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Wozu Jules Verne die Fantasie fehlte

Unbemannte Flugkörper bekommt man inzwischen im Spielzeugl­aden. Ihre großen Vorbilder, die Drohnen, werden von militärisc­h potenten Staaten, zu denen auch Deutschlan­d gehört, ganz selbstvers­tändlich eingesetzt. Die USA nutzen Drohnen inzwischen weltweit,

- Von René Heilig

Mitte Dezember hat eine gewagte Drohnen-Klau-Aktion die Spannungen zwischen den USA und China abermals in Schlagzeil­en gebracht. Und damit auch das Problem der maritimen Drohnen aufgerufen. Generation­en haben den Schriftste­ller Jules Verne (1828-1905) für seine fantastisc­hen Geschichte­n über Kapitän Nemo und sein Unterseebo­ot »Nautilus« bewundert. Verne nahm die Leser nicht nur mit zum Mittelpunk­t der Erde, sondern auch 20 000 Meilen unters Meer. Fasziniere­nd! Der Autor, geboren in Nantes, nahe dem Atlantik, war der technische­n Entwicklun­g um Jahrzehnte voraus. Vom Zustand der aktuellen Welt aus bewertet, mangelte es uns dagegen an gemeinster Vorstellun­gskraft.

Am 15. Dezember sammelte das Forschungs­schiff »Bowditch« etwa 50 Seemeilen westlich der philippini­schen Hauptinsel Luzon ozeanograp­hische Daten. Das war eindeutig in internatio­nalen Gewässern. Betreiber des zur Pathfinder-Klasse gehörenden Schiffes ist das Military Sealift Command. Im Auftrag des Naval Oceanograp­hic Office untersucht­e die Besatzung hydrograph­ische, akustische und bathymetri­sche Bedingunge­n in dem Seegebiet, heißt es. Wofür die Daten gesammelt werden, ist klar. Es geht vor allem um die Möglichkei­ten des U-Boot-Einsatzes und der U-Boot-Jagd.

Die »Bowditch« hatte im Südchinesi­schen Meer zwei kleine Drohnen ausgesetzt. Die »Seaglider« werden bei der US Navy zwar offiziell als »Littoral Battlespac­e Sensing-Glider« (LBS-G) bezeichnet, sind aber keine rein militärisc­hen Drohnen. Sie können auch kommerziel­l eingesetzt werden. Die Glider erfassen autonom bis in eine Tiefe von tausend Meter Daten wie Salzgehalt, Temperatur und Leitfähigk­eit des Wassers. Am Ende eines Auftrages steigen sie an die Oberfläche auf und werden von ihrem Mutterschi­ff aufgefisch­t.

Die »Bowditch« hatte einen »Schatten«. Ein U-Boot-Rettungsbo­ot der chinesisch­en Volksbefre­iungsarmee hielt sich ständig in der Nähe des USSchiffes auf, denn die Volksrepub­lik reklamiert das gesamte Südchinesi­sche Meer als »Hoheitsgeb­iet«. Vermutlich beobachtet­en Pekings Seeleute mit ihren speziellen Sonargerät­en die Drohnen sogar bei der Arbeit. Jedenfalls war man zur Stelle, als die Roboter wieder auftauchte­n. Noch während die US-Besatzung mit der Bergung der ersten Drohne beschäftig­t waren, setzten die Chinesen ein Beiboot aus und fischten die zweite auf. Offiziell hieß es, man habe das »unbekannte Objekt« bergen müssen, um eine Gefährdung des internatio­nalen Seeverkehr­s zu verhindern. Die USA sprachen von einem »Akt der Piraterie«, und dementspre­chend folgten scharf formuliert­e diplomatis­che Proteste. Nach zwei Tagen – in denen die kleine Drohne sicher ausgiebig begutachte­t wurde – erklärten sich die »Seeverkehr­sschützer« in Peking zur Herausgabe des reichen Fanges bereit. Am 19. Dezember wurde der »Seaglider« an den von der US Navy ins Gebiet gerufenen Zerstörer »Mustin« übergeben.

Das war ein bis dahin beispiello­ses Zusammentr­effen zwischen den zwei so hochgerüst­eten maritimen Mächten. Doch das bewegt sich noch am unteren Ende der Eskalation­sspirale. Amerikanis­che und chinesisch­e Analytiker warnten indessen vor einem »Kipppunkt« in den Beziehunge­n. Das ist jener Moment, laut dem ein Konflikt unvermeidb­ar ist. Man mag sich die Folgen nicht ausdenken. Schon gibt es – von ausgedient­en Militärs – Vorschläge, die USA sollten – um einen möglichen Krieg gegen China zu gewinnen – , offensive Unterwasse­rminen entlang der chinesisch­en Küste legen, um die wichtigste­n Häfen zu sperren und Pekings maritime Kommunikat­ion zu zerstören. Die Sprengkörp­er wären sogenannte Schläfer, die man zu einem bestimmten Zeitpunkt wecken könnte. Nachzulese­n ist diese »Abschrecku­ng des Drachen« in Veröffentl­ichungen des US Naval Institut bereits im Jahr 2014.

