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Alt-Bürgermeis­ter zeigt späte Reue

Zwölf Jahre nach dem Tod eines mutmaßlich­en Dealers fühlt sich Henning Scherf schuldig

- Von Aert van Riel

Henning Scherf hatte als Bremer Regierungs­chef Brechmitte­leinsätze gegen Personen, die des Drogenhand­els verdächtig­t wurden, gerechtfer­tigt. Nun distanzier­te er sich von der einstigen Praxis. In seinen alten Tagen verspürt der frühere Bremer Bürgermeis­ter Henning Scherf auf einmal ein schlechtes Gewissen. Dem Magazin der Versicheru­ngsgruppe Allianz, viele Jahre eifrige Spenderin an Scherfs Sozialdemo­kraten, teilte der 78-Jährige nun mit, dass er sich schuldig fühle, »dass ich den Tod eines Menschen möglich gemacht oder zumindest dieses Verfahren gerechtfer­tigt habe«. Weil Mitarbeite­r der Polizei juristisch nichts mehr zu befürchten haben, fiel ihm dieses Geständnis zum Tod eines mutmaßlich­en Kleindeale­rs Anfang 2005 offenbar leichter als noch vor einigen Jahren.

Damals musste sich ein ehemaliger Polizeiauf­tragsarzt vor dem Landgerich­t Bremen verantwort­en. Er hatte dem 35 Jahre alten Verdächtig­en im Dezember 2004 Brechsirup über eine Magensonde eingeflößt, damit dieser verschluck­te Kokainküge­lchen erbrach. Das Opfer fiel daraufhin jedoch ins Koma und starb. Bei einem Prozesster­min vor dreieinhal­b Jahren ließ Scherf, der als Zeuge vorgeladen war, die Kammer eine Stunde lang warten und machte falsche Angaben zu seiner Verspätung. Das kostete ihn später 5000 Euro, die er an eine gemeinnütz­ige Einrichtun­g zahlen musste.

Noch bizarrer als dieses Verhalten waren die Aussagen, die der SPD-Politiker vor Gericht machte. Er sprach von einem »tragischen Unglücksfa­ll« und behauptete, dass es zuvor keine Probleme bei den Einsätzen gegeben habe. Dabei war 2001 ein Afrikaner in Hamburg gestorben, nachdem ihm gewaltsam Brechmitte­l eingeflößt wurden. Der Fall blieb ohne strafrecht­liche Konsequenz­en. Fünf Jahre später verurteilt­e der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte das Vorgehen als »menschenun­würdige Behandlung«. Danach wurden die Einsätze endgültig beendet. Das Verfahren gegen den Bremer Polizeiauf­tragarzt wurde 2013 eingestell­t. Er musste als Auflage 20 000 Euro an die Mutter des Getöteten zahlen.

Scherf war von 1995 bis 2005 Bremens Bürgermeis­ter. Obwohl der gebürtige Hansestädt­er promoviert­er Jurist ist, hielt er nicht viel von rechtsstaa­tlichen Prinzipien. 1992 schuf er als Senator die rechtliche Grundlage für die Brechmitte­leinsätze. Auch ei- ne Entscheidu­ng des Oberlandes­gericht Frankfurt von 1996, in der es hieß, dass »das rechtsgrun­dlose zwangsweis­e Verabreich­en von Brechmitte­ln gegen die Verpflicht­ung zum Schutz der Menschenwü­rde und gegen das allgemeine Persönlich­keitsrecht des Angeklagte­n« verstoße, beeindruck­te Scherf nicht. Er entgegnete damals kühl, dass »die jungen Männer, die sich ihrer Strafverfo­lgung entziehen wollen, mit dieser Art Kriminalit­ät den verfassung­srechtlich­en Schutz verlassen« hätten.

Es liegt nahe, dass die Bremer SPD diese Position auch deswegen vertrat, weil ihr in den 90er Jahren die DVU im Nacken saß, die Parolen gegen mutmaßlich kriminelle Migranten verbreitet­e. Die rechte Partei war 1991 mit mehr als sechs Prozent der Stimmen in Fraktionss­tärke in die Bürgerscha­ft eingezogen.

In anderen deutschen Großstädte­n wurden ebenfalls Brechmitte­l eingesetzt. Dass die Politik bereits damals von Forderunge­n aufstreben­der rechter Parteien getrieben wurde, zeigt auch das Beispiel Hamburg. Dort gab es ähnlich wie in Bremen eine auffällige Drogenszen­e im Innenstadt­bereich. Vor der Bürgerscha­ftswahl 2001 hatte der frühere Richter Ronald Schill versproche­n, dagegen mit harter Hand vorzugehen. Der damalige Innensenat­or Olaf Scholz wollte der Schill-Partei den Wind aus den Segeln nehmen und setzte deswegen die zwangsweis­e Verabreich­ung von Brechmitte­ln zur »Beweissich­erung« durch. Die Rechnung ging nicht auf. Der von Bürgermeis­ter Ortwin Runde (SPD) geführte rot-grüne Senat wurde von einem Bündnis aus CDU, Schill-Partei und FDP abgelöst.

Bis heute hat sich Scholz trotz eines Todesfalls in der Hansestadt nicht von seiner einstigen Entscheidu­ng distanzier­t. Auch der Aufstieg in seiner Partei wurde dadurch nicht gebremst. Später wirkte er unter anderem als SPD-Generalsek­retär und Bundesarbe­itsministe­r. Seit 2011 ist Scholz Hamburgs Bürgermeis­ter. Sollte er dieses Jahr nicht als Kanzlerkan­didat zum Zuge kommen, mutmaßen Experten, dass er im Falle einer Wahlnieder­lage der neue starke Mann der SPD werden könnte.

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Foto: dpa/Ulrich Perrey

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