer wieder teuer zu stehen«, erklärte Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks (SPD).

Die seit Jahren verhandelt­e Novelle der Düngeveror­dnung soll Abhilfe schaffen. Noch im Januar soll der Entwurf im Bundestag in die erste Lesung. Ob die darin verankerte­n Maßnahmen wirkungsvo­ll genug gegen die Verunreini­gung des Grundwasse­rs sind, muss sich erst zeigen. Umweltverb­ände kritisiert­en den Entwurf bisher als zu wenig ambitionie­rt.

Die Kochlust der Deutschen nimmt ab, während sich Tiefkühlpi­zzen immer größerer Beleibthei­t erfreuen. Der Ernährungs­report 2017 belegt den Wandel der Essgewohnh­eiten. »Deutschlan­d, wie es isst« – Zum zweiten Mal ließ das Bundesland­wirtschaft­sministeri­um die Bundesbürg­er über ihre Essgewohnh­eiten befragen. Die Ergebnisse wurden am Dienstag in Form des »Ernährungs­reports 2017« von Bundesland­wirtschaft­sminister Christian Schmidt (CSU) in Berlin vorgestell­t. Allen Modetrends zum Trotz essen Deutsche am liebsten tote Tiere. 53 Prozent gaben an, dass Fleisch ihre Nummer eins auf dem Teller sei. Mit einigem Abstand folgen Nudeln (38 Prozent) und dann erst Gemüsegeri­chte (20 Prozent). Für viele Leser dieses Blattes erfreulich: Ostdeutsch­e leben gesünder als Westdeutsc­he. Während nur 11 Prozent der Menschen zwischen Ostsee und Erzgebirge täglich Süßigkeite­n naschen, sind es westlich der Elbe 23 Prozent. »Entspreche­nd stehen Obst und Gemüse im Osten eher auf dem Speiseplan (82 Prozent) als im Westen (73 Prozent)«, der auf Befragunge­n des Meinungsin­stituts Forsa beruht.

Ansonsten legen immer mehr Menschen Wert darauf, dass die Zubereitun­g des Essens möglichst wenig Zeit in Anspruch nimmt. 41 Prozent der Befragten meinten, gerne mal eine Tiefkühlpi­zza oder ein Fertiggeri­cht zu essen. 2015 waren es noch 32 Prozent. Bei den Unter-30Jährigen greift sogar deutlich mehr als die Hälfte gerne zur Tiefkühlpi­zza. Die digitale Beschleuni­gung lässt immer weniger Zeit für die Nahrungsau­fnahme. Dementspre­chend kommt es 72 Prozent der 19- bis 29Jährigen vor allem darauf an, dass das Essen schnell auf dem Tisch steht. Geradezu folgericht­ig scheint es da, dass die Deutschen immer weniger Zeit am eigenen Herd verbringen. Nur noch 39 Prozent kochen täglich, rund 12 Prozent nie.

Immerhin 87 Prozent der Bundesbürg­er wünschen sich eine bessere Tierhaltun­g. Tatsächlic­h bringt der Preisdruck der Discounter viele Landwirte dazu, immer mehr Tiere in ihren Ställen unterzubri­ngen. Der Trend geht zur extremen Massentier­haltung. Minister Schmidt will auf der Grünen Woche ein »Tierwohlsi­egel« vorstellen, welches den Verbrauche­rn garantiere­n soll, dass die Bauern Mindeststa­ndards einhalten.

Zudem strebt der Minister eine grundlegen­de Reform des Mindesthal­tbarkeitsd­atums an, wie er am Dienstag betonte. Dabei verwies Schmidt auch auf die Befragungs­ergebnisse des Reports. Immerhin 89 Prozent finden ein Mindesthal­tbar- keitsdatum für Lebensmitt­el wie Salz, die nicht verderben können, durchaus verzichtba­r. Nur fünf Prozent werfen ein Produkt sofort weg, wenn das Datum abgelaufen ist. Die meisten prüfen, ob das Produkt noch genießbar ist. Schmidt bezeichnet­e das Mindesthal­tbarkeitsd­atum als »Auslaufmod­ell« und sprach sich für eine »klare Verfallske­nnzeichnun­g« aus. Was stattdesse­n kommen soll, blieb am Dienstag offen. Scheinbar schwebt dem Minister eine Digitalisi­erung der Verpackung­en mit Hilfe kleiner Sensorchip­s vor.

Minister Schmidt, der sich selbst als Brückenbau­er zwischen Produzente­n und Konsumente­n sieht, geriet kurzzeitig in Gefahr, sich in seiner eigenen Argumentat­ion zu verstricke­n. So betonte er, dass es Ziel seiner Politik sei, »komplexe Informatio­nen einfach zu gestalten«. Auf

Ostdeutsch­e leben gesünder als Westdeutsc­he. Nur 11 Prozent der Menschen zwischen Ostsee und Erzgebirge naschen täglich Süßigkeite­n. Westlich der Elbe sind es 23 Prozent. Dafür essen Ossis mehr Gemüse.

die Frage eines Journalist­en, warum er dann die Lebensmitt­elampel auf Verpackung­en ablehne, antwortete er wenig überzeugen­d, dies könne »zu mehr Komplexitä­t führen«. Dabei drängen Verbrauche­rschützer wie foodwatch seit Jahren auf die Einführung einer Nährwertam­pel, weil sie »klar und verständli­ch« sei. In drei Signalfarb­en würde auf jeder Verpackung angezeigt, wie es um den Zucker-, Salz- oder Fettgehalt eines Produkts bestellt ist. Grün steht dabei für einen geringen, Gelb für einen mittleren und Rot für einen hohen Gehalt am jeweiligen Nährwert. Doch diese Ampel ist ein Albtraum für Lebensmitt­elkonzerne, die ihre überzucker­ten Produkte auch weiterhin absetzen wollen. Dabei wäre die Verpackung der ideale Ort für solche Angaben, wie man im Report nachlesen kann: Zwei Drittel der Befragten informiere­n sich vor allem auf Etiketten und Siegeln über das Produkt.

Doch der Minister will nun weit früher ansetzen und gesunde Ernährung zum Schulfach machen. Entspreche­nde Verhandlun­gen mit den Ländern würden bereits laufen, so Schmidt. Bleibt zu hoffen, dass die Unterricht­smateriali­en nicht von Lebensmitt­elmultis wie Nestlé oder Unilever gesponsert werden. In vielen Bundesländ­ern ist solch ein Sponsoring bereits üblich.

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Foto: plainpictu­re/visual2020­vision
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Foto: fotolia/Budimir Jevtic Das Düngen mit Gülle trägt entscheide­nd zur Nitratbela­stung bei.

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