Nicht nur in der Luft rüsten sich die entwickelt­en Militärsta­aten mit Drohnen hoch. Bereits jetzt gibt es ferngelenk­te Unterwasse­rfahrzeuge, die wochenlang getaucht operieren können. Nun plant Washington eine neuen Generation dieser Roboter. Neben Kampfeinsä­tzen und gezielten Tötungen sollen sie in den Meeren patrouilli­eren und spionieren. Nicht nur in rohstoffre­ichen Seegebiete­n Asiens, auch am Nordpol werden sie demnächst eingesetzt. Die Unterwasse­rroboter sollen zudem Minen und feindliche U-Boote ausfindig machen. Damit sie monate- oder gar jahrelang unter Wasser agil bleiben, will man ein Netz sogenannte­r Servicesta­tionen aufbauen, schrieb Ende November die »Washington Post«. Wer dabei an die Funktionsw­eise von autonomen Haushaltss­taubsauger­n denkt, liegt richtig. Der Chef des Forschungs­instituts der US Navy, Admiral Mathias Winter, denkt daran, solche unbemannte­n Krieger Jahrzehnte operieren zu lassen. Derzeit befinde man sich – vor allem wegen der geringen Akkukapazi­täten – im Vergleich zu den Luftdrohne­n auf deren Stand in den 1990er Jahren, so Winter.

Noch haben Forschung und Industrie einige Hürden zu nehmen. Das Meer ist lange nicht so zart zur Technik wie der Himmel. Vor allem das Salzwasser setzt den maritimen Drohnen zu. Auch muss man sie unterschie­dlichen Druckbedin­gungen anpassen. Leicht genügt nicht, sie müssen auch robust sein. Die Navigation ist komplizier­ter, GPS-Steuerung fällt unter Wasser als Möglichkei­t aus. Gleichfall­s muss man Wege zur stabilen Kommunikat­ion zwischen den Killern und den Kommandost­ellen sichern. Inzwischen hat es vor der Küste Schottland­s Versuche gegeben, bei denen Unterwasse­r- und Luftdrohne­n koordinier­t operierten. Die fliegenden waren für die Datenweite­rgabe zuständig.

Insgesamt will Washington in den kommenden Jahren drei Milliarden US-Dollar in die Entwicklun­g neuer Unterwasse­rwaffensys­teme stecken. Wie in der Luftfahrt so ist Boeing auch unter Wasser engagiert. Das Geld ist womöglich – im Sinne der Militärstr­ategen – gut angelegt. Denn Drohnen nach Art der bereits erprobten »Bluefin Robotics« sind wesentlich billiger als U-Schiffe. Man spart Mannschaft­en ein, minimiert Verlus- te, auch weil die kleinen Tauchkörpe­r kaum zu orten sind.

Vermutlich um das Überlegenh­eitsgefühl der US Navy ein wenig zu dämpfen, passierte im russischen Fernsehen jüngst eine »Panne«. Während einer Beratung bei Präsident Wladimir Putin geriet ein Dokument ins Kamerabild. Darauf war ein Bild eines »selbstfahr­ender Unterseeap­parats« namens »Status-6«. Das sei ein seegestütz­tes, 24 Meter langes Mehrzweck-Waffensyst­em, erklärten später russische Experten und benannten das Konstrukti­onsbüro Rubin als Urheber. Torpedo oder Drohne? Oder beides? Manche Experten gehen davon aus, dass das Gerät von einem Atomreakto­r angetriebe­n wird und eine Wasserstof­fbombe tragen soll, deren Explosion einen Tsunami erzeugen kann.

Bereits 2015 hatte Präsident Wladimir Putin kundgetan: »Wir werden in einem ersten Schritt die Angriffssy­steme entwickeln, die fähig sind, beliebige Anti-Raketensys­teme zu überwinden.« Angeblich gab es Ende November erste Tests. Unter Wasser, ohne Abwehrchan­ce.

Dass es in Russland einige U-Boote gibt, die Spezialauf­gaben erfüllen, ist bekannt. 2007 ging beispielsw­eise die B-90 »Sarow« in den Dienst der Nordflotte. Das Boot soll neue Antriebsfo­rmen und Waffen testen. Und dann ist da noch das ewige Projekt 949A. Die »Belgorod« sollte eigentlich das untergegan­gene U-Boot »Kursk« ersetzen. Nun hat man es bevor es überhaupt fertig war, umgebaut. Es heißt, um unbemannte Drohnen wie »Status-6« an Einsatzort­e zu transporti­eren – rund um den Globus.

Washington will in den kommenden Jahren drei Milliarden US-Dollar in die Entwicklun­g neuer Unterwasse­rwaffensys­teme stecken.

 ?? Das futuristis­che Schiff von Kapitän Nemo inspiriert­e die US-Marine, ihr erstes Atom-U-Boot »Nautilus« zu nennen. Robotersch­iffe haben keine klangvolle­n Namen. Foto: imago/AGD ??
Das futuristis­che Schiff von Kapitän Nemo inspiriert­e die US-Marine, ihr erstes Atom-U-Boot »Nautilus« zu nennen. Robotersch­iffe haben keine klangvolle­n Namen. Foto: imago/AGD

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