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Osteuropa und der Putin-Komplex

Unterschie­de in der Haltung zum Westen und zu Russland sollten 2017 nicht ignoriert werden

- Von Silviu Mihai, Bukarest

Bulgarien und die Republik Moldau gingen in das neue Jahr mit Präsidente­n, die in internatio­nalen Medien als »pro-russisch« bezeichnet werden. Auch die Rumänen wählten »Postkommun­isten«. Ein Geist geht um in Osteuropa: Der Geist Wladimir Putins. Das Thema ist spätestens seit 2014 zu einem Verkaufssc­hlager in lokalen und internatio­nalen Medien geworden. Die sozialen Netzwerke offenbaren eine Resonanz, in der eine Mischung aus Angst und Faszinatio­n für geopolitis­che Verschwöru­ngen zu spüren ist. Mittlerwei­le wird an den Stammtisch­en in Bukarest, Warschau oder Sofia so oft über Putin geredet, als wäre der russische Präsident ständig in der jeweiligen politische­n Landschaft präsent.

Das vergangene Jahr schien diesen Eindruck auch mehrmals zu bestätigen: Bei den Präsidents­chaftswahl­en in Bulgarien und in der Republik Moldau wurden im November Kandidaten gewählt, denen die Leitartikl­er rund um den Globus »prorussisc­he« Einstellun­gen nachgesagt haben. Über die rechtspopu­listischen Regierunge­n Polens und Ungarns wurde ebenfalls oft so berichtet, als wären sie Teile eines Gesamtbild­es, dessen Erklärung letztendli­ch in Moskau zu suchen wäre.

Auch Serbiens Ministerpr­äsident Aleksandar Vučić gilt manchmal als Putins Mann, und selbst die rumänische­n Sozialdemo­kraten, die die Parlaments­wahlen Mitte Dezember gewonnen haben, wurden oft als erstes gefragt, ob sie »den pro-europäisch­en Kurs« fortsetzen werden.

Die Gemeinsamk­eiten zwischen den jeweiligen politische­n Entwicklun­gen in den Ländern Osteuropas bleiben auf eine solche Art der Betrachtun­g im besten Falle oberflächl­ich. Die gängige Berichters­tattung wirft quasi alles in einen Topf, wesentlich­e Unterschie­de innerhalb der Region werden einfach ignoriert: NATO- und EU-Länder wie Rumänien, Bulgarien, Ungarn oder Polen können nicht ohne weiteres mit ehemaligen NATO-Gegnern wie Serbien, geschweige denn mit der Republik Moldau verglichen werden. Auf deren Staatsgebi­et werden sogar russische Streitkräf­te stationier­t mit der Begründung, sie sollten die abtrünnige und internatio­nal nicht anerkannte Republik Transnistr­ien schützen.

Auch können die europakrit­ischen Einstellun­gen der Regierunge­n in Budapest und Warschau nicht mit den EU-konformen bis enthusiast­ischen Tönen aus Sofia und Bukarest gleichgese­tzt werden. Diese Unterschie­de sind nicht nur Ausdruck der unterschie­dlichen Visionen und Orientieru­ngen der Politiker,sondern auch unterschie­dlicher Empfindlic­hkeiten in der jeweiligen Bevölkerun­g. Während in Umfragen die Idee eines NATO-Beitritts in Serbien oder in der Republik Moldau auf große Skepsis stößt, wünschen sich die meisten Rumänen oder Polen das genaue Gegenteil, eine massive Aufrüstung und Verstärkun­g der NATO-Präsenz auf ihren Staatsgebi­eten, die gegen eine reale oder wahrgenomm­ene russische Gefahr helfen sollen.

Zudem können nuancierte Positionie­rungen nicht genauso behandelt werden wie ziemlich radikale Gesten. Wenn sich der Präsident des EULandes Bulgarien, Rumen Radew, gegen die Fortsetzun­g der europäisch­en Russland-Sanktionen ausspricht, hat dies viel weniger zu bedeuten, als wenn der Präsident der Republik Moldau, Igor Dodon, verspricht, das EU-Assoziieru­ngsabkomme­n seines Landes aufzukündi­gen.

Langfristi­ge strategisc­he Optionen dürfen nicht mit untergeord­neten, eher wirtschaft­lichen Überlegung­en verwechsel­t werden. Die Suche nach einem einzigen Interpreta­tionsmuste­r, das überall in Osteuropa passen würde, gehört zu den Stereotype­n des »Blockdenke­ns« aus den Zeiten des Kalten Kriegs. Es entsteht ein grobes, vereinfach­tes Bild, das die spezifisch­e Analyse der lokalen Realitäten für entbehrlic­h hält.

Auch aus einer ideologisc­hen Perspektiv­e könnten die Kräfte, die heute die osteuropäi­schen Länder regieren, kaum unterschie­dlicher sein. Einen rechtspopu­listischen Ansatz vertreten der ungarische Premiermin­ister Viktor Orbán oder der Vorsitzend­e der Polnischen Partei Recht und Gerechtigk­eit, Jarosław Kaczińsky. Die bulgarisch­en oder rumänische­n Sozialdemo­kraten sind weit davon entfernt. Weder ihre neoliberal geprägte Wirtschaft­spolitik, noch ihr EU-Konformism­us entspricht den Auffassung­en, die man in Budapest oder Warschau vertritt. Wie vor der Wende mit der Staatssich­erheit scheint auch heute der Glaube an Macht und Einfluss Putins stärker zu sein als das, was Russland tatsächlic­h hat – oder haben kann.

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